E-Commerce und Lagerlogistik – Wachstumsmotor und Herausforderung
Veröffentlicht am: 16. Mai 2014 / Update vom: 24. September 2021 – Verfasser: Konrad Wolfenstein
Überblick
Das gegenwärtige Bild der Handelsbranche ist von massiven Veränderungen geprägt, denn im Zuge der fortschreitenden digitalen Vernetzung der Konsumenten ändern diese mehr und mehr ihr Einkaufsverhalten. Sie bestellen immer häufiger über PC oder mobile Endgeräte wie Tablets oder Smartphones, anstatt die Waren im stationären Handel zu erwerben. So wurden im e-Commerce im letzten Jahr knapp € 34 Mrd. in Deutschland umgesetzt. Und dies ist erst der Anfang, denn dem Onlinehandel wird auch in den folgenden Jahre eine weiter stark wachsende Entwicklung prophezeit.
Die hohe Dynamik des E-Commerce stellt dabei ganz neue Anforderungen an die Logistik. Das gilt zum einen für den Markt der Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP) mit der Abwicklung des Versandes und der Retouren. Zum anderen betrifft dies jedoch die Intralogistik, die sich mit der Lagerung, Beförderung und der Kommissionierung der Waren beschäftigt. Aufgrund des hohen Wettbewerbsdrucks und geringer Margen sind hier immer mehr Anbieter bemüht, ihre Kostensituation effizienter zu gestalten und zugleich den erfolgskritischen Faktor Lieferzeit zu optimieren.
Dieser Artikel skizziert den aktuellen Stand und die mittelfristige Entwicklung im Onlinehandel und geht auf die daraus entstehenden Herausforderungen, die sich den Unternehmen in der Lagerlogistik stellen, ein
Darüber hinaus werden wir in den folgenden Wochen weitere Artikel zum Thema veröffentlichen. Dort wird jeweils gesondert auf für die Lagerlogistik entscheidende Bereiche eingegangen, wie zum Beispiel:
- Lagerhaltungsarten im Vergleich (chaotisch vs. Festplatz)
- effizientes Retouren-Handling
- Lieferzeitpunkte & -geschwindigkeit (Stichwort Sameday Delivery)
- Maschineneinsatz und Automatisierung im Lager
- Vernetzung/Digitalisierung von Lagerhaltung & Logistik
Übersicht: Die rasante Entwicklung des e-Commerce-Marktes
Weltweite Umsätze von 1.220 Milliarden US-Dollar in 2013
Nach einer Studie des Marktforschungsunternehmens emarketer.com betrug der weltweite Umsatz im B2C e-Commerce in 2013 etwa 1.220 Milliarden US-Dollar, für den etwa eine Milliarde aktiver Onlinekäufer verantwortlich war (http://www.emarketer.com/Article/B2C-Ecommerce-Climbs-Worldwide-Emerging-Markets-Drive-Sales-Higher/1010004). Trotz der rasanten Entwicklung, die der Markt in den letzten Jahren genommen hat, wird auch weiterhin mit steigenden Umsätzen gerechnet. Die Prognose von eMarketer geht dabei von einem Gesamtvolumen von 1.860 Milliarden USD in 2016 aus. Allerdings werden sich die Wachstumsraten von zur Zeit weltweit etwa 18% auf 11% in 2016 verringern, was im Vergleich zum gesamtweltwirtschaftlichen Wachstum von momentan circa 3 – 4% noch immer einen außerordentlich hohen Wert darstellt.
Mit Umsätzen in Höhe von 340 Mrd. USD und 240 Millionen Käufern beherbergt Europa aktuell nach den USA und Asien den weltweit drittgrößten Markt, und obwohl das Wachstum in Europa schwächer als im weltweiten Vergleich ist, wird auch in den folgenden Jahren mit stetigen Zuwächsen des Marktvolumens auf 455 Mrd. USD in 2016 gerechnet.
Weltweiter Wachstumsmotor sind vor allem die asiatischen Staaten, Schwellenländer wie Brasilien und Indien sowie Afrika. Ein Grund für das geringere Wachstum in Europa und auch den USA ist, dass diese Gebiete hinsichtlich der Verbreitung und Akzeptanz von e-Commerce im Vergleich bereits sehr viel weiter entwickelt sind. So beträgt der Anteil der Onlinekäufer an der Gesamtzahl der Internetnutzer gesamt in Westeuropa und in den USA über 70%, wohingegen er in Asien und Osteuropa unter 45%, in Mittelamerika und Afrika sogar bei etwa nur einem Drittel liegt.
Deutschland zweitgrößter Markt in Europa
Betrachten wir Europa, so stellt Deutschland dort mit Umsätzen in Höhe von € 34 Mrd. den zweitgrößten Markt dar. Mit Abstand führend ist hier Großbritannien, wo die Erlöse in 2013 bei knapp € 70 Mrd. lagen. Frankreich (25 Mrd.), Spanien (15 Mrd.) und Italien (14 Mrd.) folgen auf den weiteren Plätzen.
Neben der hohen Bevölkerungsanzahl ist in Deutschland vor allem die vergleichsweise hohe Akzeptanz von Onlinekäufen in Bezug auf die Internetnutzer gesamt mit ca. 80% für die hohe Platzierung verantwortlich. Nach Großbritannien (87%) ist dies der zweithöchste Wert in Europa, und damit höher als beispielsweise in den USA (73%). Ein weiterer Grund für die Größe des hiesiges Marktes sind die relativ hohen Ausgaben je Käufer und Jahr (Studie: E-commerce in Europe 2014, PostNord). Diese liegen in Deutschland bei knapp 800,- €, was im europäischen Vergleich eine Spitzenplatzierung ist. Nur Großbritannien liegt hier – allerdings deutlich – mit Ausgaben von € 1.180,- vorne.
Allerdings fällt das Wachstum in Deutschland mit knapp 13% in 2013 vergleichsweise gering aus. Hier ist die in anderen europäischen Staaten eine teilweise deutlich stärkere Entwicklung festzustellen (Italien 22%, Spanien 16%).
Kleidung in Deutschland größtes Segment
Doch auch mit den leicht unter dem europäischen Schnitt liegenden Raten wird der Vertriebsweg e-Commerce auf absehbare Zeit der Wachstumsmotor im Handel sein. Dies ist nicht zuletzt der Grund, warum sich hierzulande bereits 2012 knapp 500.000 Onlineverkäufer im Netz tummelten. Von Amazon, Otto und Zalando bis zu einem von über 170.000 gewerblichen Verkäufern bei eBay: Das Internet wird für mehr und mehr Händler die entscheidende Plattform zum Vertrieb ihrer Produkte, wobei die 100 größten Shops mit einem Umsatz von etwa 18,5 Mrd. € bereits gut 50% der Gesamterlöse erzielen. In den letzten Jahren ist der Anteil des Onlinehandels am gesamten Einzelhandel auf 8% gewachsen, wobei Bereiche wie Elektronikartikel oder Mode bereits bei etwa 30% liegen.
So verwundert es nicht, dass im e-Commerce vor allem der Bereich Kleidung und Schuhe Treiber des Geschehens ist und das mit Abstand größte Segment bildet. Er wird gefolgt von Waren aus den Bereichen Elektronik und Büchern. Zusammen fallen auf diese Segmente über 60% der Gesamteinnahmen.
Auswirkungen auf die Lagerlogistik
Hoher Wettbewerb und Kostendruck belasten Unternehmen
Käufer aus Deutschland zeichnen sich durch eine vergleichsweise hohe Preissensibilität aus, was den Preisdruck auf die auf hiesigen Markt agierenden Händler dauerhaft hoch hält. Dass deutsche Kunden zudem einen hohen Wert auf den schnellen und vor allem kostenlosen Versand sowie deren Rückgabe legen – und gerade diese Retourenquote zu der höchsten in Europa zählt – verschärft die Kostensituation für die Anbieter beträchtlich. Die in Deutschland weit verbreitete Zahlungsweise der Zahlung nach Rechnungsstellung wirkt sich ebenfalls ungünstig für die Anbieter aus, da sich so ihr Zugriff auf die Einnahmen um teilweise Wochen verzögert.
Die daraus resultierenden Margenverluste zwingen die auf dem Markt agierenden Unternehmen dazu, die eigene Kostenstruktur permanent auf den Prüfstand zu stellen, um weiterhin erfolgreich im Wettbewerb bestehen zu können. Aufgrund des branchenweit hohen Aufwands im Bereich Logistik, gehört dazu somit in besonderem Maße eine effiziente Gestaltung der Lagerhaltung.
Investitionen zur Steigerung der Effizienz in Logistik und Lagerhaltung
Die schnelle Entwicklung, der Zwang zur Flexibilität und die Ertragssituation im E-Commerce stellen sowohl den Handel als auch die Lösungsanbieter vor große Herausforderungen.
In einem Interview mit dem Branchendienst etailment gibt Dieter Urbanke, Vorsitzender der Geschäftsführung der Hermes Fulfilment GmbH folgende Antwort auf die Frage nach den zentralen Herausforderungen durch den rasant wachsenden E-Commerce-Markt (ganzes Interview zu lesen unter http://etailment.de/thema/player-and-people/Interview-So-will-Hermes-in-der-Logistik-wachsen-und-punkten-2206): „Die größte Herausforderung besteht darin, die stetig steigende Zahl der Kundenaufträge effizient zu bearbeiten und den Marktanforderungen hinsichtlich Kundenservice, Warenverfügbarkeit und Transparenz gerecht zu werden. Der Endkunde fordert eine immer höhere Flexibilität und stärkere Erlebnisorientierung. Das betrifft nicht nur den reinen Webshop, sondern auch das Fulfilment.“
Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, stehen die Marktteilnehmer vor hohen Investitionen. Und hier sind es insbesondere die Versandhändler, die seit Jahren mehrstellige Millionenbeträge in Logistik und vor allem Intralogistik investieren.
Anbei nur ein paar Beispiel aus den umfangreichen Maßnahmen, die die Big Player aus dem Onlinehandel zur Modernisierung ihrer Lagerstrukturen vorgenommen haben:
- Tschibo baut in 2014 sein 200.000 Paletten fassendes europäisches Zentrallager in Bremen für € 50 Mio. aus, damit dieser auch künftig den Anforderungen gewachsen ist. Der Ausbau umfasst die Errichtung eines automatisierten Kleinteilelagers, eines Sortiergebäudes und technische Ausrüstungen für insgesamt 17 km Förderstrecken. Dazu kommen umfangreiche Investitionen in die IT.
- Bosch investiert über € 100 Mio. in ein über 20 m hohes, mit RFID-Technologie (radio-frequency identification) ausgestattetes Shuttle-Lager mit rund 200.000 Behälter-Stellplätzen Logistikzentrum bei Karlsruhe. Damit werden die Kapazitäten um 50% erweitert, was gleichbedeutend mit 20.000 qm mehr Quadratmeter mehr Lagerfläche ist, die dem Unternehmen zur Verfügung stehen wird. Dieses Zentrallager soll künftig (ab 2016) zur Belieferung von Ersatzteilen an Kfz- Werkstätten und den Großhandel in über 140 Länder der Welt dienen.
- Hermes Fulfillment, Tochter des OTTO-Versands hat das weltgrößte Retourenlager der Welt eröffnet. In die Errichtung des Logistikzentrums in Haldensleben flossen insgesamt € 470 Mio. Seit 2011 arbeitet dort das weltweit größte Shuttle-System. Es hat eine Lagerkapazität von rund 1 Mio. Artikeln, wobei in Spitzenzeiten bis zu 15.000 Stück pro Stunde kommissioniert werden können.
- Zalando nutzt für die Versendung seines umfangreichen Sortiments ein Systemlager in Erfurt, welches sich auf 120.000 Quadratmetern erstreckt und etwa 1.000 Mitarbeiter beschäftigt. Erweiterungen des Komplexes sind bereits geplant.
Aber nicht nur die sprunghaft wachsende Menge der zu lagernden und zu kommissionierenden Waren ist für den steten Zwang zur Optimierung der eigenen Lagerlogistik verantwortlich. Sicherheitsaspekte der Beschäftigten (Stichwort Ergonomie am Arbeitsplatz) und der aufgrund des hohen Wettbewerbsdrucks weiter zu erwartende Margenverfall fordern zukünftig einen deutlich höheren Automatisierungsgrad in den Lager- und Versandzentren der Onlinehändler.
Und dieser Trend zu mehr Automatisierung ist in der Intralogistik überall zu sehen. So übernehmen immer ausgeklügeltere Softwaresysteme inzwischen vielfach das gesamte Spektrum des Produktionsflusses. Aufgaben wie Bestandsinventur, Koordination von Bestell- und Versandvorgängen oder die Überprüfung des Pick-Prozesses, die noch vor kurzem vom Menschen erledigt wurden, werden heutzutage von Maschinen übernommen.
Doch welcher Automatisierungsgrad ist wirtschaftlich sinnvoll ist und wird von den Händlern angenommen? Denn eine hohe Automatisierung bedeutet auch, dass die Unternehmen neben den hohen Investitionen unter Umständen Flexibilität einbüßen, wenn sie sich zu sehr auf die einseitig technische Hochrüstung ihrer Lager verlassen. In Zukunft werden e-Commerce-Anbieter von daher am ehesten eine flexibel einzusetzende Automationstechnik einsetzen, welche gleichzeitig hohe Pickleistungen, geringe Fehlerquoten und optimale Lagerdichten ermöglicht.
Für Lagerlogistiker gilt es somit, für ein erfolgreiches Bestehen im Markt folgende Fragen zu beantworten:
- Welches sind die drängendsten Problemstellungen, mit denen die bisherigen Wege der Lagerhaltung mit dem sprunghaften Wachstum im E-Commerce konfrontiert werden?
- Welche Technologien und welcher Automatisierungsgrad werden sich in der Lagerhaltung und Kommissionierung durchsetzen?
- Wie hoch dürfen die Kosten für die zu beschaffenden Lösungen sein?
In einer Serie von Artikeln werden diese Fragen in den nächsten Wochen aufgegriffen, näher betrachtet und nach Lösungsansätzen hinsichtlich ihrer effizienten Anwendung in der Lagerlogistik untersucht.