Solarglas – die vergessene Komponente – der nächste Engpass ist vorprogrammiert
Veröffentlicht am: 3. Juli 2022 / Update vom: 3. Juli 2022 – Verfasser: Konrad Wolfenstein
Solarglas ist der nächste Produktionsengpass
Wenn von der gesamten PV-Wertschöpfungskette die Rede ist, wird die nach den Solarzellen gewichtsmäßig schwerste Komponente durchweg vernachlässigt: das Solarglas. Mir ist nicht bekannt, dass bisher auch nur eine Publikation die Probleme bei der Beschaffung großer Mengen von Solarglas für die Produktion von PV-Modulen im Gigawatt-Maßstab zur Realisierung der Energiewende beschrieben hat.
Die EU begibt sich in eine gefährliche Abhängigkeit von China, weil sie diese Komponente ausblendet
Noch ist die europäische Modulproduktion im Weltmaßstab unbedeutend und die Abhängigkeit von China gefährlich. Deutschland und die EU wollen das massiv ändern und die europäischen Produktionskapazitäten hochfahren. Dass dazu auch die Beschaffung von Solarglas gehört, wird durchweg vergessen. Dabei hat die Branche bereits heute mit Problemen zu kämpfen.
In der Slowakei zum Beispiel bereitet Agora Solar die Inbetriebnahme einer Produktionslinie für 150 MWp-Module vor. Dabei zeigt sich, dass die Beschaffung der schwersten Komponente, dem Solarglas, schwierig ist. Angebote von europäischen und indischen Solarglasproduzenten wurden entweder nicht abgegeben bzw. wegen der derzeitigen Gasknappheit sogar zurückgezogen.
Die weltweit beste Produktionstechnologie für Solarglas gibt es in Deutschland – nachgefragt wird diese nur aus China
Die Chinesen planen ganzheitlich, denn ohne Solarglas ist keine Modulproduktion möglich und für die gigantische PV-Ausbauziele werden folgerichtig auch gigantische Mengen Glas gebraucht. Deswegen erhielt das deutsche Unternehmen Grenzebach schon 2020 Aufträge aus China für mehr als 160 Ziehglaslinien speziell für den Photovoltaikmarkt (Solarserver, 21.5.2021). Diese wurden inzwischen geliefert. In Europa gibt es gerade mal eine Handvoll solcher Linien und von Plänen, diese immer größer werdende Lücke zu schließen, ist nichts bekannt. Deutschland bietet die weltweit beste Schmelztechnologie mit Weltmarktführern wie Sorg und Horn. Auch Frankreich und England hat hervorragende Anbieter. Lisec in Österreich liefert die besten Anlagen für die Beschichtung und die Härtetechnik. Geliefert werden die Anlagen für den Solarbereich nach China nicht nach Europa.
Dass dies nicht so bleiben wird, zeigt die Statistik für Patente. Über 1.000 chinesischen Patenten stehen nur wenige aus Europa gegenüber. Hier ist China der technologische Vorreiter der in Zukunft auch den Produktionsanlagenbau dominieren möchte.
Der Bau einer Solarglasfabrik ist eine riesige Investition von bis zu 100 Mio. € für eine Produktionslinie optimaler Größe mit einer Schmelzleistung von 300 t. je 24 Stunden. Der Energieverbrauch (80 % Gas) und die erheblichen Umweltbelastungen in Form von CO2 und Stickstoff verursachen einen erheblichen Planungsaufwand und lange Genehmigungsverfahren. Der Zeitraum von der Planung bis zum Betrieb einer Solarglasproduktion liegt daher bei 3-4 Jahren. Das ist lang im Vergleich zu sechs bis 10 Monaten für eine PV-Modulproduktionslinie.
Die 100 % sichere Versorgung mit Gas 24/365 ist ebenfalls unabdingbar, da die derzeitige Technologie zur Herstellung von Solarglas den Einsatz von 80 % Gas für die Schmelzprozesse erfordert.
Man könnte argumentieren, dass wir Solarglas in China kaufen sollten. Allerdings bricht dann das Argument der Sicherung einer europäischen Lieferkette und der Einsparung von Logistikkosten durch europäische Produktion zusammen. Dadurch wird die existenzielle Abhängigkeit von China, die schon heute sehr kritisch gesehen wird noch vergrößert. Schließlich wiegt auch der Vorwurf schwer, dass die Produktion in China unter schlechten politischen und Umweltbedingungen stattfindet. Mehrere Glasfabriken befinden sich in der Provinz Xinjiang, dem unterdrückten Uigurengebiet. Mit einem Gewichtsanteil von bis zu 80 % eines Standard-PV-Moduls ist der Transport des Glases fast so kosten- und zeitintensiv wie der der fertigen Module.
Gigantische Ausbauziele für die PV-Produktion in der EU zementieren die 90%ige Abhängigkeit von China für lange Zeit
Die Ausbauziele für eine „Neue europäische Solarindustrie“ sind gigantisch und wurden zuletzt angesichts des Krieges in der Ukraine deutlich nach oben korrigiert. In den meisten Fällen soll der Ausbau der Produktionskapazitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette erfolgen, d. h. vom Silizium über Wafer und Zellen bis hin zur Modulproduktion. Seltsamerweise fehlt in dieser Aufzählung und in den Plänen für Gigawattfabriken immer eine wichtige Komponente: das für 99 % aller Module benötigte Solarglas. Dieser unverzichtbare Bestandteil ist in Europa nicht ausreichend verfügbar. Die folgenden Argumente zeigen dies:
- Ultraweißes Solarglas wird hauptsächlich als Strukturglas in einem Walzverfahren hergestellt. Durch spezielle Formgebungswalzen wird auf die Stärke des Glases und auf beiden Glasseiten eine Mikrostruktur gebildet. Diese hält die Reflexion weitgehend im Glas und bewirkt dadurch einen hohen Transmissionsgrad. Die übliche Flachglasproduktion ist für Solarglas weniger geeignet.
- Derzeit kann eine Modulproduktion von maximal ca. 3-4 Gigawatt mit in Europa produziertem Solarglas erfolgen. Nominelle Anteile des Glases wurden bis 2021 aus Indien und wenigen anderen Ländern importiert. Indien wird jedoch das dort produzierte Glas für die eigenen gigantischen PV-Produktionspläne benötigen.Da fällt auf, dass der größte europäische Solarglasanbieter Interfloat mit der Fertigung GMB Glasmanufaktur Brandenburg in Tschernitz im April 2022 an den indischen Marktführer Borosil verkauft wurde (PV Magazine, 25.4.2022). Angesichts der Tatsache, dass die Fertigung dort voll von ununterbrochenen Gaslieferungen abhängig ist, wunderten sich Branchenkenner. Denn abgesehen von dem Risiko einer Unterbrechung der russischen Gaslieferungen ist bei den heutigen Gaspreisen auch eine kostendeckende Produktion nur bei fast unrealistisch hohen Verkaufspreisen für das produzierte Solarglas möglich.Borosil war wohl eher an dem Marktzugang interessiert, zumal in ca. 3 Jahren Kosten von ca. 30 Mio. € für eine dann voraussichtlich anstehende “Kaltreparatur” der Schmelzwanne aufgebracht werden müssen. Borosil will seiner Produktionskapazitäten auf 2.600 t./d insgesamt bis 2025 erhöhen. Ob davon wirklich die behaupteten 450 t. auf die Fertigung in Brandenburg entfallen, darf bezweifelt werden. Aber selbst diese Menge würde nur für ca. 2,5 GW Modulproduktion reichen.
- Die von der EU veröffentlichten Ausbauziele gehen von einem Ausbau der europäischen Modulproduktionskapazitäten von bis zu 30 GW bis 2030 aus. Diese wurden nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine noch weiter erhöht. Selbst wenn die Modulwirkungsgrade steigen, würde dies im Jahr 2030 zu einem fast zehnfachen Bedarf an Solarglas gegenüber 2021 führen. Es stellt sich die Frage, wie diese Nachfrage gedeckt werden soll, da neue Produktionskapazitäten für Solarglas nicht in Sicht sind.
- Die Glasproduktion erfordert einen hohen Energieaufwand, der zu 80 % durch Erdgas gedeckt werden muss. Die Produktion ist nicht flexibel und die Schmelzöfen müssen rund um die Uhr und 365 Tage im Jahr beheizt werden. Bei einem Gaspreis von etwa 6 € pro MW entfielen im Jahr 2020 rund 35 % der Produktionskosten auf Energie. Am 7. März wurde auf dem Spotmarkt TTF Dutch Future ein Preis von 211 € notiert. Selbst wenn sich dieser Höchstpreis inzwischen auf € 87 (am 27.5.22) reduziert hat, rechnet derzeit niemand damit, dass in den nächsten Jahren Preise unter 50 € pro MW erreicht werden.
- Was das für die europäische Solarglasproduktion bedeutet, lässt sich leicht ausrechnen. Lag der Energieanteil pro Quadratmeter im Jahr 2020 bei etwa 2 €, so würde dieser bei einer Versechsfachung auf 12 € steigen. Der Glaspreis würde dann von etwa 7,80 € (2021) auf 21,50 € pro Quadratmeter oder von 14 € pro Modul auf fast 39 € pro 1,8-qm-Modul steigen. Dabei ist jedoch ein wesentlich höherer Anstieg im Falle eines Lieferstopps oder Embargos nicht berücksichtigt. Daher sind vor allem erdgasbetriebene Solarglasöfen in Mitteleuropa nicht mehr wirtschaftlich und neue Investitionen haben keine Chance auf Genehmigung.
- Als mögliche Alternative kommen sogenannte Hybridwannen in Betracht. Die Hybridtechnologie für die Glasproduktion ist überzeugend: Bei einem maximalen Elektroanteil von 80 % und nur 20 % Gas könnten bis zu 16 % Energie eingespart und die CO2-Emissionen um 80 % reduziert werden (laut Veröffentlichungen der Firma Sorg – www.sorg.de).Allerdings ist kritisch anzumerken, dass diese im Prinzip nur für Behälterglas entwickelt wurden und auch bei dieser Produktion noch keine Industrieanlage in Betrieb ist.
Die Solarproduktion in Europa muss wieder aufgebaut werden - koste es, was es wolle
Man darf gespannt sein, woher die 12 Millionen Quadratmeter Solarglas für die Anfang April 2022 angekündigte 3GWp-Modulproduktionsanlage von Enel in Sizilien kommen werden. Für die Produktion werden zwei Solarglasproduktionslinien mit einer Schmelzkapazität von je 200 Tonnen pro Tag benötigt. Enel wird von der EU-Kommission 118 Millionen Euro Zuschüsse erhalten, um seine bestehende 200-MW-Zell- und Modulfabrik in Sizilien bis 2024 auf eine Produktionskapazität von 3 MW auszubauen. Es handelt sich um eine Investition in die gesamte PV-Wertschöpfungskette. Solarglas wird wieder die vergessene Komponente sein.
Noch erstaunlicher ist eine weitere Pressemeldung (Photon Newsletter vom 21.4.22): Das Start-up Carbon SAS mit Sitz im französischen Roche-la-Molière hat eine Partnerschaft mit der französischen ACI Groupe bekannt gegeben. ACI soll Carbon bei der Verwirklichung der Pläne für eine vollintegrierte Solarfabrik in Frankreich unterstützen. Die Modulproduktion soll ab 2024 mit einer Kapazität von 500 Megawatt beginnen. Die Kapazität soll dann bis 2025 auf fünf Gigawatt und bis 2030 auf 15 bis 20 Gigawatt erhöht werden. Das Unternehmen gibt an, die gesamte Wertschöpfungskette beginnend bei der Produktion von Ingots über Wafer und Zellen – IBC und TOPCon – abdecken zu wollen.
Der Einmarsch Russlands in der Ukraine hat die Frage der Energiesicherheit in Europa in den Mittelpunkt gerückt. „Eine Möglichkeit, die Energieunabhängigkeit in weiten Teilen Europas zu stärken, ist die Beschleunigung des Einsatzes von Solaranlagen und die Verbesserung der Produktionsbasis“, so SolarPower Europe.
Ein Beamter der Europäischen Kommission wies auf dem jüngsten Solarstromgipfel im April 2022 in Brüssel darauf hin, dass die Solarproduktion in Europa wieder aufgebaut werden müsse – „koste es, was es wolle“.
Die derzeitige Behandlung der Förderung einer europäischen Solarindustrie ist jedoch eindeutig zu kurzsichtig: Ohne die Einbeziehung von Solarglas als energieintensivste und schwerste Komponente bleibt die Abhängigkeit von China als Solarglas-Weltmarktführer bestehen. Die derzeitige geschätzte Lücke bei Solarglas von 60 % wird durch die Ausbaupläne auf mehrere GW auf 90 % anwachsen.
Niemand käme auf die Idee, in der Produktionskette der Automobilproduktion den notwendigen Stahl aus der Betrachtung auszuschließen. Das wird aber bei der Betrachtung der Wertschöpfungskette für die PV-Modulproduktion gemacht!
Hohe Antidumpingzölle für Solarglas aus China, nicht aber für die Solarmodule
Aufgrund der hohen Antidumpingzölle für Solarglas aus China (Zoll und Antidumping bis zu 100 %) spielen Importe aus China derzeit noch eine weniger wichtige Rolle. Das wird sich ändern, denn aufgrund fehlender anderer Quellen wird nur China die benötigten Mengen liefern können. Der Antidumpingaufschlag wird bezahlt werden müssen und führt zu einem Kostennachteil der in Europa produzierten PV-Module gegenüber den nicht durch Aufschläge importierten chinesischen PV-Modulen. Der Anti-Dumping-Zoll wird nämlich nur für importiertes Solarglas, nicht aber für die PV-Module erhoben (in denen natürlich auch das Glas steckt).
„Ähnlich wie mit Russland ist die Asymmetrie und die Einseitigkeit der Abhängigkeit Deutschlands von China ein zentrales Problem“, sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Das nutzt China zunehmend als Druckmittel gegenüber Deutschland und Europa. Die Abhängigkeit von chinesischen Komponenten (inclusive der BOS Komponenten einschließlich Wechselrichter) liegt bei ca. 90 %. Sie wird mit dem Ausbau der Modulfertigung in Europe noch zunehmen.
Simon Hage schreibt in seinem Leitartikel im Spiegel vom 28.5.22: “Die explodierenden Preise für Gas und Öl infolge der russischen Invasion in der Ukraine verdeutlichen, wozu eine Politik des Wegschauens führen kann – in eine Abhängigkeit, die sich nur zu hohen ökonomischen Kosten korrigieren lässt. Und die Abhängigkeit von China ist schon jetzt größer als die von Russland.” Dies gilt vor allem im PV Bereich. …” Die EU braucht eine Industriepolitik, die den Aufbau strategischer Schlüsselbranchen konsequent unterstützt.” Sicher nicht eine Politik, die eine in der Zukunft mehr als 90%ige Abhängigkeit bei der unverzichtbaren Komponente Solarglas ausblendet.
Über den Autor
Erich Merkle ist seit über 20 Jahren in der PV-Branche tätig.
Er war einer der Pioniere sowohl beim Aufbau der ersten Produktionslinien für Module in Deutschland als auch beim Bau von PV-Kraftwerken im Megawattbereich.
Er war maßgeblich an der Entwicklung der ersten dünnen Doppelglasmodule von Almaden und deren Markteinführung beteiligt.
Bereits 2007/8 plante er die erste deutsche Solarglasproduktion in Brandenburg. Das Projekt wurde aufgrund des Zusammenbruchs der PV-Industrie in Europa und der Finanzkrise nicht realisiert.
Dr. Merkle leitet die GridParity AG und berät die AGORA s.r.o. in der Slowakei beim Aufbau einer PV-Modulproduktion mit bis 150 MW in 2023, 450 MW ab 2024) .
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