Amazon kapituliert vor der China-Offensive: Die Gebührensenkung als strategisches Überlebensmanöver
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Veröffentlicht am: 5. Dezember 2025 / Update vom: 5. Dezember 2025 – Verfasser: Konrad Wolfenstein

Amazon kapituliert vor der China-Offensive: Die Gebührensenkung als strategisches Überlebensmanöver – Bild: Xpert.Digital
Historische Gebührensenkung: Was Amazon-Händler ab Dezember unbedingt wissen müssen
Die große Gebühren-Illusion: Wie Amazon sich das geschenkte Geld an anderer Stelle zurückholt
Es ist ein Beben, das durch die Welt des E-Commerce geht – und das Epizentrum liegt nicht in Seattle, sondern in den Fabriken Chinas
Jahrelang galt Amazon als unangefochtener Herrscher des westlichen Online-Handels. Die Dominanz schien unantastbar, die Preisgestaltungshoheit absolut. Doch diese Ära der Sicherheit ist vorbei. Mit der Ankündigung massiver Gebührensenkungen für europäische Händler vollzieht der Tech-Gigant derzeit eine der radikalsten strategischen Kehrtwendungen seiner Geschichte. Was auf den ersten Blick wie ein vorweihnachtliches Geschenk an gebeutelte Händler wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als ein knallhart kalkuliertes Abwehrmanöver gegen eine existenzielle Bedrohung: die aggressive Expansion von Temu und Shein.
Die Herausforderer aus Fernost haben mit ihren Ultra-Fast-Fashion- und Discount-Modellen nicht nur Marktanteile erobert, sondern das Konsumverhalten ganzer Generationen neu geprägt. Amazon sieht sich nun gezwungen, sein Geschäftsmodell, das lange auf stetig steigenden Gebühren basierte, fundamental neu zu kalibrieren. Doch Vorsicht ist geboten: Während die Logistikkosten sinken, explodieren die Ausgaben für Werbung. Wir erleben keine Senkung der Gesamtkosten, sondern eine komplexe Umschichtung der Einnahmequellen – weg von der Logistik, hin zum Media-Budget.
Die folgende Analyse deckt auf, was hinter den Kulissen dieses Wirtschaftskrimis wirklich passiert. Sie beleuchtet, wie Amazon versucht, die chinesische Flut einzudämmen, welche Rolle die neuen Zollgesetze dabei spielen und warum Händler jetzt nicht jubeln, sondern ihre Strategie dringend überdenken sollten. Willkommen in der neuen Realität des digitalen Handels.
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Wenn der Gigant zittert: Warum Amazons vermeintliche Großzügigkeit ein Eingeständnis der Verwundbarkeit ist
Die Ankündigung von Amazon, ab Dezember 2025 und Februar 2026 eine der größten Gebührensenkungen der Unternehmensgeschichte für europäische Händler durchzuführen, markiert einen tektonischen Wandel im globalen E-Commerce-Ökosystem. Mit durchschnittlichen Einsparungen von 0,17 Euro pro verkaufter Einheit in Europa, reduzierten FBA-Paketgebühren von etwa 0,32 Euro und teilweise halbierten Referral Fees in wachstumsstarken Kategorien signalisiert der Plattformriese eine fundamentale Neukalibrierung seines Geschäftsmodells. Diese Maßnahmen sind jedoch keineswegs Ausdruck unternehmerischer Philanthropie, sondern die kalkulierte Antwort auf eine existenzielle Bedrohung, die aus den Fabriken Chinas über die Smartphones der westlichen Konsumenten direkt in das Herz des Amazon-Ökosystems vordringt.
Die Dynamik, die sich im globalen Online-Handel entfaltet, verdient eine eingehende ökonomische Betrachtung, denn sie offenbart nicht weniger als die Neuordnung der digitalen Handelsarchitektur. Temu und Shein haben innerhalb weniger Jahre Marktpositionen erobert, die traditionell als uneinnehmbar galten. Der Wettbewerbsdruck, der Amazon zu diesem Schritt zwingt, ist dabei nur die sichtbare Spitze eines Eisbergs aus veränderten Konsumpräferenzen, disruptiven Geschäftsmodellen und geopolitischen Verwerfungen, deren volle Auswirkungen sich erst in den kommenden Jahren manifestieren werden.
Die Erosion der Marktdominanz: Wie chinesische Plattformen die Spielregeln verändern
Der Aufstieg von Temu und Shein stellt nicht einfach eine graduelle Verschiebung von Marktanteilen dar, sondern fundamentiert ein alternatives Paradigma des digitalen Handels. Die Zahlen sprechen eine unmissverständliche Sprache: Bei Konsumenten, die sowohl bei Amazon als auch bei Shein einkaufen, ist Amazons Anteil an den Bestellungen innerhalb von nur 18 Monaten um 34 Prozent gesunken. Während Amazon im Januar 2023 noch 71 Prozent der Bestellungen dieser Kundengruppe auf sich vereinte, waren es im Juni 2024 nur noch 47 Prozent. Diese Entwicklung signalisiert eine fundamentale Neuausrichtung des Konsumentenverhaltens, die weit über temporäre Marktfluktuationen hinausgeht.
In Deutschland hat Temu sein Bruttohandelsvolumen binnen eines Jahres nahezu vervierfacht und erreichte 2024 einen Wert von 3,4 Milliarden Euro, was einen Sprung vom elften auf den fünften Platz unter den Online-Marktplätzen bedeutet. Shein verbesserte sich im Ranking der größten deutschen Onlineshops von Platz 18 auf Platz 7, mit einem Umsatzanstieg von 18 Prozent auf 1,1 Milliarden Euro. Die Netto-Kaufabsicht für Shein und Temu liegt durchschnittlich 18 Prozentpunkte höher als die der etablierten Konkurrenten, was auf weiteres Wachstumspotenzial hindeutet.
Der globale Erfolg dieser Plattformen basiert auf einem radikal anderen Geschäftsmodell. Temu operiert mit einem Konsignationsmodell, bei dem Hersteller Produkte an chinesische Lager senden, ohne dass Temu sie im Voraus kauft. Die Plattform fungiert als Wiederverkäufer ohne tatsächlichen Produktbesitz, wobei nicht verkaufte Waren an die Fabriken zurückgehen. Dieses Modell eliminiert nahezu alle Kapitalbindungsrisiken und ermöglicht eine Preisgestaltung, die 70 Prozent unter Amazon-Vergleichsprodukten liegen kann. Das globale Bruttowarenvolumen von Temu explodierte von 14 Milliarden US-Dollar im Jahr 2023 auf 70,8 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024.
Die Reaktion der europäischen Konsumenten auf diese Angebote ist eindeutig: Laut der BoF-McKinsey State of Fashion 2024 Verbraucherumfrage haben bereits 40 Prozent der US-Verbraucher in den letzten 12 Monaten bei Shein oder Temu eingekauft. Im Vereinigten Königreich liegt diese Zahl bei 26 Prozent. Für den deutschen Markt zeigen aktuelle Analysen, dass ausländische Online-Marktplätze mittlerweile 10 Prozent des gesamten E-Commerce-Volumens ausmachen, wobei Temu und Shein zusammen Umsätze zwischen 2,7 und 3,3 Milliarden Euro erzielen. Die Reichweite von Temu hat in kürzester Zeit bereits 27 Prozent der deutschen Onlinekäufer erreicht.
Anatomie der Gebührensenkungen: Was Amazon konkret reduziert
Die technischen Details der angekündigten Gebührenreduktionen verdeutlichen die strategische Stoßrichtung von Amazons Gegenoffensive. Ab dem 15. Dezember 2025 werden die FBA-Fulfillment-Gebühren für Pakete in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien um durchschnittlich 0,32 Euro pro Sendung gesenkt. Diese Maßnahme baut auf bereits im Jahr 2025 eingeführten Paketgebührensenkungen auf und signalisiert eine bewusste Kostenentlastung im operativen Kerngeschäft.
Die Referral Fees, also die Verkaufsprovisionen, erfahren in strategisch relevanten Kategorien drastische Kürzungen. Für Kleidung und Accessoires sinken die Gebühren von 8 auf 5 Prozent für Artikel bis 15 Euro und von 15 auf 10 Prozent für Artikel zwischen 15 und 20 Euro. Ab Februar 2026 werden die Referral Fees für Home Products von 15 auf 8 Prozent für Artikel bis 20 Euro reduziert, für Pet Clothing and Food von 15 auf 5 Prozent für Artikel bis 10 Euro, und für Grocery and Gourmet sowie Vitamins, Minerals and Supplements von 8 auf 5 Prozent für Artikel bis 10 Euro.
Besonders signifikant ist die Ausweitung der Low-Price-FBA-Tarife auf Produkte bis 20 Euro Verkaufspreis, was eine zusätzliche durchschnittliche Einsparung von 0,40 bis 0,45 Euro pro Einheit bedeutet. Diese Maßnahme zielt unmittelbar auf das Preissegment, in dem Temu und Shein ihre Stärken ausspielen. Amazons offizielle Kommunikation betont, dass diese Reduktionen die eigenen Kostensenkungen durch operative Effizienzsteigerungen widerspiegeln und eine Angleichung der europäischen Gebührenstrukturen an Änderungen in anderen Märkten, einschließlich der USA, darstellen.
Die Gebührensenkungen sind jedoch nicht flächendeckend. Selektive Erhöhungen bei monatlichen Lagergebühren, Return-to-Seller und Liquidationsgebühren führen zu einer durchschnittlichen Steigerung von 0,02 Euro pro FBA-verkaufter Einheit. Diese asymmetrische Struktur verdeutlicht Amazons strategisches Kalkül: Die Plattform optimiert die Kostenstruktur für schnelldrehende, margenschwache Produkte, während sie bei langsameren oder problematischeren Sortimenten höhere Gebühren ansetzt. Dies fördert ein effizienteres Netzwerk und entmutigt gleichzeitig die Einlagerung von Ladenhütern.
Das Werbe-Ökosystem als monetärer Kompensationsmechanismus
Die Gebührensenkungen bei Fulfillment und Provisionen stellen nur eine Seite der ökonomischen Gleichung dar. Die andere, weitaus profitablere Seite bildet Amazons explosiv wachsendes Werbegeschäft. Im dritten Quartal 2025 erreichten die Werbeeinnahmen mit 17,7 Milliarden US-Dollar einen neuen Rekord, ein Anstieg von 24 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Diese Summe übertrifft die gesamten Jahreswerbeumsätze von Holdinggesellschaften wie IPG oder Omnicom und liegt auf dem Niveau von Publicis.
Die strategische Bedeutung des Werbegeschäfts für Amazon kann kaum überschätzt werden. Im Jahr 2024 generierte Amazon global 56,2 Milliarden US-Dollar an Werbeeinnahmen, ein Anstieg von 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In Deutschland belief sich der Werbeumsatz auf rekordverdächtige 3,62 Milliarden Euro, was einem Wachstum von 23,6 Prozent entspricht, während der Gesamtumsatz des Unternehmens im Land nur um 8,7 Prozent stieg. Damit macht Werbung mittlerweile über 9 Prozent des Amazon-Umsatzes in Deutschland aus und nähert sich dem Gesamtumsatz von Otto, dem traditionellen Hauptkonkurrenten im deutschen E-Commerce.
Für Amazon-Händler hat diese Entwicklung weitreichende Konsequenzen. Die durchschnittlichen Kosten pro Klick (CPC) bei Amazon Ads liegen 2025 bei 1,04 US-Dollar, ein leichter Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Die Werbekostenquote (ACoS) variiert erheblich nach Kategorie und Wettbewerbsintensität, wobei Durchschnittswerte für Sponsored Products bei etwa 16 Prozent, für Sponsored Brands bei 17 Prozent und für Sponsored Display bei 23 Prozent liegen. Eine gängige Faustregel empfiehlt Händlern, mit Werbekosten zwischen 10 und 20 Prozent des Umsatzes zu rechnen.
Die Mechanik dieses Systems schafft eine sich selbst verstärkende Abhängigkeit: Mehr Werbung führt zu mehr Bestellungen, diese führen zu höheren organischen Rankings, was wiederum mehr Bestellungen und mehr Budget für Werbung generiert. Diese Feedback-Schleife macht Amazon-Werbung de facto unvermeidlich für jeden Händler, der auf der Plattform sichtbar bleiben will. Die Studie von Marketplace Pulse zeigt, dass der durchschnittliche Anteil, den Amazon von jedem Verkauf einbehält, von einem Drittel im Jahr 2016 auf über 50 Prozent im Jahr 2022 gestiegen ist, wobei Werbung einen zunehmenden Teil dieser Kosten ausmacht.
Die Ökonomie der Plattformabhängigkeit: Ein systemisches Risiko für Händler
Die wirtschaftliche Realität für Amazon-Händler hat sich fundamental verändert. Im Jahr 2014 behielt Amazon 19 Prozent der Händlereinnahmen ein; bis zur ersten Hälfte 2023 stieg dieser Anteil auf 45 Prozent. Die Gesamteinnahmen aus Drittanbietergebühren erreichten 2023 astronomische 140 Milliarden US-Dollar und überstiegen 2024 die Marke von 150 Milliarden US-Dollar. Wäre dieser Einnahmenstrom ein eigenständiges Unternehmen, würde es innerhalb der Fortune 25 rangieren.
Die Kostenstruktur eines typischen Amazon-Händlers setzt sich wie folgt zusammen: 15 Prozent Transaktionsgebühr (Referral Fee), 20 bis 35 Prozent für Fulfillment by Amazon einschließlich Lagerung und sonstiger Gebühren, sowie bis zu 15 Prozent für Werbung und Promotionen. Einige Händler berichten von Gesamtabgaben an Amazon von 60 bis 70 Prozent ihrer Einnahmen, wobei sie anschließend noch Inventar, Fracht, Mitarbeiter und andere Ausgaben finanzieren müssen.
Die FBA-Gebühren für Standardprodukte sind seit ihrer Einführung um 96 Prozent gestiegen, für übergroße Produkte um 74 Prozent. Die Removal Fees, also die Kosten für die Entfernung von Inventar aus dem Amazon-Lager, explodierten um 460 Prozent. Im Jahr 2024 wurden zusätzliche Gebühren eingeführt, darunter eine Low Inventory Fee von 0,32 bis 1,11 US-Dollar bei Lagerbeständen unter einem Monat, eine Inbound Placement Fee für die Einlagerung sowie Gebühren von 3 bis 5 US-Dollar für Produkte mit hoher Retourenquote.
Diese systematische Gebührensteigerung erzeugt einen klassischen Lock-in-Effekt. Die Plattform bietet Händlern Vorteile wie Zugang zu einem enormen Kundenstamm, optimierte Logistik und vereinfachte Zahlungsabwicklung. Gleichzeitig entstehen durch proprietäre Technologien, Vertragsbindungen und die Gewöhnung an bestimmte Prozesse erhebliche Wechselkosten. Händler kennen sich auf der Plattform aus, wissen, dass sie nahezu jedes Produkt finden können, und sparen sich die Registrierung bei verschiedenen Anbietern. Diese Faktoren reduzieren die Wahrscheinlichkeit eines Wechsels zu alternativen Vertriebskanälen erheblich.
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Wie Zölle und De-minimis-Aus für Temu, Shein und Amazon Haul zum Gamechanger werden
Geopolitische Dimension: Zollpolitik als Spielveränderer
Die Wettbewerbssituation zwischen Amazon und den chinesischen Plattformen wird maßgeblich von geopolitischen Entwicklungen beeinflusst. Am 2. Mai 2025 hob die US-Regierung die De-minimis-Ausnahme für Sendungen aus China, Hongkong und Macau auf, die zuvor den zollfreien Import von Waren unter 800 US-Dollar ermöglicht hatte. Diese Regelung war ein Eckpfeiler des Geschäftsmodells von Temu und Shein, die durch Direktversand aus China ohne Zollbelastung extreme Preisvorteile realisieren konnten.
Ab dem 29. August 2025 wurde die De-minimis-Ausnahme weltweit für alle Importe in die USA aufgehoben, was Zollgebühren auf sämtliche Einfuhren unabhängig vom Wert und Ursprungsland zur Folge hat. Für China gelten nach der temporären Senkung von 145 auf 30 Prozent im Rahmen eines 90-tägigen Handelsabkommens weiterhin erhebliche Zölle, die die Preisstruktur der chinesischen Plattformen fundamental belasten.
Die Auswirkungen waren unmittelbar spürbar. Temu und Shein erhöhten im April 2025 die Preise auf zahlreichen Produkten und stellten zeitweise den Direktversand aus China in die USA ein. Die Unternehmen reduzierten ihre Werbeausgaben in den USA und verlagerten ihren Fokus verstärkt auf Europa. Analysen von Tech Buzz China zeigen, dass Temu einen Teil seines Wettbewerbsvorteils verliert, wenn die Zölle 50 Prozent übersteigen.
Die Europäische Union plant ebenfalls Anpassungen. Die De-minimis-Freigrenze von 150 Euro soll als vorgezogenes Ergebnis der Zollkodex-Reform bereits im ersten Quartal 2026 abgeschafft werden. Diese Entwicklung würde die Päckchenflut ausländischer Online-Händler eindämmen und mehr Abgabengerechtigkeit herstellen, gleichzeitig aber auch die Kostenstruktur für chinesische Direktversender deutlich verschlechtern.
Trotz dieser regulatorischen Hürden zeigen sich die chinesischen Plattformen resilient. Temu hat seine Strategie angepasst und verstärkt auf lokale US-Lager umgestellt, wo Importzölle bereits abgeführt wurden. Die Prognosen für das EU-GMV von Temu sehen bis 2025 ein Volumen von über 15 Milliarden US-Dollar vor, mit potenziellem Wachstum auf über 20 Milliarden US-Dollar bis Ende 2026. Shein expandiert in Großbritannien mit Umsätzen von über 2 Milliarden Pfund und einem Wachstum von 32 Prozent.
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Amazon Haul: Die Billigoffensive als Defensivstrategie
Als direkte Antwort auf Temu und Shein lancierte Amazon im November 2024 eine eigene Discount-Plattform namens Amazon Haul, die ausschließlich über die mobile App zugänglich ist und Produkte unter 20 US-Dollar anbietet. Die Mehrheit der Produkte kostet unter 10 US-Dollar, einige sind für nur 1 bis 2 US-Dollar erhältlich. Anders als bei regulären Amazon-Bestellungen müssen Kunden bei Amazon Haul mit Lieferzeiten von ein bis zwei Wochen rechnen, da die Produkte direkt aus chinesischen Lagern versandt werden.
Dieses Modell kopiert bewusst die Strategie der chinesischen Konkurrenten: niedrige Preise durch Direktversand aus China auf Kosten der Liefergeschwindigkeit. Für Bestellungen über 25 US-Dollar entfallen die Versandkosten, bei Bestellungen über 50 US-Dollar gibt es 5 Prozent Rabatt und bei 75 US-Dollar 10 Prozent Rabatt. Artikel unter 3 US-Dollar können nicht retourniert werden.
Die strategische Logik hinter Amazon Haul ist defensiver Natur. Neil Saunders von GlobalData beschreibt die Initiative als Amazons Reaktion auf die aufstrebenden chinesischen Marktplätze, die bei preisbewussten Konsumenten Fuß gefasst haben. Er argumentiert, dass es für Amazon besser sei, eigene Umsätze zu kannibalisieren, als Marktanteile an die Konkurrenz zu verlieren. Zudem könne Amazon Haul bei jüngeren Konsumenten, die häufig auf konkurrierenden Plattformen einkaufen, gut ankommen.
Amazon Haul profitierte ursprünglich ebenfalls von der De-minimis-Regelung. Nach deren Aufhebung expandierte die Plattform nach Großbritannien und Saudi-Arabien, während das US-Geschäft mit höheren Kosten konfrontiert wird. Die Zukunft von Amazon Haul hängt damit eng mit den Entwicklungen der US-China-Handelsbeziehungen und den globalen Zollregimen zusammen.
Die Konsolidierung des Marktes: Gewinner und Verlierer
Der deutsche E-Commerce-Markt zeigt trotz der Disruption durch chinesische Anbieter eine bemerkenswerte Wachstumsdynamik. Die Top-1.000 B2C-Onlineshops steigerten ihren Netto-E-Commerce-Umsatz von 77,5 Milliarden Euro im Jahr 2023 auf 80,4 Milliarden Euro im Jahr 2024, ein nominales Wachstum von 3,8 Prozent. Für 2025 wird ein weiteres Wachstum von 5,3 Prozent prognostiziert, wobei der HDE eine Gesamtmarktgröße von 92,4 Milliarden Euro erwartet.
Die Marktkonzentration verstärkt sich dabei erheblich. Die zehn umsatzstärksten Shops wuchsen um 8 Prozent, während die übrigen 990 Shops nur um 1,3 Prozent zulegten. Der Marktanteil der Top-10 beträgt 38,8 Prozent, die Top-100 generieren 70,7 Prozent des Gesamtumsatzes. Amazon dominiert den deutschen E-Commerce mit einem geschätzten Marktanteil von etwa 60 Prozent am Online-Handel unangefochten.
Die Auswirkungen dieser Konzentration auf kleinere Händler sind signifikant. Eine Analyse von Marketplace Pulse zeigt, dass die Zahl der Amazon-Händler rückläufig ist, während die erfolgreichen Verkäufer höhere Umsätze denn je erzielen. Im Jahr 2024 erreichten 5.700 Verkäufer erstmals einen Jahresumsatz von mindestens 10 Millionen US-Dollar auf einem einzelnen Amazon-Marktplatz, verglichen mit 3.600 im Jahr 2021. Die Zahl der Verkäufer mit mindestens 100 Millionen US-Dollar Jahresumsatz stieg von 50 im Jahr 2021 auf 230.
Diese Entwicklung deutet auf eine Professionalisierung und Skalierung des Amazon-Ökosystems hin. Wer sich an die zahlreichen Vorgaben, steigenden Gebühren und den hohen Margendruck anpasst, kann überproportionale Gewinne erzielen. Gleichzeitig entwickelt sich Amazon von einer Plattform für unternehmerische Experimente zu einer professionellen Infrastruktur für etablierte Händler. Der Traffic pro Verkäufer stieg um knapp ein Drittel, was darauf hindeutet, dass erfolgreiche Verkäufer weniger um die Aufmerksamkeit der Kunden konkurrieren müssen.
Strategische Optionen: Diversifikation als Überlebensprinzip
Die strukturelle Abhängigkeit von Amazon stellt für Händler ein systemisches Risiko dar, das durch strategische Diversifikation gemindert werden kann. Der Direct-to-Consumer-Kanal (D2C) gewinnt an Bedeutung, wobei US-D2C-E-Commerce-Umsätze 2025 voraussichtlich 239,75 Milliarden US-Dollar erreichen werden, was 19,2 Prozent des gesamten Retail-E-Commerce entspricht. Der Besitz des eigenen Checkout-Erlebnisses und der First-Party-Daten wird zunehmend zur Wachstumsvoraussetzung.
Multichannel-Strategien bieten erhebliche Vorteile: erhöhte Reichweite und Sichtbarkeit, Risikominimierung durch Diversifizierung der Vertriebskanäle, verbesserte Kundenerfahrung durch Wahlfreiheit, höhere Umsatzpotenziale und wertvolle Dateneinblicke aus verschiedenen Quellen. Studien zeigen, dass Kunden, die über mehrere Vertriebskanäle einkaufen, durchschnittlich 30 Prozent mehr ausgeben als Kunden, die nur einen Kanal nutzen. Eine personalisierte Multichannel-Strategie kann zu einer 5 bis 15 Prozent höheren Conversion-Rate und 10 bis 30 Prozent höherer Kundenzufriedenheit führen.
Die Kombination von Vendor Central und Seller Central auf Amazon, das sogenannte Hybridmodell, ermöglicht eine flexiblere und breitere Risikoverteilung. Bestseller oder Kernprodukte mit hohem Verkaufsvolumen können über Vendor Central verkauft werden, während Produkte mit geringerem Volumen oder niedrigeren Margen im Seller Central angeboten werden. Neue Produkte können im Seller Central getestet und nach einer Evaluationsphase gegebenenfalls ins Vendor-Programm überführt werden.
Retail Media jenseits von Amazon entwickelt sich zu einem wichtigen Wachstumsfeld. Walmart Connect stellt zunehmend eine Konkurrenz für Amazon dar, wobei 46 Prozent der Werbetreibenden 2024 Walmart Connect nutzten, verglichen mit 24 Prozent im Jahr 2023. Walmarts Werbegeschäft wuchs 2024 um fast 30 Prozent, ein Tempo, das Amazon übertrifft. In Deutschland bauen auch Plattformen wie Zalando, Otto, Douglas oder Rewe ihre Werbesysteme massiv aus.
Das Plattformdilemma: Zwischen Abhängigkeit und Autonomie
Die ökonomische Analyse der Amazon-Gebührensenkungen offenbart ein fundamentales Paradoxon des Plattformkapitalismus. Händler profitieren kurzfristig von reduzierten Fulfillment- und Provisionskosten, werden jedoch gleichzeitig tiefer in das Amazon-Werbe-Ökosystem integriert. Die Entlastung bei den traditionellen Gebühren kompensiert Amazon durch beschleunigtes Wachstum im hochprofitablen Advertising-Segment, das mit Margen operiert, die das Kerngeschäft deutlich übertreffen.
Das Geschäftsmodell von Amazon hat sich von einem reinen Marktplatz zu einem integrierten Ökosystem entwickelt, das E-Commerce, Fulfillment, Werbung und digitale Dienste verbindet. Die Multiple Revenue Streams umfassen Drittanbietergebühren, Fulfillment-Services, Werbung, Prime-Mitgliedschaften und AWS, wobei jeder Bereich unterschiedliche Rentabilitätsprofile aufweist. Die Prime-Mitgliedschaft mit über 200 Millionen zahlenden Mitgliedern weltweit und einem Jahresbeitrag von 139 US-Dollar generiert etwa 30 Milliarden US-Dollar an wiederkehrenden Einnahmen.
Diese Diversifikation macht Amazon widerstandsfähig gegen Marktfluktuationen. Selbst wenn die Einzelhandelsumsätze sinken, sichern Prime-Abonnements, Werbung und AWS stabile Gewinne. Für Händler bedeutet diese Resilienz der Plattform jedoch eine verstärkte Abhängigkeit, da alternative Kanäle in der Regel weder die Reichweite noch die Konversionsraten von Amazon erreichen.
Die Konsequenz für Händler ist ein permanenter Balanceakt zwischen den Vorteilen der Plattformreichweite und den Risiken der Abhängigkeit. Amazon bietet Zugang zu Millionen Kunden, standardisierte Zahlungsabwicklung, effiziente Logistik und etabliertes Kundenvertrauen. Gleichzeitig kontrolliert die Plattform die Spielregeln, kann Gebühren und Algorithmen jederzeit anpassen und sammelt Daten, die potenziell zur Entwicklung konkurrierender Eigenmarken genutzt werden können.
Die Neuordnung des digitalen Handels
Die Gebührensenkungen von Amazon markieren einen Wendepunkt, dessen langfristige Auswirkungen über das unmittelbare Wettbewerbsumfeld hinausreichen. Die chinesischen Plattformen haben bewiesen, dass alternative Geschäftsmodelle selbst den etablierten E-Commerce-Giganten unter Druck setzen können. Diese Disruption zwingt Amazon zu einer Neukalibrierung seiner Preis- und Gebührenstrukturen, die Händlern kurzfristig zugute kommt.
Die Entwicklung der Zollpolitik in den USA und Europa wird maßgeblich über die künftige Wettbewerbsfähigkeit von Temu und Shein entscheiden. Die Aufhebung der De-minimis-Ausnahmen erhöht die Kostenbasis der chinesischen Plattformen erheblich und könnte ihre Preisvorteile teilweise erodieren. Gleichzeitig zeigen die Unternehmen bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit durch Umstellung auf lokale Lagerhaltung und Expansion in Märkte mit günstigeren regulatorischen Rahmenbedingungen.
Für Händler ergeben sich aus dieser Dynamik klare strategische Imperative. Die Nutzung der aktuellen Gebührensenkungen zur Optimierung von Sortimenten und Preisgestaltung ist kurzfristig sinnvoll. Gleichzeitig sollte die Abhängigkeit vom Amazon-Werbe-Ökosystem kritisch evaluiert werden. Die Entwicklung alternativer Vertriebskanäle, sei es durch eigene D2C-Shops, Präsenz auf anderen Marktplätzen oder Retail-Media-Partnerschaften jenseits von Amazon, wird für langfristige Profitabilität und unternehmerische Autonomie entscheidend sein.
Die Frage, ob Amazon seine Marktdominanz langfristig behaupten kann, wird nicht allein durch Gebührenstrukturen entschieden. Die Bereitschaft zur Anpassung an veränderte Konsumentenpräferenzen, die Fähigkeit zur technologischen Innovation und die Reaktion auf geopolitische Verwerfungen werden die künftige Position des Unternehmens bestimmen. Die aktuellen Gebührensenkungen zeigen, dass Amazon diese Herausforderungen ernst nimmt und bereit ist, kurzfristige Margenopfer für langfristige Marktanteile zu erbringen.
Die tiefgreifende Transformation des globalen E-Commerce ist damit keineswegs abgeschlossen. Vielmehr befinden wir uns am Beginn einer Phase intensivierten Wettbewerbs, in der etablierte Akteure und disruptive Newcomer um die Gunst der Konsumenten konkurrieren. Für Händler bedeutet diese Entwicklung sowohl Risiken als auch Chancen. Wer die strukturellen Veränderungen versteht und strategisch navigiert, kann von der neuen Wettbewerbsintensität profitieren. Wer hingegen passiv auf die Plattformmechanismen vertraut, riskiert, zwischen den Mühlsteinen des Preiskampfes zerrieben zu werden.
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