Agri-Solar für Obstbau: Agri-PV in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz für CO2-neutralen Obstanbau (Obst und Gemüse)
Veröffentlicht am: 23. September 2022 / Update vom: 6. August 2023 – Verfasser: Konrad Wolfenstein
Forschungsanlage der »Modellregion Agri-Photovoltaik Baden-Württemberg« von Ministerpräsident Kretschmann eröffnet
Im Rahmen des Forschungsprojekts »Modellregion Agri-Photovoltaik für Baden-Württemberg« bauen und erproben das Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee, das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE sowie elf weitere Projektpartner fünf Agri-PV Pilotanlagen in Baden-Württemberg. Heute eröffnete Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Anlage über Apfelbäumen auf dem Obsthof Bernhard in Kressbronn am Bodensee. Gefördert wird das bis 2024 laufende Forschungsvorhaben von den Landesministerien für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft sowie für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz. Innerhalb des Projekts soll das Konzept der Agri-Photovoltaik (Agri-PV) mit einem Schwerpunkt auf Kern- und Beerenobst in Baden-Württemberg im Detail untersucht werden.
»In der Agri-Photovoltaik liegt eine Riesenchance für die Landwirtschaft, für die Nachhaltigkeit und für die Energieversorgung. Mit der Modellregion Agri-Photovoltaik Baden-Württemberg wollen wir zeigen, wie doppelt ernten geht – hier zum Beispiel Sonnenenergie und Äpfel. Dafür stellen wir in den nächsten drei Jahren insgesamt knapp 2,5 Millionen Euro zur Verfügung. Die heutige Eröffnung der Anlage in Kressbronn markiert einen Meilenstein. Ich bin dankbar für die Pionierarbeit und wünsche allen Beteiligten gutes Gelingen«, sagte Ministerpräsident Kretschmann in seiner Eröffnungsrede. Die Agri-PV-Anlage in Kressbronn ist eine von insgesamt fünf Forschungs- und Demonstrationsanlagen mit einer Gesamt-Nennleistung von bis zu 1.700 Kilowatt. Sie werden in Bavendorf, Heuchlingen, Karlsruhe, Kressbronn und Oberkirch-Nußbach errichtet.
Übergeordnetes Ziel des Projekts ist, offene Fragen zur dualen Nutzung von Flächen für Landwirtschaft und Solarstromerzeugung zu beantworten. Mit der Entwicklung und dem Bau von maßgeschneiderten Pilotanlagen an fünf unterschiedlichen Standorten mit verschiedenen Obst- und Beeren-Kulturen werden die Machbarkeit verschiedener vielversprechender Anwendungsbereiche und Technologien untersucht und Auslegungsvarianten erforscht. Bei der Planung der unterschiedlichen Anlagendesigns konnten bereits erste Erfahrungen aus dem Bau einer Agri-PV-Anlage für Obstanbau in Rheinland-Pfalz einfließen.
Die Forscherinnen und Forscher des Kompetenzzentrums Obstbau Bodensee (KOB) und des Fraunhofer ISE analysieren bei der Agri-PV-Anlage in Kressbronn das Pflanzenwachstum unter den Modulen im Detail. »Dazu zählen neben der Untersuchung der Effekte variierender Beschattung auf Wachstum und Ökophysiologie der Äpfel auch Forschungsaktivitäten zu den Auswirkungen des Pflanzenschutzmitteleinsatzes auf die PV-Module«, erklärt Oliver Hörnle, Projektleiter am Fraunhofer ISE. Dr. Ulrich Mayr, stellvertretender Geschäftsführer des KOB ergänzt: »Für uns ist die Agri-PV ein weiterer wichtiger Baustein zur nachhaltigen Obstproduktion am Bodensee: eine geschützte und dadurch sichere und qualitativ hochwertige Apfelproduktion mit zusätzlicher Solarstromproduktion.«
»Wir erzeugen schon seit 2010 auf den Dächern unserer Wirtschaftsgebäude Sonnenstrom und fragten uns: könnten wir auch mit den Hagelnetzen über unseren Obstanlagen Strom produzieren? Das Resultat ist die erste Agri-PV-Anlage über einer bestehenden Obstanlage. Die überbaute Fläche ist circa 0,4 Hektar groß, die Anlage hat eine Nennleistung von knapp 250 Kilowatt«, berichtet Landwirt Hubert Bernhard von seiner Motivation, Anbaufläche für die Pilotanlage bereitzustellen.
In Rheinland-Pfalz erste Agri-PV-Anlage für CO2-neutralen Obstanbau im Test
Im Forschungsprojekt »Agri-PV Obstbau« hat das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE gemeinsam mit weiteren Forschungspartnern auf dem Bio-Obsthof Nachtwey in Gelsdorf in Rheinland-Pfalz eine Agri-PV-Forschungsanlage für Äpfel und Spalierobst errichtet. Sie ist die erste Anlage dieser Art in Deutschland. Die Gesamtversuchsfläche des Forschungsprojekts umfasst ca. 9100 Quadratmeter, die Agri-PV-Anlage mit einer Leistung von 258 kWp wurde auf circa einem Drittel der Fläche des Areals installiert. Übergeordnetes Ziel des durch das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, und Mobilität des Landes Rheinland-Pfalz (MKUEM) und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geförderten Vorhabens ist es, die Klimaresilienz im Obstbau zu steigern und eine sichere und nachhaltige Apfelproduktion mit zusätzlicher Solarstromerzeugung zu gewährleisten.
Im Rahmen des Projekts mit einer Gesamtlaufzeit von fünf Jahren sollen an acht Apfelsorten zahlreiche Forschungsfragen untersucht werden.
Das Projekt vergleicht zunächst die Apfelerzeugung am gleichen Standort unter vier unterschiedlichen Kulturenschutzsystemen: Folienschutz (nicht regendurchlässig), Hagelschutz (regendurchlässig) und Agri-PV mit festinstallierten, lichtdurchlässigen PV-Modulen (nicht regendurchlässig) sowie nachgeführten PV-Modulen (bei Bedarf regendurchlässig). Dabei kommen zwei verschiedene Modultypen mit unterschiedlich angeordneten Solarzellen (Streifen- bzw. Blockmuster) zum Einsatz. Es soll untersucht werden, inwiefern Agri-PV-Anlagen die Pflanzen und Früchte vor schädlichen Umwelteinflüssen wie Hagel, Starkregen, Sonnenbrand, Frost oder extremen Temperaturen bewahren können. Darüber hinaus wird getestet, inwiefern sich unterschiedliches Lichtmanagement durch verschiedene PV-Modulkonfigurationen auf das Pflanzenwachstum und die Agrarerträge auswirkt. Des Weiteren soll die Anlage im Hinblick auf Landschaftsästhetik, Wirtschaftlichkeit, Sozialverträglichkeit sowie pflanzenbauliche Parameter untersucht werden.
Stephan Schindele, Head of Product Management Agri-PV kommentiert das Projekt: »Wir sehen in Agri-PV eine langfristige Lösung, um Landwirte dabei zu unterstützen, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Wir können das bisherige Ökosystem erhalten und durch Synergieeffekte und die Solarstromerzeugung sogar aufwerten. Nachdem wir in den Niederlanden sehr erfolgreich professionellen Beerenanbau unter Agri-PV realisiert haben, gehen wir in Gelsdorf den wichtigen Schritt Richtung Spalierobst. Wir haben erkannt, dass die Potenziale und Synergien für Agri-PV kombiniert mit Apfel, Birnen, Kirschen, Kiwi und weiteren Dauerkulturen beachtlich sein können. Diese Potenziale möchten wir dauerhaft erschließen und einen weiteren Ausbau der Photovoltaik ohne Einschränkung von Agrarerträgen ermöglichen.«
Ökonomische Vorteile für Landwirte
Neben der Anpassung an den Klimawandel und dem Schutz des Agrarguts sollen durch das Agri-PV-Projekt in Gelsdorf auch ökonomische Vorteile für Landwirte aufgezeigt werden. Diese schließen mitunter dauerhaft geringere und besser kalkulierbare Energiekosten, weniger Investitionskosten in Kulturenschutz sowie weniger Betriebsmittel- und Müllentsorgungskosten mit ein.
Andreas Steinhüser, Stellvertretender Gruppenleiter Agri-Photovoltaik am Fraunhofer ISE: »Das Forschungsprojekt ,Agri-PV Obstbau‘ soll nicht nur Möglichkeiten aufzeigen, CO2-Emissionen in der Landwirtschaft zu reduzieren, sondern auch die Verwendung kurzlebiger Materialien und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Fungiziden zu vermeiden und so entscheidend zum Klimaschutz beizutragen. Darüber hinaus nehmen wir auch noch gesellschaftliche Fragen, wie Akzeptanz und Sozialverträglichkeit in den Fokus, da diese Aspekte bei der weiteren Verbreitung der Agri-PV eine entscheidende Rolle spielen werden.«
Der durch die Agri-PV-Anlage erzeugte Strom kann in den der Apfelproduktion vor- und nachgelagerten Bereichen genutzt werden. Zum einen wird der von der AGCO GmbH zur Verfügung gestellte batterieelektrische Traktor Fendt 100 Vario mit dem Strom aus der Anlage geladen. Zum anderen wird die Energie auch dazu genutzt, das Bewässerungssystem mit Agri-PV-Eigenstrom zu versorgen. Das Kühllager wird bereits heute von einer PV-Dachanlage mit Grünstrom versorgt. Insgesamt wird durch die Umsetzung eines betrieblichen Energiekonzepts versucht, die CO2-Emissionen auf dem Hof durch eine solare Elektrifizierung maßgeblich zu reduzieren.
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