Versorgungslücken ländlicher Regionen – schließen
Veröffentlicht am: 15. September 2020 / Update vom: 6. Oktober 2020 – Verfasser: Konrad Wolfenstein
90 % der Fläche in Deutschland sind ländlich geprägt. Etwa 47 Millionen Menschen leben auf dem Land, also mehr als die Hälfte der Einwohner. Über 80 Prozent der Fläche Deutschlands werden für Lebensmittel und Rohstoffversorgung land- und forstwirtschaftlich genutzt.
Bei solchen Zahlen möchte man glauben, dass hier alles in Ordnung ist. Ist es aber nicht wie auch schon die Überschrift verrät. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass das Stadtleben die Lösung ist. Auch die Urbanisierung hat große Herausforderungen, die es zu meistern gilt.
Während die ländliche Region sich von den aktuellen Entwicklungen abgehängt fühlt, gibt es in den wachsenden Städten um die Rückgewinnung und Sicherung urbaner Freiräume. In den Großstädten ist eine Stadtflucht (Suburbanisierung) in das städtische Umland (Vorstadt bis Einzugsgebiet) festzustellen. Sei es aufgrund der steigenden Lebenshaltungskosten oder Verdrängung durch Geschäfte und Unternehmen.
Es ist daher schwierig genau zu definieren, wo die ländliche und die urbane Region beginnt.
Urbaner Lebensraum
Drei Punkte Kennzeichnen einen urbanen Lebensraum:
- Konzentrierte Arbeitsmarktsituation
- Mobilität von Personen und Gütern
- Infrastruktur, organisatorischer und wirtschaftlicher Unterbau
Weist eines dieser Punkte eine Lücke auf, so kann man davon ausgehen, dass in den anderen Bereichen ebenso Lücken vorhanden sind. Wenn wir das in Industrieländern auf die ländliche Region übertragen, heißt das jedoch noch lange nicht, dass es sich hier schlechter lebt. Im Vergleich zu den überteuerten Lebenshaltungskosten in den Innenstädten ist das ländliche Leben sehr wohl eine Alternative. Jedoch ist das Angebot in den drei Bereichen verhältnismäßig überschaubar und die Anstrengung immens höher, um eines der Lücken auszufüllen.
Es ist immer von Fall zu Fall verschieden, wann wir von einer individuellen Land- oder Stadtflucht sprechen. Die Tendenz aber liegt eindeutig in der Landflucht.
Probleme bei der Land-Kultivierung
Man kann auch feststellen, je näher die ländliche Region zu einer Großstadt (Innenstadt, Vorstadt bis Einzugsgebiet) liegt, desto geringer ist die Landflucht aus dem Umland. Bei guter Autobahnanbindung (Infrastruktur) sind viele bereit, auch 100 km mit dem Auto aus der ländlichen Region in die urbane Welt zur Arbeit zu fahren. Die Kosten sind trotzdem noch geringer als die urbanen Lebenshaltungskosten insgesamt. Auch der Aspekt bezüglich der Fahrtzeit ist relativ. Zu Stoßzeiten kann es sogar sein, dass man aus dem Umland schneller zum Arbeitsplatz gelangt als von der Innenstadt selbst, weil Verkehr und Stau die Straßen völlig überlasten.
Manch einer hatte auch die Hoffnung, dass das Internet eine Suburbanisierung begünstigt und so vor allem die Probleme des Straßenverkehrs oder die Wahl der Niederlassung von Unternehmen entspannt.
Tatsächlich aber ist alles komplizierter geworden. Der Breitbandausbau auf dem Land geht schleppend voran. Mit der Professionalisierung des E-Commerce kommen auch die Versorgungslücken auf der „Letzten Meile“ zum Vorschein. Die Logistik kommt dem Wachstum kaum hinterher. Den Paketdiensten mangelt es an Fahrern, die Arbeitsbelastung ist hoch. Die Probleme potenzieren sich, vor allem wenn der erste Zustellversuch fehlschlägt. Man muss wissen, dass auf der letzten Meile die 50 % der Kosten bei der Zustellung liegen, so der Logistik-Professor Kai-Oliver Schocke von der Frankfurt University of Applied Sciences. „Da kann ein Paketdienstleister viel falsch machen. Hier entscheidet sich, ob er Erfolg hat oder nicht.“ Bei drei Zustellversuchen verdreifacht sich auch der Kostenaufwand.
Weiteres Ungemach droht mit dem Ärztemangel in den ländlichen Regionen. Kaum bemerkt, aber in Abhängigkeit verschlechtert sich auch die Versorgung mit Apotheken. Denn durch den Ärztemangel fehlender verschreibungspflichtiger Medikamente verstärkt der fehlende Mindestumsatz ebenso das Apothekensterben. Während die urbanen Regionen medizinisch überversorgt sind, droht den ländlichen Regionen die Unterversorgung. Der Besuch des nächsten Hausarztes kann mit den öffentlichen Verkehrsmitteln mehrere Stunden in Anspruch nehmen. Das ist nicht nur ein Problem für die Senioren, das entpuppt sich auch als Versorgungslücke für Diabetiker und andere Patienten, die auf regelmäßige ärztliche Hilfe angewiesen sind.
Die letzte Meile
Es lassen sich noch einige weitere Punkte aufzählen. Kurzum, die ökonomische Geografie in Deutschland ist gekennzeichnet von ausgeprägten Unterschieden in den regionalen Entwicklungen und den wirtschaftsstrukturellen Gegebenheiten.
Die vielen Herausforderungen lassen sich nicht mit einzelnen Maßnahmen beheben. Der Breitbandausbau ist nicht der Heilsbringer. Und wer zur See fahren will wird sein Glück auch nicht in München finden. Die berufliche Perspektive ist auch in Großstädten an den wirtschaftlichen Gegebenheiten gebunden.
Interessanterweise findet sich in nahezu jeder Einöde irgendwo ein Pizza-Lieferdienst. Ebenso ist das Tankstellen-Netz trotz rückläufigen Zahlen dennoch weiterhin weit verzweigt. Es ist also nicht hoffnungslos, es muss nur besser organisiert werden.
Wenn man genauer hinsieht, bestehen die Versorgungslücken in den ländlichen Regionen vor allem auf der letzten Meile.
Großversorger beliefern von ihrem Zentrallager ihre Regionallager in den verschiedenen Bundesländern. Von hier aus werden die eigenen Verkaufsflächen wie Märkte, Läden und Einkaufscenter bedient.
Die Standorte der einzelnen Verkaufsflächen orientieren sich an Einwohnerzahl, Einkommen, Infrastruktur und deren Einzugsgebiete.
Um die Versorgungslücken in den ländlichen Regionen zu schließen, fehlt es an regionalen Kleinlager (RKL), die sich nicht an der Einwohnerzahl orientieren, sondern an den verschiedenen Kleinläden, Dorfläden, Tante-Emma Läden oder sonstigen Verkaufsflächen, z.B. in Tourismusgebieten.
Integrationsleistungen in der Logistik forcieren
Hierbei bekommen die Integrationsleistungen eine besondere Bedeutung: Die Bündelung der Mobilität von Gütern.
Was im urbanen Raum aufgrund der kurzen Wege keine Notwendigkeit hat, ist der Turbo im ländlichen Raum.
Ein Logistik-Hub für alle Pakete und Güter von Paketdienstleistern, der Lebensmitteleinzelhändler bis hin zu den Händlern der verschiedensten Güter. Von diesem Verteilerzentrum werden die regionalen Verkaufsflächen angefahren und beliefert.
In dem nicht jeder für sich wie ein Einzelkämpfer versucht, seine Ware auf der letzten Meile erfolgreich abzuliefern, führt die Bündelung zu einer höheren und wirtschaftlichen Auslastung der Dienstleister.
Ob E-Commerce oder der Lebensmitteleinzelhändler, jeder partizipiert am Erfolg der Mobilität der Güter des anderen.
Regionale Kleinteilelager (RKL)
Der Erfolg eines solcher RKL’s hängt auch von den zwei wichtigen Faktoren ab:
- Automatisierung
- Autonomie
Mehr dazu auch in unserem Fachartikel „CO2 Neutralität – Von Amazon lernen„.
Als kleiner Ausblick wäre die Anbindung weiterer mobiler Güter an ein RKL die Folge:
- Speditionen
- Pizza-Lieferdienst
- Benzin/Diesel, E-Ladestation
- Sonstige Liefer- und Notdienste
Im Vergleich zur Urbanisierung ist die Land-Kultivierung (Country Cultivating) die Antwort für die Zukunft der ländlichen Regionen.
Und das gibt es schon: Von der Theorie zur Praxis!
Nach all den theoretischen Erwägungen gibt es das tatsächlich schon! Nicht in Deutschland und nicht in Europa.
Ein solches System von lokalen dezentralen Hubs finden wir in Japan. Die japanische Regierung ist schon ein paar Schritte weiter. Sie plant u.a. bis 2050 alle 50.000 im Land verteilten Konbinis, sogenannte kleine Gemischtwarenläden zu automatisieren. Hierfür soll die RFID Technologie zum Einsatz kommen. Dies ist unabdingbar für eine vollumfängliche Automatisierung.
Mehr dazu:
- Japan arbeitet bereits an der Zukunft von morgen
- Urbanes Wachstum – Wie Japan die Weichen für die Zukunft stellt
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Für die Zukunft wird entscheidend sein, wie wir die Infrastruktur unserer Schlüsselindustrien sichern!
Hierbei bekommen drei Bereiche einer besonderen Bedeutung zu:
- Digital Intelligence (Digitale Transformation, Internet Access, Industrie 4.0 und Internet of Things)
- Autonome Stromversorgung (CO2 Neutralität, Planungssicherheit, Sicherheit für die Umwelt)
- Intralogistik/Logistik (Voll-Automatisierung, Mobilität von Gütern und Menschen)
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