Kommt sie, die Lagerlogistik ohne Menschen?
Veröffentlicht am: 7. Juli 2017 / Update vom: 27. September 2021 – Verfasser: Konrad Wolfenstein
Die Megatrends Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung prägen die Abläufe unseres täglichen Lebens. Zugleich sind sie ein wichtiger Faktor für die Wirtschaftskraft der führenden Industrienationen, die die Technik durch permanente Innovation beständig vorantreiben. Immer präzisere Hardware und eine von Jahr zu Jahr leistungsfähigere Software ermöglichen Systemlösungen, die in immer mehr Bereichen die Arbeit menschlicher Fachkräfte erledigen. Auch die Logistik ist hiervon betroffen und es stellt sich die Frage, ob wir vor einer Ära des Lagers ohne Menschen stehen.
Für viele Menschen sind Roboter aus dem Alltag gar nicht mehr wegzudenken. So ist der Einsatz von Industrierobotern im produzierenden Gewerbe schon lange Standard. Die Logistik hatte hier bisher noch Nachholbedarf. Dies liegt vor allem daran, dass Roboter mehr oder weniger blind und taub sind. Es mangelt ihnen nicht an Kraft, sondern an den Sinnen des Menschen. Und um mit im Lager reibungslos zu funktionieren, werden zukünftige Robotergenerationen eben diese Sinne beherrschen müssen.
Noch ist besonders das Greifen von heterogenen Gegenständen ein Problem. Trotzdem werden Roboter im Lager immer häufiger eingesetzt. Nach einer Umfrage von Jones Lang LaSalle unter 200 europäischen Logistik-Experten gaben etwa 50 Prozent an, bereits Automatisierungstechniken im Lager zu nutzen. Von diesen setzten 55 Prozent bereits Roboter ein.
Roboter verändern die Logistik
Und der Markt ist weiter in Bewegung. Dies liegt nicht zuletzt am starken Wachstum der Logistikbranche und dem daraus resultierenden Mangel an Arbeitskräften. Die höhere Leistung von automatisierten Prozessen in Punkto Präzision, Geschwindigkeit und Betriebsdauer ist ein weiterer Grund für den Trend zum Roboter.
Keine Frage, bis zum voll automatisierten Warenlager samt automatischer Auslieferung per Drohne oder Roboter bis an die Haustür ist es noch ein weiter Weg. In Ansätzen ist die Entwicklung aber bereits sichtbar. Der Internetgigant Amazon geht hier mit der Einbindung des Roboters Kiva in seine Lagerlogistik wieder einmal voran. Mit dem Kiva werden die Waren automatisch zu den Kommissionerplätzen befördert, was dem Personal die Laufwege erspart. Inzwischen sollen über 13.000 der wendigen Einheiten in Amazons Versandzentren unterwegs sein.
Pick-Roboter übernehmen den Job von Lagerarbeitern
Neben Amazons Kiva-System gibt es eine ganze Reihe weiterer Entwicklungen, die den Einsatzbereich von Robotern in der Intralogistik immer weiter ausdehnen. Eine Pick-Kombi aus zwei Robotern kommt von der US-Firma Fetch Robotics. Das Duo erledigt seine Aufträge selbstständig und steuert auf seinen Rollen autonom durchs Lager. Am Regal entnimmt das Modell Fetch mit seinem ausfahrbaren Greifarm den bestellten Artikel. Sein Partner Freight ist mit einem Korb ausgerüstet, in den die Ware gelegt wird. Ist der Korb gefüllt oder der Auftrag fertig bearbeitet, transportiert er die Ware zur Kommissionierstation. Hier wartet – noch – der Lagerarbeiter, um die Waren weiter zu bearbeiten.
Einen weiterführenden Ansatz verfolgt das Münchener Unternehmen Magazino mit dem Transportroboter Toru. Ähnlich wie Fetch navigiert dieser selbstständig durch die Reihen und arbeitet Picklisten ab, um die Ware nach Beendigung des Auftrags zur Kommissionierstation zu bringen. Dort kommt ein weiterer Magazino-Roboter zum Einsatz. Dieser nimmt die gelieferten Waren mittels Scanner und Kamera an, identifiziert sie und bereitet sie für den Versand oder die nächste Produktionsstufe vor. Der kombinierte Einsatz beider Geräte ermöglicht es, ein herkömmliches Fachbodenregallager ganz ohne menschliche Arbeitskraft zu bewirtschaften. Aber nicht nur dort macht der Einsatz der elektronischen Helfer Sinn: Auch automatische Lagersysteme können von dem Einsatz der Kommissionierstation profitieren. Denn auch bei diesen Bereitstellungssystemen lässt sich der Roboter anstelle der sonst üblichen Packstation an der Entnahmeöffnung integrieren – also genau dort, wo bisher der Lagerarbeiter steht.
Statt der ausschließlichen Roboternutzung baut der Baxter, eine Roboterlösung von Rethink Solutions auf die sichere Zusammenarbeit Mensch-Maschine. Im Gegensatz zu herkömmlichen Industrierobotern gehört der Baxter zu der Generation kooperativer Roboter, die in enger Zusammenarbeit mit dem Menschen interagieren. Mit Hilfe seiner Sensoren und Kameratechnologie scannt er permanent seine Umgebung und verlangsamt das Tempo, sobald Menschen in der Nähe sind. Zudem nutzt er seine Kameraaugen, um Gegenstände zu identifizieren und zu greifen.
Mittelweg bei der Mensch-Maschine-Kollaboration
Alle diese Ansätze zeigen auf, in welch großem Umfang die menschliche Arbeitskraft bereits ersetzt werden kann. Allerdings sind diese Lösungen zumeist mit hohen Investitionen in die Lagertechnik verbunden. Nicht zuletzt deshalb setzen Logistiker immer mehr auf Systeme, die den parallelen Einsatz von Mensch und Roboter fördern. Dabei müssen es nicht unbedingt immer Robotersysteme sein, die den Menschen unterstützen. Inzwischen gibt es ein vielfältiges Angebot an Remote-Lösungen, mit denen Lagerprozesse ortsunabhängig gelenkt werden können. So ist das Handling dieser Prozesse mit mobilen Handhelds mittlerweile weit verbreitet. Ein weiteres Beispiel wäre der Einsatz von Drohnen zur Kontrolle der Lagerbestände. Die wendigen Fluggeräte können von einem Mitarbeiter am Arbeitsplatz gesteuert werden, wodurch die weiten Wege, die ansonsten bei einer Inventur anfallen, entfallen. Neben fahrerlosen Transportsystemen sorgen auch diese Techniken dafür, dass ein Lager von immer weniger Beschäftigten betreten werden muss.
Ein zusätzlicher Innovationsschub könnte durch die zunehmende Verbreitung virtueller Entwicklungen kommen: Viele Aufgaben im Lager, wie beispielsweise die Steuerung von Transportfahrzeugen oder auch der angesprochenen Lagerdrohnen kann mit Hilfe von Virtual Reality-Lösungen optimiert werden. Durch das Tragen einer VR-Brille haben die Beschäftigten die Hände für zusätzliche Tätigkeiten frei und bekommen darüber hinaus sämtliche relevanten Informationen direkt in das Display der Brille eingespielt. Da der Ansatz noch vergleichsweise neu ist und die individuellen Anforderungen äußerst unterschiedlich sind, bietet sich vor Einführung von VR die Einbeziehung eines Spezialisten an, der mit dem Thema vertraut ist und Unternehmen wichtige Hilfestellung leisten kann.
FAZIT
Nach Meinung von Experten wird der zunehmende Einsatz von Robotern in der Intralogistik die Produktivität enorm erhöhen. Dazu kommt, dass er die Standortstrategie von Logistikunternehmen beeinflussen wird, da der Faktor Lohnkosten stark an Bedeutung verlieren wird. Es scheint also nicht mehr eine Frage des ob?, sondern bloß noch des wann? zu sein, bis sich die Robotik flächendeckend in der Logistik durchsetzen wird.