Retourenmanagement: Herausforderung für die Lagerlogistik
Veröffentlicht am: 16. Mai 2014 / Update vom: 25. November 2018 – Verfasser: Konrad Wolfenstein
Einführung
Der e-Commerce-Markt ist seit Jahren von stetig anwachsenden Umsätzen gekennzeichnet und so ist es nicht verwunderlich, dass im Gleichschritt mit den steigenden Absätzen immer höhere Mengen an Retouren zu verzeichnen sind. Von Kunden zurückgesendete Waren stellen somit eine immer größere Herausforderung für Online-Händler dar, was ein gezieltes Retourenmanagement zu einem mitentscheidenden Erfolgsfaktor für den Geschäftserfolg der Unternehmen macht. Dabei setzt ein erfolgreiches Retourenmanagement nicht erst bei der möglichst effizienten Bearbeitung der tatsächlich eingetretenen Retouren an, sondern beinhaltet darüber hinaus bereits im Vorfeld des Kaufprozesses vorbeugende Planungen zur Vermeidung von Retouren. Dazu gehören beispielsweise eine möglichst detaillierte Gestaltung der Warenbeschreibung oder eine optimierte Kommunikation mit dem Kunden, die diesem die Möglichkeit gibt, sich vor, während und nach dem eigentlichen Kauf mit dem Händler in Verbindung zu setzen. Auch finanzielle Aspekte wie die Auswahl geeigneter Zahlungsmöglichkeiten (PayPal, Kreditkarte, etc.) gehören dazu.
Im Folgenden skizzieren wir die Herausforderungen, welche durch den Anstieg der Retouren entstehen und wie Unternehmen ihre Lagerlogistik darauf einstellen.
Retouren – gerade in Deutschland ein großes Problem
Von Retouren besonders betroffen sind Händler aus der Bekleidungsindustrie, wo die Retourenquote durchschnittlich bei 35-40 % liegt. Je nach Unternehmen schwanken die Quoten stark, sodass im ungünstigsten Fall Werte von bis zu 60 % erreicht werden. Der Hauptgrund für Retouren in der Bekleidungsbranche ist, dass Kunden die Ware erst nach Lieferung anprobieren können. Nach einer Studie der Universität Regensburg kalkulieren 4 von 10 Kunden bereits beim Kauf die Rücksendung der Ware bewusst mit ein. Die Studie kam gleichzeitig zu dem Ergebnis, dass Onlinehändler bis zu 10 Euro pro Retoure ausgeben müssen, wobei fast 70 % der Kosten auf Bearbeitung und Wiedereinlagerung der Waren entfallen.
Eine effiziente Retourenabwicklung ist für die Onlinehändler von daher unumgänglich, um erfolgreich im Wettbewerb bestehen zu können. Ihr Nutzen lässt sich leicht anhand eines Beispiels veranschaulichen: Ein Onlineshop mit einem jährlichen Aufkommen von 1,5 Mio. Sendungen hat eine Retourenquote von 40 %. Bei jährlichen Lohnkosten in Höhe von 30.000 Euro pro Beschäftigtem würde jede, pro Retoure eingesparte Minute einer jährlichen Einsparung von 180.000 Euro gleichkommen.
Für den Bereich der Lagerlogistik bedeutet dies zum einen den permanenten Druck zur Optimierung der transportlogistischen Prozesse (effiziente Standortstrategie, leicht handelbare Verpackungen, etc.). Vor allem aber setzt es die optimale Ausgestaltung der internen Abwicklungsprozesse voraus, was oftmals mit hohen Investitionen in die Lagerhaltung einhergeht.
Retouren und Lagerhaltung
Shuttle-Systeme managen Prozesse in Europas größtem Retourenbetrieb
Im Gleichschritt mit der Zunahme von Retouren nimmt die Bedeutung des professionellen Handlings zurückgegebener Ware zu. So hat die 100%ige Tochter des Otto-Versands, die Hermes Fulfilment GmbH ihren Retourenbetrieb in Hamburg seit 2010 kontinuierlich zum inzwischen größten Retourenbetrieb Europas ausgebaut. Rund 1.200 Beschäftigte bearbeiten dort in einem Drei-Schicht-Betrieb auf 13.500 Quadratmetern zwischen 50 und 60 Millionen zurückgegebene Teile pro Jahr. Hierzu investierte das Unternehmen in die Installation des weltweit größten Shuttle-Lagerystems. Herzstück des neuen Retourenlagers ist ein dynamisches OSR-Shuttle-System mit rund 176.000 Stellplätzen. Daraus ergibt sich eine Lagerkapazität von rund 1 Mio. Artikeln, von denen in Spitzenzeiten bis zu 15.000 Stück pro Stunde bearbeitet und kommissioniert werden können. Auf diese Weise gelingt es dem Versandhaus, die zurückgeschickten Waren schnell und mit einem hohen Automatisierungsgrad zu bearbeiten, zu prüfen und für den Wiederverkauf vorzubereiten.
Mit Hilfe eines vollelektronisch laufender Sortierroboters (des sogenannten Sorters) wird die automatische Beförderung der Retouren vom Wareneingang bis zur Wiedereinlagerung ermöglicht. Seit Einführung dieses Systems kann die zurückgegebene Ware noch effizienter bearbeitet, schneller in den Shuttle-Hochregallagern eingelagert und zügiger zum erneuten Versand freigegeben werden. Die dazu installierte vollautomatische Erfassung von Bestelldaten und Rücksendegründen über computergestützte Kameras führt darüber hinaus zu einer zusätzlichen Steigerung der Produktivität. So konnte die betriebliche Durchlaufzeit von Textilienretouren auf eine Stunde reduziert werden, was die Kosten für Bearbeitung und Neukommissionierung der Artikel in hohem Maße verringerte.
Der Retourenprozess im Lager
Im Folgenden veranschaulichen wir den Prozess am Beispiel des Retourenlagers von Hermes Fulfilment in Hamburg. Die Retourenverarbeitung umfasst dabei folgende Schritte:
- Wareneingang
- Warenvorbereitung
- Warenbeurteilung
- Verpackung
- Wiedereinlagerung
Ziel ist dabei in jedem Schritt die Reduzierung der eingesetzten Ressourcen auf das Nötigste, um den Retourenprozessso kurz wie möglich zu halten.
WARENEINGANG
Im Wareneingang des Hamburger Lagers erleichtern flexible Teleskopförderer die Entladung der ankommenden Container. In diesem Bereich legen die Mitarbeiter alle eingehenden Päckchen, Tüten und Pakete mit Retouren in gleich großen Abständen und mit den Strichcodes der Rücksendeetiketten nach oben auf die Förderbänder. Auf diese Weise erfassen die Scanner die Rücksendungen einzeln und mit einer sehr geringen Fehlrate. Über insgesamt sechs Transportbänder gelangen die Rücksendungen in die Warenvorbereitung.
WARENVORBEREITUNG
Hier steuert der Sorter sowohl den Warenfluss als auch die Auslastung der Arbeitsplätze in der Warenvorbereitung. Er ordnet und transportiert die Retourensendungen über Rutschen an die einzelnen Arbeitsplätze, wobei dort angebrachte Fotozellen die zugeteilte Arbeitsmenge stetig überwachen, so dass Überlastungen der jeweiligen Arbeitsstationen mit Paketen unmöglich sind.
Die Beschäftigten entpacken die Rücksendungen, führen eine erste Kontrolle der kundenbezogenen Daten durch und entsorgen das Verpackungsmaterial. Dann werden die einzelnen Artikel per Förderband zur Warenbeurteilung geschickt. Die entpackten Artikelwerden an computergestützten Kameras auf den Sorter geschleust. Dabei erkennen die Kameras sämtliche kunden- und warenbezogenen Daten und registrieren zudem, aus welchen Gründen die einzelnen Artikel zurückgeschickt wurden.Können die Kameras die Daten auf den Rücksendeetiketten nicht zweifelsfrei identifizieren, werden die Rücksendungen über eine automatische Hebevorrichtung zur manuellen Sondererfassung geleitet.
WARENBEURTEILUNG
Den Großteil der eintreffenden Retouren stellen Textilien. An knapp 200 rechnergestützten Arbeitsplätzen werden die Artikel zunächst anhand ihrer Strichcode-Etiketten identifiziert. Die Mitarbeiter scannen den Artikel und prüfen, ob die Ware mit den angegebenen Daten übereinstimmt. Die in der Warenbeurteilung beschäftigten Mitarbeiter verfügen dabei über ein speziell geschultes Fachwissen zur sorgfältigen Prüfung aller Artikel auf Neuwertigkeit.
Bis zu 98 Prozent der zurückgeschickten Textilwaren gelangen so wieder in den Verkauf und nur etwa zwei Prozent gehen in die Nachbearbeitung. Anschließend können 80 Prozent davon wieder als neuwertig in den Warenbestand integriert werden.
In den Fällen, in denen ein zurückgesendeter Artikel als nicht neuwertig erklärt wird, wird er entweder an den Hersteller zurückgeschickt, mit einem Preisabschlag weiterverkauft, beziehungsweise vernichtet.
VERPACKUNG
Sind die Artikel als neuwertig beurteilt, so werden sie in den meisten Fällen automatisch neu verpackt. Dazu werden sie über ein Förderband zu einer der Folienverpackungsmaschinen befördert, wo sogenannte Polypacker die Artikel automatisch in Folie verschweißen und sie mit neuen Strichcode-Etiketten versehen. Pro Gerät können dabei mehr als 1.000 Artikel in der Stunde eingeschweißt werden. Danach lenkt der Sorter den Großteil der Artikel zur Wiedereinlagerung.
WIEDEREINLAGERUNG
Größere Teile und Schuhe werden manuell sortiert. Der Rest der Artikel wird jedoch automatisch in Retourenwannen gesammelt und für den sofortigen Wiederverkauf vorbereitet. Anhand von Artikelstrichcodes, Volumenangaben sowie Mengenbeschränkungen kann der Sorter diese Wannen optimal zusammenstellen und auslasten.
Förderbänder transportieren die gefüllten Behälter zum Warenausgang und zu den entsprechenden Verladestellen. Dort werden sie vollautomatisch für den Transport verladen.
Vereinfachung der Rücksortierung durch dynamische Zwischenpuffer
Allerdings müssen Retouren, die für den Wiederverkauf bestimmt sind, nicht zwingend in das ursprüngliche Lager zurückbefördert werden. Unter Umständen bietet sich für diese der Einsatz in einem dynamischen Zwischenpuffer an, in welchem Händler (hauptsächlich schnelldrehende) Waren an besonders einfach zugänglichen Orten im Lager bis zum Verkauf vorhalten. Der Vorteil dieser Zwischenpuffer liegt einerseits in der verkürzten logistischen Durchlaufzeit und der damit schnelleren Wiederverfügbarkeit der Ware für den Verkauf. Andererseits geht mit ihm die Reduzierung des anfallenden Aufwands für die Rücklagerung der Retouren einher. Ihr Einsatz ist jedoch nicht immer wirtschaftlich sinnvoll, setzt er doch eine „kritische“ Masse an vorhandenen Waren voraus, um wirtschaftlich betrieben werden zu können. Von daher kann in diesem speziellen Fall ein Mehr an Retouren die Einrichtung eines Zwischenpuffers erst sinnvoll machen.
Strategien zur Vermeidung von Retouren
Das Problem der außerordentlich hohen Quoten von Rückläufern ist kein rein deutsches, allerdings ist hierzulande die Lage in diesem Bereich besonders angespannt. Warum aber sieht die Situation in Frankreich oder England so viel anders aus? Die dortigen Onlinemärkte sind dadurch gekennzeichnet, dass die Kunden bis zu viermal weniger Produkte als ihre deutschen Mitkäufer zurückschicken.
Die Retourenvermeidung kann hier zuerst einmal an der Tatsache ansetzen , dass die europäischen Nachbarn ihre Zahlungen lieber mit der Kreditkarte oder Vorkasse, teilweise auch mit Schecks (in Frankreich) tätigen. Laut Händleraussagen steht die Retourenquote dabei in direktem Zusammenhang mit den angebotenen Zahlungsverfahren. In Deutschland bestellen die Endkunden zu knapp zwei Dritteln auf Rechnung. Sie sind es gewohnt, die Ware erst zu bezahlen, wenn sie sie behalten. Das verleitet den Endkunden dazu, mehr zu bestellen, als er tatsächlich behalten möchte. Die Folge: Durchschnittlich vier von zehn bestellten Artikeln gehen nach Branchenangaben zurück an den Absender. Damit sind die Deutschen Europameister im Zurückschicken von Waren. In Frankreich versenden die Händler beispielsweise zu 90 Prozent erst nach Vorkasse, wodurch die Hemmschwelle, den gekauften Artikel zu retournieren, stark ansteigt.
Die Hinzunahme von Kreditkartenzahlungen und gleichzeitige Reduzierung der Zahlungen auf Rechnung stellt für Unternehmen somit einen ersten Schritt zur Verbesserung der Retourenquote dar.
Darüber hinaus kommen Umfragen unter beteiligten Händlern immer wieder zu dem Ergebnis, dass eine detaillierte Produktbeschreibung und die genaue Produktdarstellung die Basis für niedrige Retouren darstellen. So gehen Anbieter dazu über, ihre Kunden vorab mit möglichst vielen Informationen zu versorgen: Zoomfunktionen, 360°-Ansichten oder detaillierte Produktbeschreibungen sowie Kundenbewertungen haben bereits einen positiven Einfluss auf die Retourenquote. Auch Größentabellen können dazu beitragen, die Zahl der Retouren so gering wie möglich zu halten. Bei technischen Geräten ist es dazu wichtig, neben einer detailgenauen Produktinformation den Kunden bei Bedarf die Möglichkeit zu geben, mit dem Händler in Kontakt zu treten.
Auch der Apell an das Einkaufsverhalten des Kunden hilft. So kommuniziert der französische Anbieter von Luxusprodukten Vente Privee offen gegenüber der Presse und seinen über 17 Mio. Kunden in Europa das Dilemma der Rücksendungen. Jean-Michel, Vorstand der Firma, erklärt dazu: „Wir sagen unseren Mitgliedern: Wir bieten die Markenartikel zu sehr günstigen Preisen. Wenn Du das weiterhin willst, müssen wir uns beide an Spielregeln halten.“ Laut Aussage Guarneris hat das Unternehmens mit dieser Strategie großen Erfolg.
Fazit
Mit dem effizienten Handling von Retouren steht und fällt die Rentabilität der Onlinehändler. Diese sind also gezwungen, ihre Retourenlogistik so effizient wie möglich zu gestalten, um dadurch die Kosten unter Kontrolle zu bekommen. Entscheidend ist dabei neben vorbereitenden Maßnahmen zur Verringerung der Quote, die zurückgeschickte Ware so rasch wie möglich wieder in den Warenbestand zu integrieren und bereit für den Verkauf zu machen. Dies gelingt denjenigen Unternehmen am besten, die über eine ausgefeilte Logistik mit weitgehender Automatisierung im Retourenlager verfügen. Denn nur so lässt sich die als neuwertig eingestufte Ware innerhalb kürzester Zeit wieder in den Handel bringen.