Pekings Währungssouveränität: Warum China den Stablecoin-Ambitionen der Tech-Giganten einen Riegel vorschiebt
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Veröffentlicht am: 19. Oktober 2025 / Update vom: 19. Oktober 2025 – Verfasser: Konrad Wolfenstein

Pekings Währungssouveränität: Warum China den Stablecoin-Ambitionen der Tech-Giganten einen Riegel vorschiebt – Kreativbild: Xpert.Digital
Wenn Tech-Giganten zu mächtig werden: Der Kampf um die Kontrolle über das digitale Geld der Zukunft
Machtkampf im Finanzsystem: Wer prägt die Währung von morgen?
“Chinesische Tech-Giganten pausieren Stablecoin-Pläne, nachdem Peking eingeschritten ist” – diese Schlagzeile markiert weit mehr als nur eine weitere regulatorische Intervention in Chinas streng kontrolliertem Finanzsektor. Sie offenbart einen fundamentalen Konflikt, der die globale Finanzarchitektur der kommenden Jahrzehnte prägen wird: Wer besitzt das ultimative Recht, Geld zu schaffen – souveräne Staaten oder private Technologiekonzerne? Als die People’s Bank of China und die Cyberspace Administration of China im Oktober 2025 Unternehmen wie Ant Group und JD.com anwiesen, ihre Pläne zur Ausgabe von Stablecoins in Hongkong auf Eis zu legen, sendete Peking eine unmissverständliche Botschaft. Die Episode bietet einen beispiellosen Einblick in Chinas strategisches Kalkül zwischen technologischer Innovation, geldpolitischer Souveränität und dem Ringen um globale Währungsvorherrschaft in einer zunehmend digitalisierten Weltwirtschaft.
Die vorliegende Analyse untersucht die vielschichtigen ökonomischen, geopolitischen und systemischen Dimensionen dieser Entwicklung. Sie beleuchtet zunächst die historischen Wurzeln von Chinas ambivalentem Verhältnis zur Fintech-Innovation, analysiert sodann die komplexen Marktmechanismen und Akteurskonstellationen im globalen Stablecoin-Ökosystem, bewertet die gegenwärtige Lage anhand quantitativer Indikatoren und ordnet Chinas Intervention in einen internationalen Vergleichsrahmen ein. Abschließend werden die langfristigen strategischen Implikationen für die globale Währungsordnung, digitale Zahlungssysteme und die Machtverhältnisse zwischen Staaten und Technologiekonzernen diskutiert.
Historische Wurzeln: Von Fintech-Enthusiasmus zur regulatorischen Kehrtwende
Die Geschichte von Chinas Umgang mit digitalen Finanzinnovationen ist eine Geschichte spektakulärer Erfolge, dramatischer Wendungen und zunehmender staatlicher Kontrolle. Um die gegenwärtige Intervention gegen private Stablecoins zu verstehen, muss man bis in die frühen 2010er Jahre zurückblicken, als China zur globalen Speerspitze der Fintech-Revolution aufstieg.
Zwischen 2010 und 2020 erlebte China eine beispiellose Expansion digitaler Zahlungssysteme. Alipay, ursprünglich 2004 als Zahlungsabwickler für Alibabas E-Commerce-Plattform Taobao gegründet, und WeChat Pay, das 2013 als Erweiterung der Messaging-App WeChat eingeführt wurde, transformierten innerhalb weniger Jahre die gesamte Zahlungslandschaft des Landes. Bis 2025 kontrollierten diese beiden Plattformen zusammen über 90 Prozent des chinesischen Mobile-Payment-Markts, wobei Alipay einen Marktanteil von etwa 53 Prozent und WeChat Pay von rund 42 Prozent hält. Die Transaktionsvolumina erreichten schwindelerregende Höhen: Allein Alipay verarbeitete 2025 Transaktionen im Wert von geschätzten 20,1 Billionen US-Dollar.
Diese Entwicklung wurde zunächst von den chinesischen Behörden begrüßt und gefördert. Die digitalen Zahlungssysteme erhöhten die finanzielle Inklusion in ländlichen Gebieten, reduzierten Transaktionskosten und schufen ein effizientes, bargeldloses Zahlungsökosystem. Die mobile Zahlungspenetration erreichte in urbanen Gebieten über 85 Prozent, in ländlichen Regionen etwa 65 Prozent. Doch mit wachsender Dominanz der privaten Fintech-Giganten wuchsen auch die Bedenken der Zentralregierung.
Der Wendepunkt kam im November 2020, als Chinas Regulierungsbehörden den geplanten Börsengang von Ant Group in letzter Minute stoppten. Die 37 Milliarden US-Dollar schwere IPO wäre die größte der Geschichte gewesen. Doch nur zwei Tage vor dem geplanten Listing suspendierten die Shanghai Stock Exchange und die Hongkonger Börse den Börsengang. Offiziell wurde die Entscheidung mit “wesentlichen Änderungen im regulatorischen Umfeld für Finanztechnologie” begründet. Tatsächlich hatte Alibaba-Gründer Jack Ma wenige Tage zuvor bei einer Finanzkonferenz in Shanghai Chinas Finanzsystem scharf kritisiert und traditionelle Banken als “Pfandhäuser” bezeichnet, die nur an Unternehmen Kredite vergeben, die kein Geld brauchen. Mehr noch: Ma hatte die regulatorischen Standards als innovationshemmend angeprangert und argumentiert, China habe “kein systemisches Finanzrisikoproblem”, sondern leide unter einem “Mangel an System”.
Was folgte, war eine umfassende regulatorische Offensive gegen Chinas Tech-Sektor, die bis heute anhält. Zwischen 2020 und 2023 zwangen die Behörden Ant Group zu einer fundamentalen Umstrukturierung, die Jack Mas Stimmrechte von über 50 Prozent auf 6,2 Prozent reduzierten. Im Juli 2023 verhängten die Regulierungsbehörden Geldstrafen in Höhe von 7,123 Milliarden Yuan gegen Ant Group und 2,99 Milliarden Yuan gegen Tencent für Verstöße gegen Verbraucherschutz, Geldwäsche-Bekämpfung und andere Vorschriften. Alibaba selbst erhielt bereits 2021 eine Rekordstrafe von 2,75 Milliarden US-Dollar wegen angeblich monopolistischer Praktiken.
Parallel dazu intensivierte China seine Bemühungen um eine eigene, staatlich kontrollierte digitale Währung. Die People’s Bank of China startete bereits 2014 Forschungsarbeiten zum digitalen Yuan, dem e-CNY. Bis 2025 erreichte der digitale Yuan eine Nutzerbasis von etwa 260 Millionen Menschen und ein kumulatives Transaktionsvolumen von 7,3 Billionen Yuan. Im Gegensatz zu privaten Kryptowährungen ermöglicht der e-CNY der Zentralbank vollständige Überwachung und Kontrolle über Geldflüsse, programmierbare Geldpolitik und direkte Eingriffsmöglichkeiten.
Diese historische Entwicklung verdeutlicht einen fundamentalen Paradigmenwechsel: Während China in den 2010er Jahren privater Innovation im Fintech-Bereich weitgehend freie Hand ließ, hat die Führung mittlerweile erkannt, dass unkontrollierte Dominanz privater Akteure im Zahlungsverkehr und der Geldschöpfung die geldpolitische Souveränität und finanzielle Stabilität bedrohen könnte. Die jüngste Intervention gegen Stablecoin-Pläne ist die logische Fortsetzung dieser Kehrtwende.
Systemische Treiber: Akteure, Anreize und Machtverhältnisse im digitalen Währungssystem
Die Entscheidung Pekings, private Stablecoin-Initiativen zu unterbinden, ist tief verwurzelt in den strukturellen Dynamiken und Machtkonstellationen des globalen digitalen Währungssystems. Um die zugrunde liegenden ökonomischen Mechanismen zu verstehen, müssen wir die Hauptakteure, ihre Anreizstrukturen und die systemischen Wechselwirkungen analysieren.
Die primären Akteure lassen sich in vier Kategorien einteilen: erstens souveräne Zentralbanken und Regulierungsbehörden, zweitens private Technologiekonzerne und Fintech-Unternehmen, drittens Finanzinstitutionen und viertens Endnutzer. Jede Akteursgruppe verfolgt unterschiedliche, oft konfligierende Ziele.
Zentralbanken wie die People’s Bank of China priorisieren monetäre Souveränität, Finanzstabilität und makroökonomische Steuerungsfähigkeit. Die geldpolitische Transmission funktioniert nur, wenn die Zentralbank die Geldmenge kontrolliert und Zinssätze effektiv setzen kann. Private Stablecoins, die parallel zu staatlichen Währungen zirkulieren, könnten diese Kontrolle untergraben. Wie ein mit den Regulierungsgesprächen vertrauter Insider der Financial Times erklärte: “Die zentrale regulatorische Sorge ist, wer das ultimative Münzrecht besitzt – die Zentralbank oder private Unternehmen am Markt?”
Für Technologiekonzerne wie Ant Group und JD.com stellen Stablecoins eine logische Erweiterung ihres Geschäftsmodells dar. Mit jeweils Hunderten Millionen Nutzern auf ihren digitalen Plattformen könnten sie Stablecoins als effizientes Zahlungsmittel für grenzüberschreitenden Handel, E-Commerce und Finanzdienstleistungen etablieren. Die ökonomischen Anreize sind beträchtlich: Stablecoin-Emittenten generieren Erträge aus den Zinseinnahmen der hinterlegten Reserven. Tether, der weltweit größte Stablecoin-Emittent, erzielte im zweiten Quartal 2025 einen Gewinn von 4,9 Milliarden US-Dollar. Circle, Emittent des zweitgrößten Stablecoins USDC, verdiente 251 Millionen US-Dollar im gleichen Zeitraum. Bei einem Gesamtmarktvolumen von über 300 Milliarden US-Dollar im Jahr 2025 ist der Stablecoin-Markt ein lukratives Geschäftsfeld.
Die geopolitische Dimension verstärkt diese Dynamik zusätzlich. Mit der Verabschiedung des GENIUS Act im Juli 2025 haben die USA einen umfassenden regulatorischen Rahmen für Stablecoins geschaffen. Das Gesetz erlaubt lizenzierten Emittenten die Ausgabe von Dollar-basierten Stablecoins mit vollständiger Reserve-Deckung und regelmäßigen Audits. Diese regulatorische Klarheit beschleunigte das Wachstum Dollar-denominierter Stablecoins erheblich. Tether (USDT) dominiert mit einem Marktanteil von etwa 58 Prozent und einem Angebot von 173 Milliarden US-Dollar, gefolgt von USDC mit 74 Milliarden US-Dollar und 25,5 Prozent Marktanteil. Zusammen kontrollieren diese beiden Dollar-Stablecoins über 80 Prozent des globalen Stablecoin-Marktes.
Für China stellt diese Dollar-Dominanz im aufstrebenden digitalen Währungssystem eine strategische Bedrohung dar. Wang Yongli, ehemaliger Vizepräsident der Bank of China, warnte, dass China ein offshore-basiertes Renminbi-Stablecoin-System etablieren sollte, um gegen die wachsende Vormachtstellung Dollar-basierter Stablecoins zu konkurrieren. Huang Yiping, ein Berater der People’s Bank of China, argumentierte, Hongkong könne gut positioniert sein, um die Emission von Offshore-Renminbi-Stablecoins zu pionieren. Die Logik ist nachvollziehbar: Stablecoins könnten die Internationalisierung des Renminbi beschleunigen, indem sie eine effiziente, kostengünstige Alternative für grenzüberschreitende Zahlungen bieten.
Doch genau hier liegt das Dilemma für Peking. Während Renminbi-Stablecoins theoretisch die globale Reichweite der chinesischen Währung erhöhen könnten, bergen sie auch erhebliche Risiken für Chinas rigide Kapitalverkehrskontrollen. China unterhält eines der striktesten Kapitalverkehrskontrollsysteme weltweit. Unternehmen, Banken und Privatpersonen können Geld nur unter strikten Auflagen ins Ausland transferieren. Privatpersonen dürfen jährlich maximal 50.000 US-Dollar in Fremdwährung tauschen. Diese Kontrollen sind essenziell für Chinas makroökonomische Stabilität, verhindern Kapitalflucht und ermöglichen der Regierung die Steuerung des Wechselkurses.
Stablecoins, von Natur aus grenzenlos und programmiert für nahtlose internationale Transfers, könnten diese Kontrollmechanismen umgehen. Selbst wenn Stablecoins nur offshore in Hongkong emittiert würden, bestünde das Risiko, dass Festlandchinesen über technische Schlupflöcher Zugang erlangen und Kapital außer Landes schaffen. Zhou Xiaochuan, ehemaliger Gouverneur der People’s Bank of China, warnte im August 2025 auf einem geschlossenen Finanzforum vor den systemischen Risiken spekulativer Stablecoin-Nutzung und stellte deren realen Nutzen für Zahlungen infrage. Seine Intervention markierte eine bedeutende Stimmungsverschiebung innerhalb Chinas Finanzkreisen.
Ein weiterer zentraler Mechanismus ist die Netzwerkdynamik digitaler Zahlungssysteme. Geld funktioniert am besten, wenn es universal akzeptiert wird – jeder nutzt eine bestimmte Währung, weil alle anderen sie auch nutzen. Diese Netzwerkeffekte führen zu natürlichen Monopolen oder Duopolen. Der Erfolg von Alipay und WeChat Pay beruht genau auf diesem Mechanismus: Mit Hunderten Millionen Nutzern und nahezu universeller Händlerakzeptanz wurden sie de facto alternativlos. Die gleiche Logik gilt für Stablecoins. USDT und USDC sind dominant, weil sie auf über 25 verschiedenen Blockchains verfügbar sind, von praktisch allen Börsen akzeptiert werden und über 109 Millionen Wallets USDT halten. Ein neu eingeführter Renminbi-Stablecoin müsste diese Netzwerkeffekte erst aufbauen – eine erhebliche Markteintrittsbarriere.
Gleichzeitig birgt die Konzentration bei wenigen privaten Emittenten systemische Risiken. Der Zusammenbruch des algorithmischen Stablecoins TerraUSD (UST) im Mai 2022 vernichtete innerhalb einer Woche etwa 45 Milliarden US-Dollar Marktwert und löste Panik im gesamten Kryptomarkt aus. UST verlor seine Dollaranbindung, als Großinvestoren massiv Kapital abzogen, was eine “Todesspirale” auslöste: Der Versuch, durch Prägung neuer LUNA-Token die UST-Parität wiederherzustellen, führte zu Hyperinflation bei LUNA und kollabierte beide Währungen. Diese Episode demonstrierte eindrücklich, wie fragil unzureichend besicherte Stablecoins sind und welche Ansteckungseffekte von ihrem Zusammenbruch ausgehen können.
Für Regulierungsbehörden weltweit diente der Terra-Crash als Warnsignal. Die Europäische Kommission reagierte mit der Markets in Crypto-Assets Regulation (MiCA), die seit Dezember 2024 vollständig anwendbar ist und strikte Anforderungen an Reserve-Deckung, Transparenz und Governance für Stablecoin-Emittenten vorschreibt. Hongkong führte im August 2025 sein eigenes umfassendes Regulierungsregime für Stablecoins ein, das Emittenten eine vollständige Reserve-Deckung, Mindesteigenkapital von 25 Millionen Hongkong-Dollar und regelmäßige Audits vorschreibt.
Die Intervention Pekings muss vor diesem Hintergrund als Versuch verstanden werden, die Kontrolle über das Finanzsystem zu wahren, systemische Risiken zu minimieren und die geldpolitische Souveränität zu schützen – selbst wenn dies bedeutet, auf potenzielle Vorteile für die Internationalisierung des Renminbi zu verzichten.
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Warum Dollar‑Stablecoins 2025 die globale Geldordnung dominieren
Die aktuelle Konstellation: Indikatoren, Daten und strukturelle Spannungen
Die gegenwärtige Lage im Oktober 2025 ist geprägt von fundamentalen Spannungen zwischen verschiedenen Trends: rasantes Wachstum des globalen Stablecoin-Marktes, zunehmende regulatorische Klarheit in westlichen Jurisdiktionen, Chinas Vorstoß mit dem digitalen Yuan, und nun die abrupte Intervention gegen private Stablecoin-Pläne.
Quantitativ betrachtet hat der globale Stablecoin-Markt 2025 neue Höchststände erreicht. Das Gesamtangebot überstieg erstmals 300 Milliarden US-Dollar, angetrieben durch institutionelle Adoption und regulatorische Klarheit. Allein im August 2025 generierte Tether wöchentliche Einnahmen von 149 Millionen US-Dollar, während Circle 49 Millionen US-Dollar verdiente. Diese Zahlen verdeutlichen die ökonomische Tragweite des Geschäftsmodells.
Dollar-denominierte Stablecoins dominieren mit einem kombinierten Marktanteil von etwa 85 Prozent. USDT ist mit 58 Prozent Marktanteil unangefochtener Marktführer, gefolgt von USDC mit 25,5 Prozent. Andere Stablecoins wie Ethenas USDe erreichen lediglich 5 Prozent. Diese Konzentration auf den Dollar verfestigt dessen Rolle als dominante internationale Währung selbst im digitalen Zeitalter. Laut Daten der Federal Reserve machte der US-Dollar 2024 etwa 58 Prozent der globalen Devisenreserven aus – ein Anteil, der seit 2022 trotz US-Sanktionen gegen Russland bemerkenswert stabil blieb.
Im Kontrast dazu steht die bescheidene internationale Rolle des Renminbi. Trotz jahrelanger Internationalisierungsbemühungen erreicht der Renminbi nur etwa 2 bis 3 Prozent der globalen Devisenreserven und rangiert lediglich an sechster Stelle bei internationalen Zahlungen. Im Juni 2025 lag der Anteil des Renminbi an globalen Zahlungen bei 2,88 Prozent, deutlich hinter dem Dollar mit 47 Prozent und dem Euro mit 23 Prozent. In einzelnen Monaten rutschte der Renminbi sogar auf Platz sechs hinter den japanischen Yen.
Chinas digitaler Yuan zeigt zwar Wachstum, bleibt aber bislang ein Nischenprodukt. Mit 260 Millionen Nutzern und kumulativen Transaktionen von 7,3 Billionen Yuan klingen die Zahlen zunächst beeindruckend. Doch im Vergleich zu Alipay und WeChat Pay, die 2023 zusammen ein Transaktionsvolumen von etwa 70 Billionen US-Dollar abwickelten, wird die begrenzte Reichweite deutlich. Der e-CNY machte im Juni 2023 lediglich 0,16 Prozent der chinesischen Geldmenge M0 aus. Weniger als ein Fünftel der chinesischen Bevölkerung scheint die neue Währung genutzt zu haben, oft motiviert durch staatliche Anreize oder Mandate. Datenschutzbedenken und die Dominanz etablierter Zahlungsplattformen behindern eine breitere Adoption.
Gegen diesen Hintergrund waren die Stablecoin-Pläne chinesischer Tech-Konzerne durchaus nachvollziehbar. Hongkong hatte im August 2025 sein Stablecoin-Lizenzierungsregime eingeführt und damit einen regulatorischen Rahmen geschaffen, der Emissionen prinzipiell ermöglichte. Über 40 Unternehmen sollen bereits Interesse an Lizenzen bekundet haben. Ant Group und JD.com waren beide im Sommer 2025 an Hongkongs Pilot-Programm interessiert oder planten die Emission tokenisierter Finanzprodukte wie digitale Anleihen. Einige Quellen berichteten, beide Unternehmen wollten Hongkong-Dollar-gebundene Stablecoins emittieren.
Die Intervention kam abrupt. Im Oktober 2025 erhielten Ant Group und JD.com Anweisungen der People’s Bank of China und der Cyberspace Administration of China, ihre Stablecoin-Ambitionen zu pausieren. Gleichzeitig soll Peking Broker und Think Tanks aufgefordert haben, die Bewerbung von Stablecoins einzustellen. Ein Bericht der chinesischen Finanzpublikation Caixin über Pekings Einschränkungen von Hongkongs Stablecoin-Aktivitäten wurde kurz nach Veröffentlichung wieder gelöscht, was Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit weckte.
Parallel dazu wies Chinas Wertpapieraufsicht mehrere lokale Broker an, ihre Real-World-Asset-Tokenisierungsaktivitäten in Hongkong zu pausieren, was Pekings wachsendes Unbehagen über die rasche Expansion von Offshore-Initiativen im Bereich digitaler Vermögenswerte signalisiert. Diese Maßnahmen stehen im Kontrast zu zeitgleichen Tokenisierungserfolgen: CMB International Asset Management, eine Hongkonger Tochter der China Merchants Bank, tokenisierte im Oktober 2025 ihren 3,8 Milliarden US-Dollar schweren Geldmarktfonds auf der BNB Chain.
Die Widersprüche verdeutlichen Pekings Dilemma: Einerseits will China von Blockchain-Innovation und der Attraktivität Hongkongs als Fintech-Hub profitieren. Andererseits fürchtet die Führung den Kontrollverlust über Geldschöpfung und Kapitalflüsse. Die Lösung scheint eine strikt kontrollierte Zwei-Gleise-Strategie zu sein: staatlich kontrollierte Innovation (e-CNY, ausgewählte Tokenisierungsprojekte staatlicher Institutionen) wird gefördert, während private Initiativen, die systemische Bedeutung erlangen könnten, unterbunden werden.
Ein weiterer wichtiger Indikator ist die Entwicklung grenzüberschreitender Zahlungssysteme. China treibt mit dem Cross-Border Interbank Payment System (CIPS) und dem mBridge-Projekt Alternativen zum Dollar-dominierten SWIFT-System voran. CIPS verarbeitete 2024 Transaktionen im Wert von 175 Billionen Yuan, ein Anstieg von 43 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das mBridge-Projekt, eine Kollaboration zwischen der People’s Bank of China, der Hong Kong Monetary Authority, der Bank of Thailand, der Zentralbank der Vereinigten Arabischen Emirate und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, ermöglicht direkte grenzüberschreitende CBDC-Transaktionen ohne traditionelle Korrespondenzbanken. Tests zeigten eine Reduktion der Transaktionskosten um 50 bis 70 Prozent und eine Beschleunigung von Tagen auf Sekunden. Bis Juli 2025 hatte die Bank of China in Hongkong fast 200 Transaktionen über mBridge abgewickelt, mit einem Volumen von über 11 Milliarden Hongkong-Dollar, davon 80 Prozent in Renminbi.
Diese Infrastrukturinvestitionen demonstrieren Chinas langfristige Strategie: Aufbau eines parallelen, staatlich kontrollierten digitalen Zahlungssystems, das die Internationalisierung des Renminbi fördert, ohne die geldpolitische Souveränität zu gefährden. Private Stablecoins passen nicht in diese Strategie, da sie die Kontrolle der Zentralbank untergraben würden.
Divergierende Pfade: Regulierungsmodelle im internationalen Vergleich
Ein vergleichender Blick auf verschiedene regulatorische Ansätze in Schlüsseljurisdiktionen offenbart grundlegend unterschiedliche Philosophien im Umgang mit Stablecoins und verdeutlicht die Besonderheiten der chinesischen Position.
Die USA haben mit dem im Juli 2025 verabschiedeten GENIUS Act einen marktwirtschaftlich orientierten, aber regulierten Rahmen geschaffen. Das Gesetz erlaubt verschiedenen Entitäten die Emission von Stablecoins: Tochtergesellschaften versicherter Einlageninstitute, vom Office of the Comptroller of the Currency lizenzierte Nichtbanken und staatlich lizenzierte Emittenten mit Ausgaben bis zu 10 Milliarden US-Dollar. Emittenten müssen Stablecoins mit einer Eins-zu-eins-Deckung durch US-Dollar oder risikoarme Vermögenswerte wie US-Staatsanleihen sichern und unterliegen regelmäßigen Audits und Anti-Geldwäsche-Vorschriften. Zugelassene Stablecoins gelten nicht als Wertpapiere oder Rohstoffe und fallen damit nicht unter SEC- oder CFTC-Aufsicht. Diese regulatorische Klarheit hat das Wachstum Dollar-basierter Stablecoins stark beschleunigt und deren Dominanz im globalen Markt zementiert.
Die Philosophie dahinter ist eindeutig: Die USA nutzen Stablecoins als Instrument zur Festigung der Dollar-Hegemonie im digitalen Zeitalter. Wie der Ökonom Barry Eichengreen argumentiert, werden Währungen oft zunächst im Handel verwendet, bevor sie zu Reservewährungen werden. Dollar-Stablecoins erfüllen bereits diese Funktion in weiten Teilen der Krypto-Ökonomie und expandieren nun in grenzüberschreitende Zahlungen.
Die Europäische Union verfolgt mit der MiCA-Regulierung einen umfassenderen, aber auch restriktiveren Ansatz. MiCA, vollständig anwendbar seit Dezember 2024, deckt nicht nur Stablecoins, sondern alle Krypto-Assets ab und etabliert harmonisierte Regeln für die gesamte EU. Die Regulierung kategorisiert Krypto-Assets in Asset-Referenced Tokens, E-Money Tokens und andere Krypto-Assets. Besonders strikte Anforderungen gelten für “signifikante Stablecoins”, die systemische Risiken darstellen könnten. Emittenten müssen umfassende Transparenz-, Governance- und Reserve-Management-Standards erfüllen. Die EU priorisiert damit Verbraucherschutz, Finanzstabilität und die Verhinderung von Marktmissbrauch, auch wenn dies Innovationshemmnisse schaffen mag.
Hongkong positioniert sich als Brücke zwischen östlichen und westlichen Ansätzen. Die am 1. August 2025 in Kraft getretene Stablecoins Ordinance etabliert ein Lizenzierungsregime für Fiat-gebundene Stablecoins. Emittenten müssen 25 Millionen Hongkong-Dollar Eigenkapital, 3 Millionen Hongkong-Dollar liquide Mittel und zusätzlich liquide Mittel für 12 Monate Betriebskosten vorhalten. Reserve-Assets müssen vollständig segregiert, hochliquide und mit dem Nennwert der zirkulierenden Stablecoins übereinstimmen. Rückzahlungen müssen innerhalb eines Geschäftstags erfolgen. Hongkongs Modell ist strenger als Singapurs, aber flexibler als die EU-Regulierung, und zielt darauf ab, die Stadt als globales Zentrum für regulierte Stablecoin-Innovation zu etablieren.
Singapur verfolgt unter seinem Payment Services Act einen gestuften, marktorientierten Ansatz. Die Monetary Authority of Singapore reguliert Single-Currency Stablecoins mit spezifischen Anforderungen für an Singapur-Dollar oder G10-Währungen gebundene Token. Die Reserve-Anforderungen sind ähnlich wie in Hongkong, aber Singapur erlaubt eine Rückzahlungsfrist von bis zu fünf Geschäftstagen statt einem Tag. Kapitalanforderungen sind mit 1 Million Singapur-Dollar deutlich niedriger als Hongkongs 25 Millionen. Singapur priorisiert Marktflexibilität und Innovationsförderung, akzeptiert aber auch höhere Risiken.
China steht im fundamentalen Kontrast zu all diesen Ansätzen. Das Festland verbietet den Handel mit Kryptowährungen und das Mining vollständig. Stablecoins werden als virtuelle Güter, nicht als gesetzliche Zahlungsmittel betrachtet. Gerichte haben Krypto als Eigentum für zivilrechtliche Zwecke anerkannt, aber kommerzielle Aktivitäten bleiben untersagt. Finanzinstitute müssen Krypto-bezogene Transaktionen blockieren und verdächtige Aktivitäten melden. Die Philosophie ist eindeutig: vollständige staatliche Kontrolle über Geldschöpfung und Zahlungsverkehr.
Die jüngste Intervention gegen Stablecoin-Pläne in Hongkong verdeutlicht, dass Peking diese Kontrolle selbst in der Sonderverwaltungszone durchsetzen will, obwohl Hongkong theoretisch ein hohes Maß an Autonomie genießt. Das “Ein Land, zwei Systeme”-Prinzip sieht vor, dass Hongkong eigene Wirtschafts- und Währungspolitik betreiben kann. Doch in Fragen mit potenziell systemischer Bedeutung für das Festland zeigt Peking zunehmend die Bereitschaft, diese Autonomie einzuschränken.
Der Vergleich offenbart zwei fundamental unterschiedliche Weltanschauungen. Westliche Jurisdiktionen sehen Stablecoins als Innovationen, die durch angemessene Regulierung eingehegt werden können, um sowohl Vorteile (Effizienz, finanzielle Inklusion, technologische Führerschaft) als auch Risiken (systemische Instabilität, Geldwäsche, Verbraucherschutz) zu managen. China betrachtet private digitale Währungen hingegen als existenzielle Bedrohung für monetäre Souveränität und soziale Kontrolle. Diese Divergenz wird die globale digitale Währungslandschaft auf Jahre hinaus prägen.
Kritische Risiken: Systemische Verwerfungen und ungelöste Zielkonflikte
Die Unterbindung privater Stablecoin-Initiativen in China birgt sowohl für das Land selbst als auch für das globale Finanzsystem erhebliche Risiken und offenbart fundamentale Zielkonflikte, die nicht ohne Weiteres aufgelöst werden können.
Für China besteht das offensichtlichste Risiko darin, im globalen Wettlauf um digitale Währungssysteme zurückzufallen. Während die USA mit dem GENIUS Act Dollar-Stablecoins aggressiv fördern und deren globale Verbreitung beschleunigen, limitiert China seine eigenen Optionen drastisch. Der Renminbi macht bereits nur 2 bis 3 Prozent globaler Zahlungen und Reserven aus. Ohne innovative digitale Zahlungslösungen, die grenzüberschreitende Transaktionen vereinfachen, wird die Internationalisierung des Renminbi weiter stocken. Wie Wang Yongli, ehemaliger Vizepräsident der Bank of China, warnte: Wenn China bei Zahlungseffizienz und Clearing-Kosten nicht mit Dollar-Stablecoins mithalten kann, wird der Fortschritt bei der internationalen Nutzung des Renminbi begrenzt bleiben.
Ein zweites Risiko liegt in der Innovationsbremse. Chinas Tech-Sektor hat in den letzten zwei Jahrzehnten enorme Dynamik entwickelt. Unternehmen wie Ant Group und Tencent waren Pioniere digitaler Zahlungssysteme, die das tägliche Leben von über einer Milliarde Menschen transformierten. Die fortgesetzte regulatorische Repression könnte diese Innovationskraft dauerhaft beschädigen. Talentierte Entwickler und Unternehmer könnten in liberalere Jurisdiktionen abwandern. Risikokapital könnte sich zurückziehen. Der langfristige ökonomische Schaden durch Innovationsverlust könnte die kurzfristigen Vorteile erhöhter Kontrolle überwiegen.
Drittens besteht ein fundamentaler Zielkonflikt zwischen Kapitalverkehrskontrollen und Währungsinternationalisierung. Um eine wirklich internationale Währung zu werden, muss der Renminbi frei konvertierbar und handelbar sein. Doch genau diese Konvertibilität würde Chinas Fähigkeit untergraben, Kapitalflüsse zu kontrollieren und finanzielle Stabilität zu gewährleisten. Ökonomen haben dieses Trilemma als “unmögliche Dreifaltigkeit” beschrieben: Ein Land kann nicht gleichzeitig eine feste Wechselkurspolitik, freie Kapitalmobilität und unabhängige Geldpolitik aufrechterhalten. China hat sich für Kapitalkontrollen und geldpolitische Autonomie entschieden, was die Währungsinternationalisierung fundamental limitiert.
Die Intervention gegen Stablecoins verschärft diesen Zielkonflikt. Offshore-Renminbi-Stablecoins könnten theoretisch ein Mittelweg sein: Sie würden außerhalb des Festlands operieren, könnten aber die internationale Nutzung des Renminbi fördern. Doch wie Zhou Xiaochuan warnte, sind die Risiken schwer zu kontrollieren. Selbst mit IP-Blocking und anderen technischen Beschränkungen könnten Festlandchinesen Wege finden, auf Offshore-Stablecoins zuzugreifen und Kapital außer Landes zu schaffen.
Aus globaler Perspektive zementiert Chinas Intervention die Dollar-Dominanz im digitalen Währungssystem. Mit 85 Prozent des globalen Stablecoin-Marktes auf Dollar-denominierte Token entfallend und den USA, die regulatorische Klarheit bieten, wird der Dollar seine Position als dominierende digitale Reservewährung weiter festigen. Ökonomen und Regulierungsbehörden haben wiederholt betont, dass die Faktoren, die Dollar-Dominanz stützen – die Größe der US-Wirtschaft, die Liquidität der Finanzmärkte, Rechtsstaatlichkeit, militärische Allianzen und Netzwerkeffekte – auch im digitalen Zeitalter wirksam bleiben.
Ein weiteres systemisches Risiko ist die Konzentration bei wenigen privaten Emittenten. Tether und Circle kontrollieren über 80 Prozent des Stablecoin-Marktes. Diese Konzentration schafft potenziell systemische Risiken. Sollte einer dieser Emittenten zusammenbrechen – sei es durch Missmanagement, Reserveprobleme oder externe Schocks – könnten Ansteckungseffekte auf das gesamte Finanzsystem übergreifen. Der Terra-Crash 2022 war ein Vorgeschmack auf solche Risiken. Die Europäische Systemic Risk Board warnte im Oktober 2025 vor “erhöhten” Risiken im Stablecoin-Sektor aufgrund geopolitischer Unsicherheit und multi-jurisdiktionaler Strukturen. Ohne internationale regulatorische Koordination könnten diese Risiken weiter wachsen.
Zudem existiert die Gefahr, dass Stablecoins für illegale Aktivitäten missbraucht werden. Ihre pseudonyme Natur auf öffentlichen Blockchains und die Möglichkeit, in selbst-verwahrten Wallets zu zirkulieren, erschweren Know-Your-Customer-Kontrollen. Mixer-Dienste können Transaktionen verschleiern. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich warnte in ihrem Jahresbericht 2025, dass Stablecoins attraktiv für kriminelle und terroristische Organisationen sind, da sie Integritätsschutzmaßnahmen umgehen können. Während Analyseunternehmen mit Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten, skaliert dieser Ansatz nicht für Milliarden alltäglicher Transaktionen.
Schließlich besteht ein fundamentaler philosophischer Konflikt: Wer sollte die Macht besitzen, Geld zu schaffen? Historisch war dies ein staatliches Monopol oder zumindest ein stark reguliertes Privileg. Stablecoins repräsentieren eine Teilprivatisierung der Geldschöpfung. Wie ein Kommentator treffend formulierte: “Geld ist keine private Ware. Es ist eine öffentliche Institution, die einen vom Staat garantierten Gesellschaftsvertrag darstellt. Wenn private Konzerne Quasi-Währungen schaffen, privatisieren sie faktisch einen Teil dieses Gesellschaftsvertrags”. Die chinesische Regierung hat diese Logik akzeptiert und entsprechend gehandelt. Westliche Demokratien stehen vor der Herausforderung, eine Balance zwischen Innovation und öffentlicher Kontrolle zu finden – eine Balance, die bislang noch nicht überzeugend gefunden wurde.
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Pekings Coup gegen Stablecoins: Wendepunkt der Geldordnung
Szenarien der globalen digitalen Währungsordnung
Die mittelfristigen Entwicklungspfade der globalen digitalen Währungsordnung hängen von multiplen, teils unvorhersehbaren Variablen ab. Dennoch lassen sich anhand der aktuellen Trends und strukturellen Dynamiken mehrere plausible Szenarien skizzieren.
Szenario 1: Dollar-Hegemonie im digitalen Zeitalter
In diesem Szenario festigen Dollar-denominierte Stablecoins ihre Dominanz weiter. Die regulatorische Klarheit in den USA durch den GENIUS Act zieht institutionelle Investoren und Unternehmen an. Tether und Circle expandieren ihre Marktanteile, während neue Emittenten – möglicherweise große Banken wie JPMorgan – ebenfalls Dollar-Stablecoins ausgeben. Die Netzwerkeffekte verstärken sich: Je mehr Nutzer und Händler Dollar-Stablecoins akzeptieren, desto attraktiver werden sie für weitere Teilnehmer. Innerhalb von fünf bis zehn Jahren könnten Dollar-Stablecoins zu einem dominanten Medium für grenzüberschreitende Zahlungen und als On-Ramp für digitale Assets werden. Der Markt könnte bis 2028 auf 2 Billionen US-Dollar wachsen, wie einige Analysten prognostizieren. China bleibt auf seinen digitalen Yuan beschränkt, dessen internationale Nutzung marginal bleibt. Der Renminbi stagniert bei 2 bis 3 Prozent globaler Zahlungen. Die USA nutzen ihre digitale Währungsdominanz als geostrategisches Instrument, ähnlich wie sie das SWIFT-System nutzen.
Szenario 2: Multipolare digitale Währungsordnung
In diesem Szenario diversifiziert sich die Landschaft. Neben Dollar-Stablecoins etablieren sich Euro-Stablecoins (unterstützt durch MiCA-Regulierung), Renminbi-Offshore-Stablecoins in ausgewählten Regionen, und möglicherweise Stablecoins anderer Währungen wie Pfund Sterling oder Schweizer Franken. Verschiedene Währungsblöcke nutzen unterschiedliche Stablecoins: Europa dominiert Euro-Stablecoins, Südostasien nutzt verstärkt Renminbi-Stablecoins für den Handel mit China, während der Dollar in globalen Märkten führend bleibt. Die Europäische Zentralbank könnte ihre Bemühungen intensivieren, dem Euro eine prominentere Rolle zu verschaffen, wie EZB-Präsidentin Christine Lagarde andeutete. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und multilaterale Plattformen wie mBridge ermöglichen interoperable grenzüberschreitende CBDC-Transaktionen. Dieses Szenario würde mehr Wettbewerb und möglicherweise höhere Effizienz bringen, aber auch Fragmentierung und höhere Komplexität.
Szenario 3: CBDC-Dominanz
In diesem Szenario setzen sich staatlich herausgegebene digitale Zentralbankwährungen gegenüber privaten Stablecoins durch. China erweitert den digitalen Yuan aggressiv und macht ihn zum obligatorischen Zahlungsmittel für staatliche Transaktionen, Sozialleistungen und zunehmend auch im privaten Sektor. Andere Zentralbanken – die Europäische Zentralbank mit dem digitalen Euro, möglicherweise die Federal Reserve, Großbritannien, Japan – bringen ihre eigenen CBDCs auf den Markt. Diese staatlichen digitalen Währungen bieten Vorteile: direkte Kontrolle durch Zentralbanken, keine privaten Intermediäre, programmierbare Geldpolitik, robuste Sicherheit. Regulierungsbehörden könnten private Stablecoins zunehmend einschränken, um CBDCs zu fördern. Die Ironie wäre, dass Chinas autoritärer Ansatz – vollständige Kontrolle über digitales Geld – zum globalen Modell wird, wenn auch aus unterschiedlichen Motivationen in verschiedenen Ländern.
Szenario 4: Fragmentierung und Instabilität
In diesem pessimistischen Szenario führt die Proliferation unregulierter oder schwach regulierter Stablecoins zu wiederholten Krisen. Nach dem Vorbild des Terra-Crashs kollabieren weitere Stablecoins, ausgelöst durch Reserveprobleme, Bank Runs oder externe Schocks. Regulierungsbehörden reagieren mit fragmentierten, inkohärenten Maßnahmen, die Innovation hemmen ohne Stabilität zu garantieren. Geopolitische Spannungen führen zu “Währungskriegen” im digitalen Raum, mit konkurrierenden Stablecoin-Systemen, die durch gegenseitige Sanktionen und technische Inkompatibilitäten getrennt sind. Nutzer und Unternehmen leiden unter hoher Unsicherheit, Volatilität und mangelnder Interoperabilität. Das Vertrauen in digitale Währungen insgesamt nimmt ab.
Interoperabilität, Regulierung, Vertrauen: Die drei Hebel digitaler Währungen
Welches Szenario am wahrscheinlichsten ist, hängt von mehreren kritischen Faktoren ab: Erstens, die Fähigkeit und Bereitschaft internationaler Institutionen und Regulierungsbehörden, koordinierte Standards zu entwickeln. Der Financial Stability Board hat Empfehlungen für globale Stablecoins vorgelegt, aber deren Umsetzung variiert stark. Zweitens, geopolitische Entwicklungen. Zunehmende Spannungen zwischen den USA und China, die Haltung der EU zu digitaler Souveränität, und die Position aufstrebender Märkte werden maßgeblich sein. Drittens, technologische Entwicklungen. Fortschritte bei Interoperabilität, Skalierbarkeit und Sicherheit von Blockchain-Systemen könnten die Attraktivität digitaler Währungen erhöhen. Viertens, öffentliches Vertrauen. Wiederholte Krisen oder Missbrauchsfälle könnten das Vertrauen in private Stablecoins untergraben und staatliche Lösungen attraktiver machen.
Auf Basis aktueller Trends erscheint eine Kombination aus Szenario 1 und Szenario 2 am wahrscheinlichsten: Dollar-Stablecoins werden dominant bleiben, aber andere Währungen, insbesondere der Euro, werden in ihren Regionen bedeutende Rollen spielen. CBDCs werden parallel existieren, primär für inländische Transaktionen und ausgewählte grenzüberschreitende Korridore. China wird eine Sonderrolle einnehmen: intern ein strikt kontrolliertes digitales Yuan-System, extern begrenzte Renminbi-Nutzung über Plattformen wie mBridge und möglicherweise streng regulierte Offshore-Stablecoins in ausgewählten Partnermärkten.
Langfristig, über einen Zeithorizont von 20 bis 50 Jahren, könnten disruptive Technologien oder fundamentale geopolitische Verschiebungen diese Szenarien obsolet machen. Quantencomputer könnten bestehende Kryptographie-Systeme gefährden und vollständig neue Sicherheitsparadigmen erfordern. Dezentralisierte autonome Organisationen und algorithmische Governance-Systeme könnten alternative Geldformen hervorbringen, die sich staatlicher Kontrolle entziehen. Klimawandel, Pandemien oder geopolitische Konflikte könnten die globale Wirtschaftsordnung fundamental umgestalten und damit auch Währungssysteme neu definieren.
Sicher ist nur: Die Entscheidung Pekings im Oktober 2025, private Stablecoin-Initiativen zu blockieren, war ein signifikanter Wendepunkt, der die grundlegende Spannung zwischen Innovation und Kontrolle, zwischen globaler Integration und nationaler Souveränität, und zwischen privater und staatlicher Macht über Geld auf Jahre hinaus prägen wird.
Strategische Weichenstellungen: Die Neuordnung der monetären Macht
Die Intervention Pekings gegen private Stablecoin-Pläne chinesischer Tech-Giganten im Oktober 2025 ist weit mehr als ein isoliertes regulatorisches Ereignis. Sie markiert einen definierenden Moment im Ringen um die Architektur des globalen Finanzsystems im 21. Jahrhundert. Die Analyse hat gezeigt, dass diese Entscheidung tief verwurzelt ist in historischen Erfahrungen, strukturellen ökonomischen Zwängen, geopolitischen Kalkülen und fundamentalen Fragen über die Natur von Geld und staatlicher Souveränität.
Die zentralen Erkenntnisse lassen sich in fünf Thesen zusammenfassen:
Erstens: Monetäre Souveränität als nicht verhandelbarer Kern staatlicher Macht
Die chinesische Führung hat unmissverständlich signalisiert, dass die Kontrolle über Geldschöpfung und Zahlungsverkehr eine rote Linie darstellt, die selbst mächtige private Akteure nicht überschreiten dürfen. Die historischen Präzedenzfälle – das gestoppte Ant-IPO 2020, die Milliarden-Strafen gegen Tech-Konzerne, die Durchsetzung von Umstrukturierungen – belegen einen konsistenten Kurs. Diese Position ist nicht irrational. Unkontrollierte private Geldschöpfung könnte geldpolitische Transmission untergraben, Kapitalverkehrskontrollen aushebeln und systemische Instabilität schaffen. Die theoretische Grundlage dieser Position wird durch den Terra-Crash 2022 empirisch gestützt, der zeigte, wie katastrophal der Zusammenbruch unzureichend regulierter digitaler Währungen sein kann.
Zweitens: Der fundamental unaufgelöste Zielkonflikt zwischen Währungsinternationalisierung und Kapitalverkehrskontrolle
China steht vor einem Trilemma, das sich nicht durch technische Finesse auflösen lässt. Um eine wirklich internationale Währung zu werden, müsste der Renminbi frei konvertierbar sein. Dies würde jedoch Chinas Fähigkeit untergraben, Kapitalflüsse zu steuern und finanzielle Stabilität zu gewährleisten. Die bescheidenen Erfolge bei der Renminbi-Internationalisierung – 2 bis 3 Prozent globaler Zahlungen und Reserven nach jahrelangen Anstrengungen – reflektieren diese strukturelle Beschränkung. Offshore-Renminbi-Stablecoins könnten theoretisch einen Mittelweg bieten, bergen aber das Risiko unkontrollierter Kapitalflucht. Pekings Entscheidung, dieses Risiko nicht einzugehen, priorisiert Stabilität über Expansion – eine rational vertretbare, wenn auch kostspielige Wahl.
Drittens: Die Verfestigung der Dollar-Hegemonie im digitalen Zeitalter
Durch die Ablehnung privater Stablecoins verzichtet China auf ein potenzielles Instrument zur Herausforderung der Dollar-Dominanz, während die USA mit dem GENIUS Act genau das Gegenteil tun. Dollar-Stablecoins kontrollieren bereits 85 Prozent des globalen Marktes und ihre institutionelle Adoption beschleunigt sich. Die Netzwerkeffekte verstärken diese Dominanz: Je mehr Nutzer, Börsen und Unternehmen Dollar-Stablecoins verwenden, desto schwieriger wird es für Alternativen, Fuß zu fassen. Langfristig könnten Dollar-Stablecoins zum dominanten Medium für digitale grenzüberschreitende Zahlungen werden und die US-Währung im digitalen Zeitalter ebenso zentral positionieren wie im analogen.
Viertens: Die wachsende Kluft zwischen autoritären und liberalen Modellen digitaler Währungssysteme
China verfolgt ein Modell vollständiger staatlicher Kontrolle: ein staatlich herausgegebener, zentral gesteuerter, umfassend überwachbarer digitaler Yuan, flankiert von strikten Verboten privater Kryptowährungen und nun auch privater Stablecoins. Westliche Demokratien versuchen hingegen, Innovation und Marktdynamik durch Regulierung einzuhegen, ohne sie zu ersticken. Diese divergierenden Ansätze reflektieren fundamental unterschiedliche Werte und politische Systeme. Die langfristigen Konsequenzen sind schwer abzuschätzen. Autoritäre Kontrolle mag kurzfristig Stabilität garantieren, könnte aber Innovation hemmen. Liberale Ansätze mögen dynamischer sein, bergen aber höhere Risiken von Instabilität und Missbrauch.
Fünftens: Die kritische Rolle regulatorischer Koordination und internationaler Standards
In einer globalisierten, vernetzten Weltwirtschaft können isolierte nationale Regulierungsansätze Lücken und Arbitragemöglichkeiten schaffen. Die Europäische Systemic Risk Board warnte vor den Risiken multi-jurisdiktionaler Stablecoin-Strukturen ohne koordinierte Standards. Der Financial Stability Board hat Empfehlungen vorgelegt, aber deren Umsetzung variiert. Ohne stärkere internationale Koordination – ähnlich den Basel-Abkommen im Bankensektor – könnten digitale Währungssysteme fragmentiert, ineffizient und instabil bleiben.
Die strategischen Auswirkungen für verschiedene Akteursgruppen sind erheblich
Für politische Entscheidungsträger gilt es, die fundamentale Spannung zwischen Innovation und Kontrolle zu navigieren. Eine zu restriktive Haltung riskiert Innovationsverlust und globalen Bedeutungsverlust. Eine zu permissive Haltung riskiert systemische Instabilität und Kontrollverlust über kritische Infrastruktur. Der optimale Pfad liegt vermutlich in durchdachter, adaptiver Regulierung, die klare Regeln setzt, aber Raum für experimentelles Lernen lässt. Die Ansätze Singapurs und Hongkongs – regulatorische Sandboxen, gestufte Lizenzierungssysteme, enge Zusammenarbeit zwischen Regulierungsbehörden und Industrie – bieten möglicherweise praktikable Modelle.
Für Unternehmensführer, insbesondere in der Fintech- und Technologiebranche, bedeutet die Episode eine Erinnerung an die Grenzen privater Macht. Selbst die größten, innovativsten Unternehmen operieren innerhalb eines Rahmens staatlicher Souveränität. Strategische Planung muss regulatorische Risiken zentral einbeziehen. Gleichzeitig bieten die divergierenden regulatorischen Ansätze verschiedener Jurisdiktionen Opportunitäten: Unternehmen können “regulatory shopping” betreiben und in freundlicheren Umfeldern operieren, solange sie die Risiken grenzüberschreitender Compliance managen.
Für Investoren signalisiert die Entwicklung sowohl Risiken als auch Chancen. Dollar-Stablecoins, insbesondere solche von gut kapitalisierten, regulierten Emittenten wie Circle, werden wahrscheinlich weiter wachsen. Investitionen in Infrastruktur für digitale Zahlungssysteme – Blockchain-Protokolle, Custody-Lösungen, Compliance-Technologie – dürften attraktive Renditen bieten. Gleichzeitig bleiben erhebliche Risiken bestehen: regulatorische Unsicherheit in vielen Jurisdiktionen, potenzielle Stablecoin-Zusammenbrüche, geopolitische Spannungen. Eine diversifizierte, risikobasierte Strategie ist angezeigt.
Die langfristige Bedeutung der chinesischen Intervention gegen private Stablecoins wird davon abhängen, wie sich das Spannungsfeld zwischen staatlicher Souveränität und technologischer Innovation global entwickelt. Sollten sich autoritäre Kontrollmodelle als überlegen erweisen – sei es durch höhere Stabilität, effektivere Durchsetzung geldpolitischer Ziele oder andere Vorteile – könnten mehr Länder Chinas Beispiel folgen. Sollten hingegen liberalere Modelle durch höhere Innovation, stärkeres Wirtschaftswachstum und größere internationale Akzeptanz überzeugen, könnte China gezwungen sein, seine Position zu überdenken.
Sicher ist nur: Die Auseinandersetzung um die Kontrolle über digitales Geld hat gerade erst begonnen. Sie wird die kommenden Jahrzehnte prägen und fundamentale Fragen über Macht, Souveränität und die Organisation moderner Gesellschaften aufwerfen. Pekings Entscheidung im Oktober 2025 war ein wichtiger Schachzug in diesem Spiel – aber das Endspiel ist noch lange nicht erreicht.
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