Dual-Use-Güter als Hoffnungsträger für die gebeutelte deutsche Automobilindustrie
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Veröffentlicht am: 26. August 2025 / Update vom: 26. August 2025 – Verfasser: Konrad Wolfenstein

Dual-Use-Güter als Hoffnungsträger für die gebeutelte deutsche Automobilindustrie – Bild: Xpert.Digital
'Dual-Use' als Rettungsanker? Was wirklich hinter dem Flirt der Autobauer mit der Rüstung steckt
### Panzer statt Passat? Darum baut die deutsche Autoindustrie jetzt auf Rüstung ### Zehntausende Jobs in Gefahr: Kann der Rüstungsboom die deutsche Autokrise stoppen? ### Die unerwartete Wende: Wie VW, Mercedes & Co. mit Militärtechnik ihre Krise bekämpfen ### Vom E-Auto zum Kampfroboter: Der heimliche Plan der deutschen Industrie-Giganten
Milliarden für die Rüstung, Krise beim Auto: Ein überraschender Ausweg für Tausende Fachkräfte?
In der deutschen Industrie läuten die Alarmglocken, doch sie klingen völlig unterschiedlich: Während bei den Automobilgiganten wie Volkswagen, Mercedes-Benz und BMW die Gewinne einbrechen und zehntausende Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, erlebt die Rüstungsbranche einen historischen Boom. Angetrieben durch die geopolitische Zeitenwende und explodierende Verteidigungsausgaben, scheint der Rüstungssektor eine Oase des Wachstums in einer unsicheren Wirtschaftswelt zu sein. Genau an dieser Schnittstelle entsteht eine ebenso brisante wie naheliegende Frage: Können Panzer, Militärfahrzeuge und unbemannte Systeme die Rettung für die gebeutelte deutsche Schlüsselindustrie sein?
Die Zahlen malen ein düsteres Bild für die Automobilhersteller und ihre Zulieferer. Massive Gewinneinbrüche, schrumpfende Umsätze und ein Stellenabbau im großen Stil bei Branchenriesen wie ZF, Continental und Bosch verdeutlichen die Tiefe der Krise. Gleichzeitig pumpt Deutschland Milliarden in die Verteidigung und führt erstmals seit Jahrzehnten die Liste der westeuropäischen Länder bei den Rüstungsausgaben an. In dieser Konstellation rücken sogenannte “Dual-Use-Güter” – Technologien, die sowohl zivil als auch militärisch nutzbar sind – in den Fokus.
Doch der Weg vom Pkw-Fließband zur Fertigung von Militärtechnik ist steinig und komplex. Völlig andere Sicherheitsstandards, langwierige Zertifizierungsverfahren und grundverschiedene Entwicklungszyklen stellen enorme Hürden dar. Dieser Artikel beleuchtet die Chancen und Risiken dieses potenziellen Wandels, zeigt auf, welche Unternehmen wie Daimler Truck bereits erste Schritte gehen und warum der Nutzfahrzeugsektor als vielversprechender Brückenkopf gilt. Es ist eine Analyse einer strategischen Neuausrichtung, die über die Zukunft von Tausenden Arbeitsplätzen und die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland entscheiden könnte.
Kann der Rüstungsboom die Autokrise lösen?
Warum befasst sich die deutsche Automobilbranche plötzlich intensiv mit Rüstungsgütern und Dual-Use-Technologien? Die Antwort liegt in der dramatischen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Branche und dem gleichzeitigen Boom der Verteidigungsindustrie. Während die Automobilhersteller und Zulieferer unter massiven Gewinneinbrüchen und Stellenabbau leiden, verzeichnet der Rüstungssektor durch die geopolitische Zeitenwende ein historisches Wachstum. Doch wie realistisch ist ein Wechsel von der kriselnden Auto- in die florierende Verteidigungsbranche?
Was sind die Dimensionen der aktuellen Automobilkrise? Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Bei BMW brach der Gewinn im ersten Halbjahr 2025 um mehr als ein Viertel ein, bei Volkswagen um mehr als ein Drittel, bei Mercedes-Benz sogar um mehr als die Hälfte. Der Umsatz der deutschen Automobilindustrie schrumpfte 2024 um fünf Prozent auf 536 Milliarden Euro. Besonders dramatisch ist die Situation bei den Zulieferern: Deren Umsatz ging um acht Prozent zurück, und fast 19.000 Stellen gingen 2024 in der gesamten deutschen Autoindustrie verloren.
Welche Unternehmen sind vom Stellenabbau betroffen? ZF plant den Abbau von bis zu 18.000 der derzeit 50.000 Arbeitsplätze in Deutschland bis Ende des Jahrzehnts. Continental kündigte bereits den Wegfall von über 10.000 Stellen an, davon allein 3.000 weitere in der Forschung und Entwicklung bis Ende 2026. Bosch will mehrere Tausend Stellen streichen, und auch bei Mercedes, Porsche und Audi stehen zehntausende Arbeitsplätze zur Disposition.
Der historische Aufschwung der Verteidigungsausgaben
Wie stark sind die Verteidigungsausgaben in Deutschland und Europa gestiegen? Die Zahlen zeigen ein beispielloses Wachstum: Deutschlands Verteidigungsausgaben sollen 2025 auf 86,4 Milliarden Euro steigen – das entspricht einem Anstieg von 14,74 Milliarden Euro gegenüber 2024. Mit einem Wachstum von 28 Prozent führt Deutschland erstmals seit der Wiedervereinigung die Liste der westeuropäischen Länder bei den absoluten Verteidigungsausgaben an. Die militärischen Beschaffungen sollen von 15,2 Milliarden Euro 2024 auf 21,64 Milliarden Euro 2025 steigen.
Wie entwickeln sich die NATO-Ausgaben insgesamt? Alle 32 NATO-Mitgliedsstaaten erfüllen erstmals das Zwei-Prozent-Ziel ihrer Verteidigungsausgaben. Die Gesamtausgaben der NATO beliefen sich 2024 auf etwa 1.185 Milliarden US-Dollar. In Europa stiegen die Militärausgaben um 17 Prozent auf 693 Milliarden US-Dollar. Für die Zukunft plant die NATO sogar eine Erhöhung auf fünf Prozent des BIP bis 2032.
Die Herausforderungen des Technologietransfers
Welche grundsätzlichen Unterschiede bestehen zwischen der Automobil- und Verteidigungsbranche? Die Anforderungen an eine Neuausrichtung sind sehr komplex und eine einfache Umstellung von Kapazitäten ist nicht machbar. Es geht um andere Sicherheitsanforderungen an die Produktion. Zertifizierungs-, Prüf- oder Normierungsverfahren sind in der Wehrtechnik ganz anders als im PKW- und im zivilen Nutzfahrzeugsektor.
Welche spezifischen Zertifizierungsanforderungen gibt es im Rüstungssektor? Unternehmen in der Rüstungsindustrie müssen über eine Reihe von ISO-Zertifizierungen verfügen, darunter ISO 9001 für Qualitätsmanagement, ISO 14001 für Umweltmanagement und ISO 27001 für Informationssicherheit. Zusätzlich sind AQAP-Zertifizierungen (Allied Quality Assurance Publications) der NATO erforderlich. Diese Standards gewährleisten Einheitlichkeit, Effizienz und Wirksamkeit in der Beschaffung und Versorgung der NATO-Streitkräfte.
Wie lang sind die Entwicklungszyklen im Rüstungssektor? Im Rüstungssektor können von der Antragstellung für ein Projekt bis zu dessen Start gut und gerne zwei Jahre vergehen. Im zivilen Bereich ist ein Projekt dann häufig fast schon vor dem Abschluss. Hinzu kommt, dass es für alle möglichen Komponenten immens hohe Anforderungen gibt und Firmen lange Service- und Instandsetzungszeiten garantieren sowie Ersatzteile lange vorhalten müssen.
Hub für Sicherheit und Verteidigung - Beratung und Informationen
Der Hub für Sicherheit und Verteidigung bietet fundierte Beratung und aktuelle Informationen, um Unternehmen und Organisationen effektiv dabei zu unterstützen, ihre Rolle in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu stärken. In enger Verbindung zur Working Group Defence der SME Connect fördert er insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die ihre Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit im Bereich Verteidigung weiter ausbauen möchten. Als zentraler Anlaufpunkt schafft der Hub so eine entscheidende Brücke zwischen KMU und europäischer Verteidigungsstrategie.
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Nutzfahrzeuge als vielversprechender Übergangsbereich
Welche Fahrzeugkategorien eignen sich besser für den militärischen Einsatz? Martin Thul vom Commercial Vehicle Cluster Südwest in Kaiserslautern sieht für Unternehmen aus dem Nutzfahrzeugbereich einen wesentlich kürzeren Weg hin zu Dual-Use- oder Rüstungsgütern als im PKW-Segment. PKW seien ein Konsumgut und stünden die meiste Zeit herum. Nutzfahrzeuge seien intensiv im Einsatz, würden stark beansprucht – Dinge, die zu einer militärischen Nutzung passen. Ein LKW diene dem Transport, sei es von Menschen oder Gütern – letztere könnten Nahrungsmittel oder Granaten sein.
Welche Unternehmen sind bereits im Dual-Use-Bereich tätig? Daimler Truck hat bereits konkrete Pläne: Der Defense-basierte Umsatz soll bis 2030 verdoppelt werden, nachdem er 2024 rund ein Prozent des gesamten Umsatzes ausmachte. Das Unternehmen setzt verstärkt auf Partnerschaften, beispielsweise mit ARX Robotics für die Integration von Robotik- und KI-Technologien in Fahrzeugplattformen und mit dem französischen Militärfahrzeughersteller Arquus für die gemeinsame Entwicklung militärischer Radfahrzeuge.
Innovative Kooperationen und Technologieverbünde
Welche neuen Partnerschaften entstehen zwischen Auto- und Rüstungsindustrie? Deutsche Autohersteller loten Kooperationsmöglichkeiten mit Rüstungsunternehmen im Bereich des automatisierten Fahrens aus. Ein hochrangiger Manager eines großen deutschen Rüstungskonzerns bestätigte erste Gespräche über einen möglichen Technologietransfer mit allen deutschen Autobauern. Dabei geht es vor allem darum, wie die Entwicklungsabteilungen der Autobauer unbemannte Systeme für logistische oder unterstützende Zwecke im militärischen Bereich ermöglichen könnten.
Wie steht die Automobilindustrie zu Dual-Use-Gütern? Mehrere VW-Manager bestätigen grundsätzlich die Übertragbarkeit ziviler Automatisierungstechnik auf militärische Anwendungen. Waffentechnik, Munition oder der Bau offensiver Kampfpanzer gelten im Konzern jedoch als rote Linie. VW produziert primär für den zivilen Markt, und Dual-Use-Güter spielen nur eine untergeordnete Rolle. Der Volkswagen-Konzern ist bereits seit Jahresbeginn über die Tochter Renk an der Produktion von Panzern und Kriegsschiffen beteiligt.
Regionale Kompetenzzentren und Forschungsstandorte
Welche regionalen Vorteile hat Deutschland im Dual-Use-Bereich? Deutschland hat einen Standortvorteil, weil das Spektrum spezialisierter Unternehmen groß ist. “Projektverbünde sind eine Chance für die Fahrzeugindustrie”, betont Martin Thul. Es brauche Zulieferer, die chemische Industrie, IT- und Software-Lösungen – ein großes Paket. “Da haben wir in Deutschland einen Standortvorteil”.
Welche Unternehmen und Forschungseinrichtungen sind in Rheinland-Pfalz ansässig? In Rheinland-Pfalz finden sich wichtige Akteure wie Daimler Truck mit seinem Werk in Wörth, John Deere in Kaiserslautern, der Baumaschinenhersteller Volvo in Konz und die General Dynamics European Land Systems-Bridge Systems GmbH in Kaiserslautern, die militärische Brückensysteme herstellt. In Nachbarschaft befinden sich das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und das Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE).
Was macht General Dynamics Bridge Systems zu einem wichtigen Player? Das Unternehmen, bereits 1864 als Eisenwerke Kaiserslautern gegründet, ist heute Weltmarktführer für mobile Brückensysteme. Als Spezialist für Entwicklung, Schweißzusammenbau und Reparatur von komplexen Aluminiumstrukturen beschäftigt es am Standort Kaiserslautern ca. 400 Mitarbeiter. Das Unternehmen wurde als einer der 100 innovativsten Mittelständler Deutschlands ausgezeichnet und gehört mit der Auszeichnung als Leading Employer 2025 zum Top 1 Prozent aller Arbeitgeber in Deutschland.
Die Grenzen der Transformation
Wie bewerten Branchenverbände die Chancen des Dual-Use-Ansatzes? Der Verband der Automobilhersteller (VDA) ist eher skeptisch. Die wachsende Nachfrage aus dem Bereich Dual Use und Rüstung sei für Unternehmen mit ihrem Know-how natürlich eine Option, “gleichzeitig werden sich die öffentlich debattierten Erwartungen an die Schaffung von alternativen Arbeitsplätzen aber mit hoher Wahrscheinlichkeit als überhöht herausstellen”.
Welche strukturellen Hindernisse bestehen? Für den VDA steht fest: “Die möglichen neuen Arbeitsplätze werden keinesfalls die durch die Transformation und die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit des Standorts gefährdeten Arbeitsplätze ersetzen können”. Karsten Tacke von der Landesvereinigung Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz betont, dass Dual-Use- und rüstungsnahe Technologien der Auto- und Zulieferindustrie zwar zusätzliche Märkte erschließen könnten, aber kein Allheilmittel seien und nicht zu jedem Geschäftsmodell passten.
Strategische Überlegungen für die Zukunft
Welche Rolle spielt die Robotik als Schlüsseltechnologie? Die Dual-Use-Natur der Robotik ist offensichtlich: Industrielle Service-Robotik und Militärrobotik profitieren gleichermaßen von KI, robusten Sensoren und immer stärkerer Rechenleistung. China investiert bereits massiv in humanoide Robotik mit dem erklärten Ziel, sowohl die eigene Industrie zu modernisieren, dem demographischen Wandel zu begegnen, aber auch militärisch nutzbare Roboter zu entwickeln.
Wie funktioniert moderne Kriegsführung im Kontext der Fahrzeugindustrie? “Krieg funktioniert heute anders als früher”, sagt Martin Thul. Um dafür gewappnet zu sein und passende Innovationen zu entwickeln, müsse branchenübergreifend gedacht werden, in Systemen, nicht einzelnen Komponenten. Autonome Systeme spielen in der modernen Kriegsführung eine immer wichtigere Rolle, wie der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zeigt, wo beide Seiten unter anderem teilautonome Drohnen verwenden.
Welche langfristigen Trends zeichnen sich ab? Ein zentraler Ansatz für die zukünftige Industrie- und Verteidigungspolitik ist ein Dual-Use-Ansatz, der aus industriepolitischer Sicht weniger technologisch als strategisch zu verstehen ist. Moderne Dual-Use-Strategien zielen darauf ab, Synergien systematisch zu nutzen, um wirtschaftliche Vorteile und Verteidigungsfähigkeiten gleichermaßen zu erlangen. Mit Dual-Use beabsichtigt Europa seine industrielle Basis zu stärken, ohne rein militärische Konjunkturprogramme aufzulegen – eine klassische Win-Win-Situation.
Realistische Einschätzung der Möglichkeiten
Kann der Rüstungsboom tatsächlich die Automobilkrise lösen? Die Analyse zeigt ein differenziertes Bild: Während das Wachstum der Verteidigungsausgaben erhebliche neue Marktchancen eröffnet und einzelne Unternehmen bereits erfolgreich den Übergang schaffen, ist eine vollständige Kompensation der Verluste in der Automobilindustrie unrealistisch. Die strukturellen Unterschiede zwischen beiden Branchen – von den Zertifizierungsanforderungen über die Entwicklungszyklen bis hin zu den völlig anderen Produktionsstandards – machen eine einfache Umstellung unmöglich.
Besonders vielversprechend erscheint der Bereich der Nutzfahrzeuge, wo die technischen Anforderungen näher beieinander liegen und Unternehmen wie Daimler Truck bereits konkrete Erfolge verzeichnen. Die Kooperationen mit Technologieunternehmen wie ARX Robotics zeigen, wie moderne Dual-Use-Strategien funktionieren können: durch die Kombination von ziviler Grundlagenforschung mit militärischen Anwendungen entstehen innovative Lösungen, die beiden Bereichen zugute kommen.
Die Zukunft liegt nicht im vollständigen Wechsel von der Auto- zur Rüstungsbranche, sondern in intelligenten Dual-Use-Strategien, die beide Märkte bedienen können. Deutschland verfügt durch seine breite industrielle Basis, seine Forschungslandschaft und seine geographische Lage über gute Voraussetzungen, in diesem Bereich eine führende Rolle zu übernehmen. Doch die Transformation wird Zeit, erhebliche Investitionen und vor allem realistische Erwartungen erfordern.
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Head of Business Development
Chairman SME Connect Defence Working Group
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