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Schon peinlich: Boston Consulting Group – Das Big Business MĂ€rchen – Aktionismus statt Strategie – Keine Zeit fĂŒr Deep Work

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Veröffentlicht am: 30. Dezember 2025 / Update vom: 30. Dezember 2025 – Verfasser: Konrad Wolfenstein

Schon peinlich: Boston Consulting Group – Das Big Business MĂ€rchen – Aktionismus statt Strategie – Keine Zeit fĂŒr Deep Work

Schon peinlich: Boston Consulting Group – Das Big Business MĂ€rchen – Aktionismus statt Strategie – Keine Zeit fĂŒr Deep Work – Bild: Xpert.Digital

Tausende Euro fĂŒr Newsletter-Lesen? Die bittere Wahrheit ĂŒber Top-Consulting: Die gefĂ€hrliche Illusion der hochbezahlten Berater

Die Ökonomie der Illusion: Eine kritische Analyse moderner Beratungsstrukturen am Beispiel der High-Level-Strategie

In einer Welt, die Geschwindigkeit oft mit Fortschritt verwechselt, gilt der Terminkalender eines Top-Management-Beraters als ultimatives Statussymbol. Doch was passiert, wenn man die glÀnzende OberflÀche aus Vielflieger-Status, Meetings-Marathons und exorbitanten TagessÀtzen abkratzt? Eine ökonomische Dekonstruktion offenbart Erschreckendes.

Wir blicken oft ehrfĂŒrchtig auf die “Road Warriors” der globalen Strategieberatungen: Senior Partner, die zwischen Kontinenten pendeln, um die Transformation der Weltwirtschaft zu lenken. Doch ein genauerer Blick auf den exemplarischen Tagesablauf einer FĂŒhrungskraft im Bereich KĂŒnstliche Intelligenz zeigt, dass dieses Modell möglicherweise aus der Zeit gefallen ist. Statt tiefer gedanklicher Durchdringung komplexer Probleme regiert die Verwaltung des Mangels an Zeit.

Die folgende Analyse nimmt diesen prototypischen Arbeitstag nicht als Beleg fĂŒr LeistungsfĂ€higkeit, sondern als Symptom einer tiefgreifenden Fehlentwicklung der Beratungsbranche und stellt die unbequeme Frage, ob Unternehmen heute noch fĂŒr echte Problemlösungskompetenz bezahlen oder lediglich ein kostspieliges Theater der Wichtigkeit finanzieren, in dem permanente BeschĂ€ftigung die inhaltliche Substanz lĂ€ngst verdrĂ€ngt hat. Sie versteht sich als kritische Auseinandersetzung mit der Ökonomie dieser Inszenierung und bezieht sich inhaltlich auf den bei Business Insider veröffentlichten Artikel ĂŒber den Arbeitsalltag von Amanda Luther, Managing Director und Senior Partner bei der Boston Consulting Group, der unter dem Titel „Ich bin Senior Partner bei BCG – so sieht ein typischer Tag in meinem Leben aus“ auf businessinsider.de erschienen ist.

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Vom teuren Schein der OmniprÀsenz und der Erosion echter Wertschöpfung in der globalen Consulting-Elite

Das Paradoxon des hyperaktiven Experten

In der modernen Wirtschaftslandschaft hat sich ein PhĂ€nomen etabliert, das bei genauerer Betrachtung fundamentale Fragen zur Effizienz und tatsĂ€chlichen Wertschöpfung aufwirft. Wir beobachten eine Klasse von hochvergĂŒteten EntscheidungstrĂ€gern und Beratern, deren Arbeitsalltag durch eine extreme Dichte an Taktung, ReiseaktivitĂ€t und kommunikativer Interaktion geprĂ€gt ist. Ein prominentes Beispiel hierfĂŒr liefert ein Einblick in den Arbeitsalltag einer Senior Partnerin der Boston Consulting Group, die fĂŒr die KI-Strategie verantwortlich zeichnet. Dieser Alltag, oft als Inbegriff von Erfolg und Wichtigkeit inszeniert, offenbart bei einer strengen ökonomischen und organisationssoziologischen Analyse jedoch eklatante SchwĂ€chen. Es drĂ€ngt sich der Verdacht auf, dass hier Aktionismus mit ProduktivitĂ€t und hektische Betriebsamkeit mit strategischer Tiefe verwechselt werden.

Wenn wir den beschriebenen Tagesablauf dekonstruieren, sehen wir nicht das Bild eines tief schĂŒrfenden Vordenkers, der komplexe technologische Transformationen durchdringt, sondern das eines hoch bezahlten Koordinators, der in einer Flut von administrativen und reprĂ€sentativen Aufgaben zu ertrinken droht. In der ökonomischen Theorie sprechen wir hier von einem klassischen Agenturproblem, gepaart mit einer Ineffizienz in der Ressourcenallokation. Der Kunde bezahlt fĂŒr Hochleistungsexpertise, erhĂ€lt aber faktisch die Zeit einer Person, die kaum noch Raum fĂŒr kognitive Vertiefung findet. Diese Diskrepanz zwischen dem verkauften Versprechen – der tiefgreifenden strategischen Transformation durch KĂŒnstliche Intelligenz – und der gelebten RealitĂ€t – Meetings auf dem Weg zum Flughafen und das Kuratieren von Leseempfehlungen – steht im Zentrum der folgenden Analyse. Es gilt zu untersuchen, ob das traditionelle Modell der Top-Management-Beratung in seiner jetzigen Form im Zeitalter der KI ĂŒberhaupt noch tragfĂ€hig ist oder ob wir hier Zeugen einer kostspieligen Inszenierung von Relevanz werden, die ökonomisch kaum noch zu rechtfertigen ist.

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Die Fragmentierung kognitiver Ressourcen und die Illusion von Wissensvorsprung

Morgens ist meine Zeit zum Nachdenken

Der geschilderte Start in den Tag offenbart bereits das erste strukturelle Defizit des modernen Beraterprofils. Die Protagonistin beschreibt, dass sie federfĂŒhrend bei der Erforschung von KI-Trends sei, ihre TĂ€tigkeit jedoch primĂ€r im Konsumieren von internen Mitteilungen und Newslettern besteht, um daraus Top-10-Listen zu generieren. Hierarchisch betrachtet ist dies eine TĂ€tigkeit der Informationsaggregierung, nicht der Informationssynthese oder gar der Innovation. In einer Zeit, in der Informationen allgegenwĂ€rtig verfĂŒgbar sind, generiert das bloße Filtern von externen Quellen kaum noch einen echten Mehrwert, der TagessĂ€tze im hohen vier- bis fĂŒnfstelligen Bereich rechtfertigt.

Das eigentliche Problem liegt jedoch tiefer: die kognitive Fragmentierung. Echte strategische Arbeit, insbesondere in einem so komplexen Feld wie der kĂŒnstlichen Intelligenz, erfordert das, was der Informatikprofessor Cal Newport als Deep Work bezeichnet – die FĂ€higkeit, sich ohne Ablenkung in eine kognitiv anspruchsvolle Aufgabe zu vertiefen. Wenn die Expertin jedoch angibt, dass sie hĂ€nderingend nach zwei ungestörten Stunden sucht, um ĂŒberhaupt eine Perspektive zur generativen KI zu entwickeln, ist das ein Alarmsignal. Es impliziert, dass die Strategieentwicklung ein Nebenprodukt ist, das in die RĂ€nder eines ĂŒberfĂŒllten Kalenders gepresst wird.

Ökonomisch betrachtet verkauft die Beratung hier ein Gut, das sie im Produktionsprozess gar nicht herstellen kann. Strategische Tiefe benötigt Zeit und intellektuelle Muße. Ein Zeitplan, der durchgetaktet ist und primĂ€r aus Reaktion besteht, verhindert proaktives, tiefes Denken. Der Wissensvorsprung, den solche Senior Partner suggerieren, basiert oft nicht auf eigener originĂ€rer gedanklicher Arbeit, sondern auf der schnellen Assimilation von OberflĂ€chenwissen. Der Austausch in Chatgruppen mit ehemaligen Studienkollegen mag zwar inspirierend sein, ersetzt aber keine fundierte, methodisch saubere Analyse technischer Machbarkeiten. Wir sehen hier eine gefĂ€hrliche Entkopplung von tatsĂ€chlicher technischer Kompetenz und strategischer Beratung. Es wird ĂŒber KI gesprochen, basierend auf Schlagzeilen und Newslettern, anstatt die zugrundeliegenden Mechanismen und deren reale Implikationen fĂŒr GeschĂ€ftsmodelle fundamental zu durchdringen. Das Ergebnis sind Strategien, die oft generisch bleiben und an der operationalen RealitĂ€t der Unternehmen scheitern, weil sie auf Buzzwords statt auf technischer Substanz basieren.

Die BĂŒrokratisierung der Beratung und die Dominanz der Transaktionskosten

Die Nachmittage sind mit internen Besprechungen gefĂŒllt

Ein frappierender Aspekt des analysierten Tagesablaufs ist das VerhĂ€ltnis von interner zu externer Kommunikation. Der Großteil des Tages wird in internen Meetings verbracht. Aus der Perspektive der Transaktionskostentheorie ist dies ein Indikator fĂŒr massive Ineffizienz. Wenn ein Senior Partner, dessen Zeit das teuerste Gut der Firma darstellt, primĂ€r damit beschĂ€ftigt ist, interne AblĂ€ufe zu koordinieren, Teams auszurichten und Druck weiterzugeben, dann zahlt der Klient am Ende nicht fĂŒr die Lösung seines Problems, sondern fĂŒr die Aufrechterhaltung der komplexen internen Struktur des Beratungsunternehmens.

Diese interne Nabelschau ist symptomatisch fĂŒr große Professional Service Firms. Je komplexer die Organisation, desto mehr Energie wird benötigt, um die Entropie des Systems niedrig zu halten. Die beschriebene leichte Anspannung und der Druck, der auf die Teams weitergegeben wird, sind oft kĂŒnstlich erzeugt, um ein GefĂŒhl der Dringlichkeit zu simulieren, das in der Sache selbst oft nicht begrĂŒndet ist. Dies fĂŒhrt zu einer Kultur des Aktionismus, in der Bewegung mit Fortschritt verwechselt wird.

Besonders kritisch ist die Aussage, dass VorstĂ€nde nach KI fragen, weil das Thema fast existenziell sei, aber Projekte oft scheitern. Hier zeigt sich das Versagen des aktuellen Beratungsansatzes. Die Berater fungieren oft als Angst-Therapeuten fĂŒr das Management. Sie adressieren die FOMO (Fear of Missing Out) der FĂŒhrungsetagen. Anstatt jedoch robuste, technisch validierte ImplementierungsplĂ€ne zu liefern, wird oft eine strategische Vision verkauft, die an der organisatorischen RealitĂ€t zerschellt. Die Tatsache, dass Projekte scheitern, wird oft als unvermeidliches Risiko der Innovation dargestellt. TatsĂ€chlich scheitern sie oft, weil die Beratung auf einer Meta-Ebene stattfindet, die von den operativen RealitĂ€ten entkoppelt ist. Wenn der Berater primĂ€r intern koordiniert und nur auf C-Level kommuniziert, fehlt der Link zur operativen Ebene – dem Schichtleiter im Restaurant, der die KI nutzen soll. Die beschriebene KomplexitĂ€t eines Schnellrestaurants lĂ€sst sich nicht durch Top-Down-Strategien lösen, die in internen Meetings zwischen Flughafen-Transfers entstanden sind, sondern nur durch tiefes VerstĂ€ndnis der Prozesse vor Ort – wofĂŒr in diesem Modell schlicht die Zeit fehlt.

 

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Teures HĂ€ndchenhalten: Das absurde System hinter der Top-Beratung

Emotionale Arbeit als Ersatz fĂŒr inhaltliche Substanz

Ich fĂŒhre manchmal schwierige GesprĂ€che ĂŒber die Karriere von Menschen

Interessant ist die starke Betonung der emotionalen Komponente und der sogenannten People-Management-Aufgaben. NatĂŒrlich ist FĂŒhrung ein wesentlicher Bestandteil jeder Senior-Rolle. In der Beratungsbranche dient diese Betonung jedoch oft dazu, den Mangel an fachlicher Tiefe zu maskieren. Das Narrativ verschiebt sich von wir liefern die beste technische Lösung hin zu wir managen die schwierigsten Transformationen. Das Vorhalten von TaschentĂŒchern und das Managen von TrĂ€nen wird als Kernkompetenz stilisiert.

Ökonomisch betrachtet ist dies ein faszinierendes PhĂ€nomen. Hochbezahlte Strategen verbringen signifikante Teile ihrer Zeit mit Aufgaben, die eher in den Bereich der psychologischen Betreuung oder des HR-Managements fallen. Das sogenannte Up-or-Out-Prinzip dieser Firmen erzeugt systemisch bedingte Unsicherheiten und Ängste bei den Mitarbeitern (die Sorge, ob man auf das richtige Projekt kommt). Die Partner mĂŒssen dann die Scherben dieses Systems zusammenkehren. Dies ist eine hausgemachte Ineffizienz. Das System erzeugt Stress, den die teuersten Ressourcen des Systems dann managen mĂŒssen.

FĂŒr den Kunden ist dies wertlos. Er zahlt fĂŒr das Ergebnis, nicht fĂŒr den internen Therapieaufwand der Beratungsfirma. Doch dieses Narrativ der harten GesprĂ€che dient auch der Selbstlegitimation der Partner. Es suggeriert eine emotionale Schwere und Verantwortung, die den Status rechtfertigt. Es ist Teil der Inszenierung des Beraters als weiser FĂŒhrer durch stĂŒrmische Zeiten, wobei oft ĂŒbersehen wird, dass viele der StĂŒrme in WasserglĂ€sern stattfinden, die von der eigenen Industrie ĂŒberhaupt erst aufgestellt wurden. Die Sorge, ob Teams richtig positioniert sind, ist im Kern eine Ressourcenallokationsfrage. Dass diese so viel mentale Energie eines Senior Partners bindet, deutet auf defizitĂ€re interne Marktmechanismen oder ineffiziente Planungstools hin – eine Ironie fĂŒr eine Firma, die anderen Unternehmen Effizienz beibringen will.

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Die ökonomische AbsurditÀt der physischen Hyper-MobilitÀt

Um 17 Uhr fliege ich oft schon in eine andere Stadt

In keinem Bereich wird der Anachronismus des GeschĂ€ftsmodells so deutlich wie in der ReiseaktivitĂ€t. Vier StĂ€dte in einer Woche zu besuchen, ist in einer digital vernetzten Welt, insbesondere fĂŒr jemanden, der KI-Strategien und digitale Transformation predigt, ein ökonomisches und ökologisches Desaster. Es ist das ultimative Symbol fĂŒr Ineffizienz. Die Reisezeit, selbst wenn sie mit Telefonaten gefĂŒllt wird, ist niemals so produktiv wie konzentrierte Arbeit in einer stabilen Umgebung.

Warum wird dieser Aufwand betrieben? Es handelt sich um ein Signalling-PhĂ€nomen. Die physische Anwesenheit des Senior Partners signalisiert dem Kunden Wichtigkeit und Rechtfertigung fĂŒr die hohen Honorare. Es ist ein Veblen-Effekt: Die Dienstleistung wird als wertvoller wahrgenommen, je aufwendiger und teurer ihre Erbringung erscheint. Wenn der Partner extra einfliegt, muss das, was er zu sagen hat, wichtig sein.

Rational betrachtet ist diese MobilitĂ€t jedoch reine Verschwendung. Die OpportunitĂ€tskosten sind gigantisch. Die Stunden, die in Sicherheitskontrollen, Taxis und Flugzeugsitzen verbracht werden, fehlen fĂŒr die tiefe Analyse, die im ersten Abschnitt als so notwendig identifiziert wurde. Zudem konterkariert dieses Verhalten jegliche NachhaltigkeitsbemĂŒhungen, die oft ebenfalls Teil der Beratungsstrategien fĂŒr Kunden sind. Dass FlugverspĂ€tungen als grĂ¶ĂŸte Bedrohung fĂŒr die Work-Life-Balance und den Schlaf identifiziert werden, zeigt die FragilitĂ€t dieses Systems. Ein GeschĂ€ftsmodell, das kollabiert oder massiven persönlichen Stress erzeugt, sobald ein Flugzeug VerspĂ€tung hat, ist nicht resilient. Es ist auf Kante genĂ€ht und verlĂ€sst sich auf eine Infrastruktur, die zunehmend unzuverlĂ€ssig wird. Der ProduktivitĂ€ts-Hack, wĂ€hrend der Fahrt Telefonate zu fĂŒhren, ist in Wahrheit nur Schadensbegrenzung. Es ist der Versuch, Zeit, die eigentlich verloren ist, noch irgendwie zu monetarisieren. Wirkliche Wertschöpfung sieht anders aus.

Kulturelle Symbolik und die Kommodifizierung von IntellektualitÀt

Ich nehme mir immer Zeit fĂŒr persönliche LektĂŒre

Der Abschnitt ĂŒber das Lesen von hundert BĂŒchern pro Jahr und das Studium von PrĂ€sidentenbiografien erfĂŒllt eine wichtige Funktion in der Selbstinszenierung der Elite. Es dient dem Aufbau von kulturellem Kapital. Der Berater prĂ€sentiert sich nicht als bloßer Technokrat, sondern als umfassend gebildeter Polymath. Das Lesen von Biografien mĂ€chtiger MĂ€nner (PrĂ€sidenten) spiegelt den Anspruch wider, selbst Teil der Geschichte schreibenden Klasse zu sein oder zumindest deren Mechanismen zu verstehen.

Kritisch hinterfragt werden muss jedoch die Art des Lesens. Bei einem solchen Pensum und dem beschriebenen Zeitdruck handelt es sich oft um ein konsumierendes, scannendes Lesen, nicht um ein studierendes Durchdringen. Es passt in das Muster der Top-10-Listen: Wissen wird als Konsumgut betrachtet, das man in großen Mengen aufnimmt, um die eigene MarktfĂ€higkeit und den GesprĂ€chswert bei Abendessen zu steigern. Es ist ein quantitativer Ansatz fĂŒr intellektuelle Bildung.

Die ErwĂ€hnung von Science-Fiction und dem Hugo Award ist ebenfalls strategisch interessant. Sie signalisiert Zukunftsgewandtheit und Vorstellungskraft – essentielle Attribute fĂŒr jemanden, der KI-Strategien verkauft. Doch auch hier bleibt der schale Beigeschmack der OberflĂ€chlichkeit. Dient die LektĂŒre wirklich der Horizonterweiterung oder ist sie nur Treibstoff fĂŒr den nĂ€chsten Smalltalk mit einem CEO ĂŒber die Zukunft der Menschheit? In der Ökonomie der Aufmerksamkeit ist Belesenheit eine WĂ€hrung. Aber wie bei der Fiat-WĂ€hrung stellt sich die Frage nach der Deckung. Wird das Gelesene in innovative Konzepte ĂŒbersetzt oder bleibt es dekoratives Beiwerk? Angesichts der fehlenden Zeit fĂŒr tiefes Nachdenken ĂŒber generative KI liegt der Verdacht nahe, dass die intellektuelle Neugier zwar vorhanden ist, aber systematisch durch den operativen Hamsterrad-Effekt an der wirklichen Entfaltung gehindert wird.

Das systemische Defizit: Warum teuer nicht gleich gut ist

Die Analyse dieses Arbeitstages offenbart ein fundamentales MissverhĂ€ltnis, das symptomatisch fĂŒr die gesamte Branche der Top-Management-Beratung ist. Wir sehen hier einen klassischen Fall von Input-Output-Asymmetrie. Der Input – extrem viele Arbeitsstunden, hohe Reisekosten, massiver Stress, emotionale Erschöpfung – ist enorm hoch. Der beschriebene Output hingegen – Zusammenfassungen von Newslettern, interne Abstimmungsmeetings, beruhigende GesprĂ€che mit VorstĂ€nden – steht dazu in keinem gesunden VerhĂ€ltnis.

Der Marktmechanismus scheint hier versagt zu haben, oder genauer gesagt: Er funktioniert nach anderen Regeln als der reinen ProduktivitĂ€t. Unternehmen kaufen Beratung oft nicht wegen der ĂŒberlegenen Problemlösungskompetenz, sondern zur Reduktion von Unsicherheit. Man kauft die Marke BCG, um sich im Falle des Scheiterns abzusichern („Wir haben die Besten engagiert“). Der Senior Partner fungiert dabei als Hohepriester dieser Absicherung. Seine (oder ihre) Aufgabe ist die rituelle Begleitung von Entscheidungen, nicht zwingend deren inhaltliche Optimierung.

Das von der Protagonistin beschriebene Problem, dass Projekte scheitern, obwohl jeder darĂŒber spricht, ist direkt auf diese Struktur zurĂŒckzufĂŒhren. Echte KI-Implementierung ist ein technisches und operatives Problem, kein rhetorisches. Sie erfordert Zeit, Experimentieren, technisches Detailwissen und eine enge Verzahnung mit der Basis. All das bietet der beschriebene Tagesablauf nicht. Er bietet stattdessen Meetings, FlĂŒge und Meta-Diskussionen. Das ist der “KĂ€se” statt des Outcomes. Es ist teure Prozessbegleitung ohne inhaltliche Bodenhaftung.

Die Gefahr fĂŒr dieses Modell liegt in der Disruption durch genau die Technologie, die hier verkauft wird. KI wird zunehmend in der Lage sein, die Informationsaggregationsaufgaben (Newsletter, Trends scannen) zu ĂŒbernehmen. Wenn die Wissensbasis einer Senior Partnerin primĂ€r aus dem Lesen von E-Mails besteht, ist sie durch einen gut trainierten Agenten ersetzbar. Was bleibt, ist die menschliche Komponente – das HĂ€ndchenhalten der VorstĂ€nde. Das ist eine legitime Dienstleistung, aber sie rechtfertigt kaum die Margen und den Nimbus der strategischen Unfehlbarkeit, den die Branche vor sich hertrĂ€gt.

Wir steuern auf eine Bereinigung zu. Unternehmen werden zunehmend erkennen, dass der “Aktionismus” der Berater – das Reisen, die vielen Meetings – kein QualitĂ€tsmerkmal ist, sondern ein Kostentreiber ohne Korrelation zum Projekterfolg. Die Zukunft der Beratung mĂŒsste eigentlich in der Entschleunigung und Vertiefung liegen: Weniger Projekte, weniger Reisen, dafĂŒr echtes, tiefes technisches VerstĂ€ndnis und Zeit fĂŒr gedankliche Durchdringung. Doch der aktuelle Anreizmechanismus der großen Firmen, der auf Umsatzmaximierung durch Auslastung (Billable Hours) basiert, steht dem diametral entgegen.

So bleibt der hier analysierte Arbeitstag ein Dokument des Übergangs – ein Zeugnis einer Ära, in der Anwesenheit mit Leistung und hektische Betriebsamkeit mit strategischer Relevanz verwechselt wurde. Es ist ein teures TheaterstĂŒck, aufgefĂŒhrt auf den BĂŒhnen der globalen KonferenzrĂ€ume, dessen Eintrittspreise immer schwerer zu rechtfertigen sind. Der “Outcome” ist oft nur eine weitere PowerPoint-PrĂ€sentation, die erklĂ€rt, warum die nĂ€chste Transformation noch dringender ist als die letzte – ein perpetuum mobile der Beratung, angetrieben von der Angst der Kunden und der Rastlosigkeit der Berater.

Die Notwendigkeit einer neuen Definition von Expertise

Die kritische Dekonstruktion des Tagesablaufs von Amanda Luther ist kein Angriff auf die Person, sondern eine Vivisektion eines krÀnkelnden Systems. Das Bild, das gezeichnet wird, ist das einer hochintelligenten Arbeitskraft, die in einem System gefangen ist, das ihre kognitiven FÀhigkeiten durch logistischen und administrativen Overhead neutralisiert.

Wenn wir ĂŒber wahre ökonomische Effizienz sprechen, mĂŒssen wir fragen: WĂ€re es nicht sinnvoller, wenn diese Expertin 20 Stunden die Woche Zeit hĂ€tte, wirklich tief ĂŒber generative KI nachzudenken, anstatt in Flughafen-Lounges Calls zu fĂŒhren? WĂ€re der Wert fĂŒr den Kunden nicht ungleich höher, wenn die Strategie auf fundierter eigener Forschung basieren wĂŒrde statt auf der Aggregation von Fremdwissen?

Die Antwort ist ein klares Ja. Doch das GeschĂ€ftsmodell der großen Beratungen ist auf Skalierung von menschlicher Arbeitszeit ausgelegt, nicht auf die Skalierung von Weisheit. Solange Kunden bereit sind, fĂŒr die Show der GeschĂ€ftigkeit zu zahlen, wird sich dieses Rad weiterdrehen. Doch die Zeichen mehren sich, dass die Geduld der Realwirtschaft mit diesem Modell schwindet. Echte Expertise zeigt sich nicht in der Anzahl der besuchten StĂ€dte pro Woche, sondern in der Klarheit und Umsetzbarkeit der Gedanken. Und diese entstehen in der Stille, nicht im LĂ€rm der Business Class. Der “KĂ€se” mag teuer sein und gut verpackt, aber er macht die Unternehmen nicht satt. Es ist Zeit fĂŒr eine DiĂ€t – weniger Kalorien in Form von unnötigen Meetings und Reisen, mehr NĂ€hrstoffe in Form von echter, harter, gedanklicher Arbeit.

 

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