Kaum bestellt, schon an der Tür
Gestern gekauft – morgen geliefert: Vor nicht zu langer Zeit war die Zusendung einer bestellten Ware innerhalb von 48 Stunden ein Qualitätsmerkmal, mit denen Onlinehändler sich gegenüber ihren Wettbewerbern positionieren konnten. Doch seitdem Next-Day-Delivery in aller Munde ist und erste Anbieter am selben Tag zustellen, sind extrem kurze Lieferzeiten für viele Kunden nicht nur normal, sondern explizit gefordert.
Bisher waren der Zustellungszeit natürliche Grenzen gesetzt, die sich nur mit hohem Technikaufwand weiter verschieben ließen. Neben der Einrichtung eines flächendeckenden Netzes dezentraler Lagerorte und Ausweitung der Transportflotten ist die vorausschauende Logistik ein Hauptansatzpunkt der Optimierung.
Vorangetrieben wird die Entwicklung des vorausschauenden Versands wieder einmal durch den E-Commerce-Vorreiter Amazon. Kein Wunder, kann die Firma doch aus einem schier unendlichen Datenschatz schöpfen; wird doch jeder Produktaufruf, jede besuchte Seite und jeder Klick auf eine der Amazon-Webseiten registriert. Und eben diese Informationen sind das Futter der eingesetzten Algorithmen, die aus einer längeren Verweildauer oder dem wiederholten Aufruf einer Seite die Wahrscheinlichkeit folgern, dass aus dem Interessenten ein Käufer wird. Dabei lernt die Analysemethode mit Hilfe der neugewonnenen Daten ständig hinzu und kann so die Präzision seiner Voraussagen stetig steigern. Ab einer gewissen Genauigkeit macht es für Amazon somit durchaus Sinn, nachgelagerte logistische Prozesse wie Auslagerung, Kommissionierung und Versandvorbereitung von Artikeln vorzuziehen. Wenn der Kunde schließlich den Kaufen-Button klickt, liegt das Paket bereits bereit und muss nur noch mit einem Adressetikett bedruckt werden, bevor es auf die Reise geschickt wird.
Doch die von Amazon zum Patent angemeldete Technik geht noch einen Schritt weiter, löst sie sich doch von dem individuellen Besteller und kreist ganze Kundengruppen mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung weiter ein. So werden Annahmen über das Kaufverhalten ganzer Regionen getroffen. Ein Beispiel wäre vielleicht ein Sportereignis in einer Stadt. Eine Woche vorher würde in einem nahegelegenen Lager begonnen, Trikots der beteiligten Mannschaften versandfertig zu machen. Die Pakete würden sodann mit Adressaufklebern versehen, auf denen bereits die Empfängerstadt oder ein Postleitzahlbereich vermerkt sind. Dann würden die Artikel dorthin transportiert und gegebenenfalls in dem LKW oder einem dezentralen Pufferlager stationiert, bis die prognostizierten Bestellungen tatsächlich eintreffen. Was folgt, ist lediglich die Fertigstellung des Versandlabels. Dann macht der Truck sich auf den Weg und liefert das gewünschte Trikot kurz nach Bestelleingang ab.
Vorausschauende Lagerlogistik
Ob nun im Zentrallager oder in einem Pufferlager vor Ort, Voraussetzung für den schnellen Versand ist die reibungslose Kommissionierung der Artikel. Hier sind leistungsstarke Logistiklösungen gefragt, soll der gewonnene Zeitvorteil nicht durch eine verzögerte Bereitstellung verspielt werden. Und genau hier besteht auch für kleinere E-Händler die Möglichkeit, sich in Punkto Geschwindigkeit gegenüber dem Giganten aus Seattle zu positionieren.
Dabei wird der Prozess auch hier auf vorausschauende Weise gelenkt. Beispielsweise ordnet die Steuerungssoftware anhand der den Transportsystemen oder Kommissionierern zugeteilten Arbeitsplänen Folgeaufträge zu, wenn diese sich räumlich in der Nähe des Lagerplatzes eines zusätzlich zu pickenden Artikels befinden. Als weitere Auswahlmerkmale könnten auch mitgeführte Positionsmelder wie RFID-Chips oder GPS-Geräte dienen. Bei selbstfahrenden Robotern verläuft die antizipierende Steuerung, indem die Geräte autonom untereinander kommunizieren und aufgrund der aktuellen Positionen oder der geplanten Routenverläufe selbst entscheiden, welches Modul den Artikel am besten abholen sollte.
Doch ob nun softwaregesteuert oder autark operierend, die vorausschauende Planung hilft, die zurückzulegenden Wege im Lager effizient zu koordinieren. Wo also vor nicht all zu langer Zeit noch die Artikel in herkömmlichen Regallagern untergebracht waren, von wo aus sie manuell ausgelagert und über weite Strecken für Versand oder Produktion bereitgestellt wurden, laufen in vielen Unternehmen die Lagerprozesse heutzutage vollkommen automatisiert und parallel ab.
Für diese automatisierte Logistik sind kompakte Lagergeräte gefragt, die in räumlicher Nähe zu den Kommissionierstationen platziert werden können und dazu über eine hohe Bereitstellungsleistung verfügen. Hier könnten vertikale Pufferlager aufgrund ihrer geringen Abmessungen und der hohen Pickleistung eine Lösung sein.
Der Transport zum Kunden
Doch was nützen all die Algorithmen, dezentralisierten Lagerorte und die schnellste Kommissionierung, wenn die Pakete auf dem Weg zum Kunden im Stau steckenbleiben? Auch hier hilft die Technik in Form von Big Data weiter: Verkehrsströme werden laufend überwacht und den Fahrern stets die optimale Route angezeigt. Einen Schritt weiter gehen Forscher des Hasso-Plattner-Instituts. Diese haben jüngst ein System entwickelt, das in Echtzeit interne Informationen mit online verfügbaren, verkehrsrelevanten Daten verknüpft. Mit dieser Lösung können Logistikunternehmen präzise Voraussagen über den Verkehrsfluss erhalten. Über das System werden die jeweils neuesten Informationen der nutzereigenen Frachtflotten mit aktuellen Verkehrsdaten in Verbindung gesetzt und ausgewertet. Auf diese Weise erfahren sie sofort, ob, wo und seit wann sich einer der eigenen LKW’s im Stau befindet und in welchem Maße dies den Transport verzögert.
Doch das System kann noch mehr, ermöglicht es doch, Verkehrsstörungen zu prognostizieren, bevor diese tatsächlich eintreten. Wenn GPS-Daten beispielsweise eine zunehmende Menge von sich auf einer Autobahn bewegenden Fahrzeugen anzeigen, kann daraus auf eine bevorstehende Überlastung geschlossen werden. Auch können aus Informationen über Witterungsverhältnisse Rückschlüsse auf die Abfahrtszeiten von Fähren oder Flugzeugen gezogen werden. Mit Hilfe dieser Informationen können die geplanten Routen frühzeitig optimiert werden, damit der Kunde die Ware auch tatsächlich in den Händen hält, kaum dass er sie im Netz geordert hat.
Als Alternative dazu bietet sich eventuell wieder der Webgigant aus den USA an, der den Markt zumindest mittelfristig mit seinen Lieferdrohnen direkt aus der Luft bedienen will. Aus Sicht der Firma ist dies sicher eine gute Gelegenheit, seinen Prime Now-Service mit Hilfe des Warentransports per Drohne zu optimieren. Staus, überfüllte Straßen oder fehlender Parkraum für die Lieferfahrzeuge: All dies würde der schnellen Zustellung nicht mehr im Wege stehen.
Manager des Unternehmens fordern bereits spezielle Luftkorridore für die unbemannten Fluggeräte. So könnten Lieferdrohnen in Höhen zwischen 60 und 120 Metern operieren, wo sie den Flugverkehr nicht stören. Technisch möglich ist der Warentransport per Drohne ohne größere Probleme. Getestet werden die Geräte bereits, unter anderem in Kanada. Problematisch sind zur Zeit noch die erforderlichen behördlichen Genehmigungen. Doch sind diese erst aus dem Weg geräumt, dann wäre Prime Air, die Zusendung innerhalb von 30 bis 60 Minuten nach Bestellung, nicht mehr bloße Zukunftsmusik. Die Frage ist, welcher Kunde die nicht unbeträchtlichen Zusatzkosten für diesen Service aufbringen würde. Aber darauf hat Amazon mit seinen Algorithmen sicher bereits eine Antwort.