
Schwedens historische Aufrüstung: Ein Wendepunkt in der europäischen Sicherheitspolitik – Finanzierung durch Kreditaufnahme – Bild: Xpert.Digital
Schweden plant historische Verteidigungsaufrüstung für 28 Milliarden Euro bis 2035
Eine beispiellose politische Einigung für die nationale Sicherheit
Schweden vollzieht derzeit eine der bedeutendsten sicherheitspolitischen Wenden in seiner modernen Geschichte. Die schwedischen Regierungsparteien haben sich gemeinsam mit der Opposition auf eine massive Erhöhung der Verteidigungsausgaben verständigt, die das Land grundlegend transformieren wird. Diese parteiübergreifende Einigung ist bemerkenswert, da sie alle großen politischen Kräfte des Landes umfasst – von den regierenden Parteien über die Sozialdemokraten bis hin zu den Schwedendemokraten, der Linkspartei, der Zentrumspartei und den Grünen.
Das Ausmaß der geplanten Investitionen ist beispiellos: Bis zum Jahr 2035 will Schweden zusätzliche 300 Milliarden Kronen in die Verteidigung investieren, was etwa 28 Milliarden Euro entspricht. Diese Summe stellt die größte militärische Aufrüstung des Landes seit dem Ende des Kalten Krieges dar. Ministerpräsident Ulf Kristersson bezeichnete das Vorhaben als historische Weichenstellung für die Sicherheit Schwedens und der gesamten NATO.
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Finanzierung durch Kreditaufnahme: Ein neuer Ansatz
Die Finanzierung dieser gigantischen Aufrüstung erfolgt größtenteils über Kredite, ein Ansatz, der auch in Deutschland diskutiert wird. Die schwedische Regierung plant, Anleihen im Wert von 300 Milliarden Kronen mit einer Laufzeit bis 2035 aufzunehmen. Diese Kreditfinanzierung ist als vorübergehende Maßnahme gedacht, um schnell auf die veränderte Sicherheitslage reagieren zu können.
Dabei ist die Verschuldung auf maximal 300 Milliarden Kronen begrenzt, wovon höchstens 50 Milliarden Kronen für Investitionen in die zivile Verteidigung verwendet werden dürfen. Die schwedische Regierung hat gleichzeitig betont, dass die Schuldenquote langfristig bei 35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bleiben soll, um die Stabilität der Staatsfinanzen zu gewährleisten. Bis 2035 soll schrittweise eine langfristige Finanzierung eingeführt werden, damit die öffentlichen Finanzen wieder ausgeglichen sind.
Das neue NATO-Ziel: Fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts
Schwedens Aufrüstungspläne orientieren sich an den neuen NATO-Zielvorgaben, die weit über das bisherige Zwei-Prozent-Ziel hinausgehen. Das angestrebte neue Ziel sieht vor, dass NATO-Mitglieder künftig insgesamt fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für sicherheitsrelevante Ausgaben aufwenden. Diese teilen sich auf in 3,5 Prozent für klassische Verteidigungsausgaben und weitere 1,5 Prozent für damit verbundene Ausgaben wie die Stärkung der zivilen Resilienz, Cyberabwehr oder militärisch nutzbare Infrastruktur.
Derzeit liegt Schweden bei etwa 2,4 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben. Das neue Ziel von 3,5 Prozent soll bis 2030 erreicht werden. Diese dramatische Steigerung spiegelt die veränderte Bedrohungslage in Europa wider, insbesondere nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Die Niederlande haben bereits ähnliche Pläne angekündigt und wollen ebenfalls das Fünf-Prozent-Ziel erreichen. Auch andere NATO-Staaten wie Polen und die baltischen Länder haben sich bereits zu diesem ehrgeizigen Ziel bekannt. Polen führt bereits mit Verteidigungsausgaben von über vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts, während die baltischen Staaten Estland und Lettland mit 3,41 beziehungsweise 3,39 Prozent ebenfalls weit über dem bisherigen NATO-Standard liegen.
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Schwedens Weg von der Neutralität zur NATO-Mitgliedschaft
Um die Tragweite der aktuellen Entwicklungen zu verstehen, ist ein Blick auf Schwedens sicherheitspolitische Geschichte notwendig. Das skandinavische Land verfolgte über 200 Jahre lang eine Politik der bewaffneten Neutralität. Diese Neutralität war jedoch nie absolut – bereits ab 1948 gab es geheime Absprachen mit den USA und Großbritannien zur militärischen Zusammenarbeit mit der NATO für den Fall eines sowjetischen Angriffs.
Während des Kalten Krieges verfügte Schweden über beeindruckende militärische Kapazitäten. Das Land besaß die viertgrößte Luftwaffe der Welt und konnte bis zu 850.000 Soldaten mobilisieren. Eigens produzierte Panzer, Kampfjets und U-Boote der schwedischen Rüstungsindustrie stärkten die Glaubwürdigkeit der bewaffneten Neutralität. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden die Militärausgaben jedoch drastisch reduziert – von 3,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts 1988 auf nur noch 1,2 Prozent.
Der Wendepunkt kam mit der russischen Annexion der Krim 2014, die zu ersten Erhöhungen der Verteidigungsausgaben führte. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine im Februar 2022 beschleunigte dann Schwedens NATO-Beitritt erheblich. Nach fast zwei Jahren des Beitrittsprozesses wurde Schweden im März 2024 als 32. Mitglied in die NATO aufgenommen.
Die veränderte Sicherheitslage in Europa
Die massive Aufrüstung Schwedens ist eine direkte Reaktion auf die grundlegend veränderte Sicherheitslage in Europa. Russland wird heute als die größte konventionelle Bedrohung für Europa eingestuft. Diese Bedrohung beschränkt sich nicht nur auf direkte militärische Konfrontation, sondern umfasst auch hybride Kriegsführung, Cyberangriffe und andere Formen der Destabilisierung.
Ministerpräsident Kristersson verwies auch auf die Unsicherheiten in den transatlantischen Beziehungen, insbesondere im Hinblick auf die Politik des US-Präsidenten Donald Trump. Diese Unsicherheiten würden noch lange bestehen bleiben und erfordern daher eine stärkere europäische Eigenverantwortung in der Verteidigung. Trump fordert von den NATO-Ländern eine Erhöhung ihrer Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts, während die USA selbst nur 3,5 Prozent aufwenden.
Die Bedrohung durch Russland hat bereits heute konkrete Auswirkungen auf die schwedische Verteidigungsplanung. Besonders gefährdet sind Teile des Baltikums, die unmittelbar an Russland grenzen. Moderne Bedrohungen durch Fernwaffen und hybride Kriegsführung erfordern völlig neue Verteidigungskonzepte.
Schwedens Verteidigungsindustrie als strategischer Vorteil
Ein wichtiger Faktor für Schwedens Aufrüstungspläne ist die leistungsfähige eigene Verteidigungsindustrie. Unternehmen wie Saab AB spielen eine zentrale Rolle in der europäischen Verteidigungslandschaft. Saab ist heute ein globaler Akteur mit 21.600 Mitarbeitern und bedient 100 Märkte in 30 Ländern. Das Unternehmen ist in vier Hauptbereiche gegliedert: Luft- und Raumfahrt, Dynamics (Waffensysteme), Überwachung (elektronische Kriegsführung, Radare, Cybersicherheit) und Kockums (U-Boote und Kriegsschiffe).
Die schwedische Rüstungsindustrie hat bereits konkrete Projekte zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeiten umgesetzt. So haben Schweden und Dänemark gemeinsam 205 CV90-Schützenpanzer bestellt, wovon 50 als Ersatz für an die Ukraine gespendete Fahrzeuge dienen. Diese Kooperation zeigt, wie die nordischen Länder ihre Verteidigungskapazitäten koordiniert ausbauen.
Nordische Verteidigungskooperation und europäische Integration
Schweden ist Teil der Nordic Defence Cooperation (Nordefco), einem Militärbündnis der nordeuropäischen Staaten Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden. Diese Organisation zielt auf eine verstärkte militärische Zusammenarbeit zur Verteidigung gegen externe Aggressionen ab. Die Nordefco ergänzt die NATO-Mitgliedschaft und ermöglicht eine engere regionale Koordination.
Die nordische Kooperation hat sich als besonders effektiv erwiesen, da die Länder ähnliche sicherheitspolitische Herausforderungen haben und über kompatible militärische Systeme verfügen. Die Verteidigungsminister der Mitgliedsstaaten treffen sich regelmäßig zu Beratungen, wobei der Vorsitz zwischen den Ländern wechselt.
Auswirkungen auf die Ukraine-Unterstützung
Ein wichtiger Aspekt der schwedischen Aufrüstung ist die verstärkte Unterstützung für die Ukraine. Die für 2025 vorgesehene Unterstützung wurde von ursprünglich geplanten 25 auf 40 Milliarden Kronen (4,3 Milliarden Euro) erhöht. Diese Steigerung zeigt, dass die schwedische Aufrüstung nicht nur der eigenen Verteidigung dient, sondern auch der Stabilisierung der europäischen Sicherheitsordnung.
Die Unterstützung für die Ukraine ist Teil einer breiteren europäischen Strategie, die darauf abzielt, Russlands Aggression zu stoppen und die regelbasierte internationale Ordnung zu verteidigen. Schweden hat bereits erhebliche Mengen an militärischer Ausrüstung an die Ukraine geliefert, einschließlich der erwähnten CV90-Schützenpanzer.
Deutschland im Vergleich: Ähnliche Herausforderungen
Deutschland steht vor ähnlichen Herausforderungen wie Schweden bei der Finanzierung erhöhter Verteidigungsausgaben. Der Deutsche Bundestag hat im März 2025 eine Grundgesetzänderung beschlossen, die kreditfinanzierte Investitionen für Verteidigung außerhalb der Schuldenbremse ermöglicht. Für Verteidigungs- und Sicherheitsausgaben wird die Schuldenbremse für alle Ausgaben ausgesetzt, die über ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinausgehen.
Deutschland erfüllt das Zwei-Prozent-Ziel der NATO derzeit nur durch das bestehende 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr. Nach aktuellen Berechnungen könnten die neuen NATO-Zielvorgaben für Deutschland jährliche Ausgaben von etwa 3,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erfordern. Dies wäre ein dreistelliger Milliardenbetrag und würde eine fundamentale Neuausrichtung der deutschen Haushaltspolitik bedeuten.
Herausforderungen und Risiken der Kreditfinanzierung
Die Kreditfinanzierung der Aufrüstung birgt sowohl Chancen als auch Risiken. Einerseits ermöglicht sie es, schnell auf die veränderte Bedrohungslage zu reagieren, ohne andere wichtige Staatsausgaben zu kürzen. Andererseits erhöht sie die Staatsverschuldung und kann die finanzielle Flexibilität künftiger Regierungen einschränken.
Schweden hat bewusst Grenzen für die Verschuldung gesetzt und plant eine schrittweise Rückkehr zu ausgeglichenen Haushalten bis 2035. Die Schuldenquote soll dauerhaft bei 35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bleiben. Diese Selbstbeschränkung soll das Vertrauen der Finanzmärkte erhalten und die langfristige finanzielle Stabilität sichern.
Stärkung der zivilen Resilienz und Infrastruktur
Ein wichtiger Aspekt der schwedischen Aufrüstung ist die Stärkung der zivilen Resilienz und Infrastruktur. Die geplanten 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für breitere verteidigungs- und sicherheitsbezogene Investitionen umfassen Bereiche wie Zivilschutz, kritische Infrastruktur und Cybersicherheit.
Diese ganzheitliche Herangehensweise spiegelt das moderne Verständnis von Sicherheit wider, das weit über traditionelle militärische Bedrohungen hinausgeht. Die Stärkung der gesellschaftlichen Resilienz gegen hybride Bedrohungen, Cyberangriffe und andere Formen der Destabilisierung ist zu einem zentralen Element der nationalen Sicherheitsstrategie geworden.
Internationale Reaktionen und NATO-Gipfel
Die schwedischen Aufrüstungspläne stehen im Kontext des bevorstehenden NATO-Gipfels am 24. und 25. Juni 2025 in Den Haag. Bei diesem Treffen sollen die neuen Ausgabenziele offiziell beschlossen werden. Nicht alle NATO-Mitglieder unterstützen jedoch das Fünf-Prozent-Ziel – Spanien hat bereits Widerstand angekündigt.
Die unterschiedlichen Positionen der NATO-Mitglieder spiegeln die verschiedenen strategischen Prioritäten und finanziellen Möglichkeiten wider. Während osteuropäische Länder und solche in direkter Nachbarschaft zu Russland eine aggressive Aufrüstung befürworten, sind andere Staaten zurückhaltender.
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Eine neue Ära der europäischen Sicherheit
Schwedens historische Aufrüstung markiert den Beginn einer neuen Ära in der europäischen Sicherheitspolitik. Die Bereitschaft, massive Investitionen in die Verteidigung zu tätigen und diese über Kredite zu finanzieren, zeigt die Ernsthaftigkeit der wahrgenommenen Bedrohung. Gleichzeitig demonstriert die parteiübergreifende Einigung die Geschlossenheit der schwedischen Politik in existenziellen Sicherheitsfragen.
Die langfristigen Auswirkungen dieser Entwicklung werden weit über Schweden hinausreichen. Andere europäische Länder werden unter Druck geraten, ähnliche Anstrengungen zu unternehmen. Die Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeiten könnte zu einer ausgewogeneren transatlantischen Partnerschaft führen, in der Europa mehr Verantwortung für seine eigene Sicherheit übernimmt.
Verteidigungsminister Pål Jonson brachte die Bedeutung der Vereinbarung auf den Punkt: Sie ebne den Weg für eine historische Aufrüstung der Verteidigung, die Schweden und die NATO sicherer mache. Nun müssten alle Beteiligten ihr Möglichstes tun, um die Aufrüstung in den kommenden Jahren zu beschleunigen. Diese Worte fassen die Dringlichkeit und Entschlossenheit zusammen, mit der Schweden und seine Verbündeten auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts reagieren.
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Hub für Sicherheit und Verteidigung - Beratung und Informationen
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