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Institutioneller Streit um Europas Rüstungsprogramm: 150-Milliarden-Euro-Rüstungsprogramm SAFE (Security Action for Europe)

Veröffentlicht am: 27. Juni 2025 / Update vom: 27. Juni 2025 – Verfasser: Konrad Wolfenstein

Institutioneller Streit um Europas Rüstungsprogramm: 150-Milliarden-Euro-Rüstungsprogramm SAFE (Security Action for Europe)

Institutioneller Streit um Europas Rüstungsprogramm: 150-Milliarden-Euro-Rüstungsprogramm SAFE (Security Action for Europe) – Bild: Xpert.Digital

EU-Parlament klagt gegen 150-Milliarden-Euro-Rüstungsprogramm SAFE

Historischer Rechtsstreit: EU-Parlament fordert Stopp des SAFE-Rüstungsprogramms

Die Europäische Union sieht sich in einem der bedeutendsten institutionellen Rechtskonflikte der jüngeren Geschichte: Das EU-Parlament hat eine Nichtigkeitsklage gegen das 150-Milliarden-Euro-Rüstungsprogramm SAFE (Security Action for Europe) vor dem Europäischen Gerichtshof eingereicht. Der Streit wirft grundlegende Fragen zur demokratischen Legitimation und dem institutionellen Gleichgewicht in der EU auf.

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Der umstrittene Rüstungsfonds

Das SAFE-Programm wurde Ende Mai 2025 von den 27 EU-Mitgliedstaaten beschlossen und stellt das größte Verteidigungsfinanzierungsinstrument in der Geschichte der Union dar. Das Programm soll über EU-Anleihen finanziert werden und den Mitgliedstaaten zinsgünstige Darlehen für Rüstungskäufe zur Verfügung stellen. Die Gelder können für Luftverteidigungssysteme, Artilleriesysteme, Munition und Drohnenabwehrsysteme verwendet werden.

Das Programm ist Teil der noch umfassenderen Initiative “ReArm Europe”, die bis 2030 insgesamt 800 Milliarden Euro für Verteidigungsinvestitionen mobilisieren soll. Von Anfang an war auch die Ukraine als Nutznießerin vorgesehen, wodurch das Programm sowohl der europäischen Rüstungsindustrie als auch der Unterstützung der Ukraine dienen soll.

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Die verfassungsrechtliche Kontroverse

Der Kern des Konflikts liegt in der rechtlichen Grundlage des Programms. Die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen stützte sich auf Artikel 122 des EU-Vertrags, eine Notfallklausel, die es ermöglicht, in Krisensituationen Maßnahmen ohne Beteiligung des Parlaments zu beschließen. Diese Bestimmung war ursprünglich für schwerwiegende Versorgungskrisen oder wirtschaftliche Notfälle gedacht.

Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments wies diese Anwendung jedoch einstimmig zurück. René Repasi, SPD-Europaabgeordneter und federführend zuständig für Klagen des Parlaments vor dem EuGH, kritisierte: “Die EU-Kommission konnte nicht überzeugend darlegen, warum sie nicht auf eine andere Rechtsgrundlage zurückgreift, die das Parlament miteinbezieht”.

Systematische Umgehung des Parlaments?

Die Kritik geht über den konkreten Fall hinaus. Repasi sieht ein systematisches Muster: “Dies ist kein Einzelfall. Während der zweiten Amtszeit von Präsidentin von der Leyen wurde das Parlament zunehmend nicht als demokratischer Partner, sondern als Hindernis behandelt”. Entscheidungen würden immer öfter in kleinen Zirkeln getroffen, und demokratische Verfahren verkämen zu bloßen Pflichtübungen.

Ana Catarina Mendes, S&D-Vizepräsidentin für starke Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, bezeichnete dies als “gefährlichen Trend”, der das Vertrauen zwischen den EU-Institutionen aufs Spiel setze. Repasi sieht darin “eine klare Strategie der Machtkonsolidierung innerhalb der EU-Exekutive”.

Bereits 2023 hatte das EU-Parlament vorgeschlagen, Artikel 122 AEUV ganz abzuschaffen, da die Notfallklausel seit der Covid-19-Pandemie verstärkt angewandt wurde. Die Klausel diente als Rechtsgrundlage für den Wiederaufbaufonds und als Instrument zur Reaktion auf die Energiekrise.

Von der Leyens Verteidigung

Die Kommissionspräsidentin wies die Vorwürfe zurück und erklärte, die Anwendung der Klausel sei gerechtfertigt und stelle “eine außergewöhnliche und vorübergehende Reaktion auf eine dringende und existenzielle Herausforderung” dar. Sie argumentierte, dass “außergewöhnliche Zeiten” “außergewöhnliche Maßnahmen” erforderten.

Von der Leyen betonte, das SAFE-Programm sei als “außergewöhnliche und zeitlich begrenzte Antwort auf eine dringende und existenzielle Herausforderung” konzipiert. Ziel sei es, den Mitgliedstaaten finanziell unter die Arme zu greifen, die “stärksten Bedrohungen außerhalb ihrer eigenen Kontrolle ausgesetzt sind”.

Sicherheitspolitische Begründung

Der Rüstungsfonds wurde vor dem Hintergrund der aktuellen Sicherheitslage in Europa initiiert. Geheimdienste gehen davon aus, dass Russland spätestens 2030 militärisch in der Lage sein dürfte, einen weiteren Krieg zu beginnen. BND-Chef Bruno Kahl warnte, dass russische Streitkräfte “spätestens Ende dieses Jahrzehnts” in der Lage sein dürften, “einen Angriff auf die NATO durchzuführen”.

Diese Einschätzungen bildeten auch die Grundlage für den historischen NATO-Gipfel in Den Haag, bei dem die Allianz beschloss, die Verteidigungsausgaben auf 3,5 Prozent des BIP plus 1,5 Prozent für sicherheitsrelevante Bereiche zu erhöhen – insgesamt also fünf Prozent. Deutschland und 15 weitere EU-Staaten wollen bereits die neue EU-Ausnahmeklausel von den Schuldenregeln nutzen, um ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen.

Mögliche Konsequenzen

Sollte der EuGH der Klage des Parlaments stattgeben, wäre das SAFE-Programm rechtlich unwirksam. In diesem Fall müssten die Mitgliedstaaten das Programm unter Beachtung der richterlichen Vorgaben neu auflegen – möglicherweise mit einer stärkeren Beteiligung des EU-Parlaments.

Der Fall könnte weitreichende Auswirkungen auf das institutionelle Gleichgewicht der EU haben. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola, normalerweise eine enge Verbündete von der Leyens, hatte bereits früh rechtliche Schritte angekündigt, was die Tragweite des Konflikts unterstreicht.

Kritik von verschiedenen Seiten

Die Kritik beschränkt sich nicht auf die Sozialdemokraten. Auch von rechter Seite kommen scharfe Vorwürfe: Marine Le Pen von der französischen Rassemblement National warf von der Leyen vor, “sich Befugnisse anzumaßen, die ihr nicht zustehen”. RN-Vorsitzender Jordan Bardella ergänzte: “Ursula von der Leyen hat weder die Befugnis noch das Mandat, sich selbst die Verteidigung zu übertragen”.

Der liberale FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner warnte vor den rechtlichen Risiken: “Alle Schritte müssen rechtlich einwandfrei und transparent sein, um spätere juristische Anfechtungen zu vermeiden. Eine Verteidigungspolitik, die auf wackeliger rechtlicher Grundlage basiert, wäre ein Geschenk an Putin”.

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Der Streit um das SAFE-Programm reflektiert eine tieferliegende Krise der EU-Institutionen. Während die sicherheitspolitische Notwendigkeit für verstärkte Rüstungsanstrengungen weitgehend unbestritten ist, stellt sich die Frage, ob demokratische Verfahren auch in Krisenzeiten gewahrt werden müssen. Die Entscheidung des EuGH wird nicht nur über die Zukunft des 150-Milliarden-Euro-Programms entscheiden, sondern könnte auch das Verhältnis zwischen Kommission und Parlament für die Zukunft prägen.

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