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Macht sich die EU mit eigenen Steuern von den Mitgliedstaaten unabhängig? Bedeutung, Chancen und Risiken für KMU in Europa

Veröffentlicht am: 16. Juli 2025 / Update vom: 16. Juli 2025 – Verfasser: Konrad Wolfenstein

Macht sich die EU mit eigenen Steuern von den Mitgliedstaaten unabhängig? Bedeutung, Chancen und Risiken für KMU in Europa

Macht sich die EU mit eigenen Steuern von den Mitgliedstaaten unabhängig? Bedeutung, Chancen und Risiken für KMU in Europa – Bild: Xpert.Digital

Wie die EU ihre Zukunft finanzieren will

Zwischen Schulden und Zukunft: Der komplexe Finanzplan der EU

Die Europäische Kommission steht vor der Herausforderung, den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFF) 2028-2034 zu finanzieren, während gleichzeitig die Schulden des NextGenerationEU-Programms *1 bis 2058 zurückgezahlt werden müssen.

*1 “NextGenerationEU” ist ein europäischer Wiederaufbaufonds, der als Reaktion auf die Corona-Pandemie geschaffen wurde. Es handelt sich um das größte Konjunkturpaket der EU-Geschichte. Ziel ist es, die wirtschaftlichen Folgen der Krise abzufedern, Investitionen in Digitalisierung und Klimaschutz zu fördern und die EU langfristig widerstandsfähiger zu machen. Finanziert wird das Programm durch gemeinsame Schuldenaufnahme der EU.

Die jährlichen Tilgungskosten belaufen sich auf voraussichtlich 25 bis 30 Milliarden Euro pro Jahr, was fast einem Fünftel des derzeitigen Jahreshaushalts entspricht. In diesem Kontext haben sich durchgesickerte Dokumente zur geplanten Eigenmittelreform als besonders aufschlussreich erwiesen.

Mehr dazu hier:

Inhalt des geleakten Vorschlags

Laut den durchgesickerten Dokumenten plant die EU-Kommission ein umfassendes Paket neuer Eigenmittel, das deutlich über die bisherigen Vorschläge hinausgeht. Die wichtigsten Elemente umfassen:

Neue Unternehmensabgabe

Der bemerkenswerteste Bestandteil ist eine neue Abgabe für große Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 50 Millionen Euro. Diese soll als jährlicher pauschaler Beitrag eingeführt werden, gestaffelt nach dem Umsatz der Unternehmen. Betroffen wären alle in der EU steuerlich ansässigen Unternehmen sowie Unternehmen aus Drittstaaten mit EU-Niederlassungen oder Betriebsstätten.

Erhöhung bestehender Abgaben

Die bereits 2021 eingeführte Plastikabgabe von 80 Cent pro Kilogramm nicht recycelter Verpackung soll ab 2028 erhöht und künftig jährlich an die Inflation angepasst werden. Die Kommission begründet dies damit, dass sich durch die Inflation der reale Wert der Einnahmen erheblich verringert habe.

Neue Abgaben auf verschiedene Bereiche

  • E-Waste-Abgabe: Eine Abgabe auf nicht eingesammelten Elektroschrott als neues Eigenmittel
  • Tabaksteuer-Anteil: Ein bestimmter Anteil der von den Mitgliedstaaten erhobenen Tabaksteuern soll an die EU abgeführt werden
  • E-Commerce-Abgabe: Eine Abgabe auf Päckchen aus dem Ausland im Kontext des E-Commerce

Änderungen bei traditionellen Eigenmitteln

Die Kommission plant, den Anteil der Zolleinnahmen zu erhöhen, den die EU-Staaten als Erhebungskosten einbehalten dürfen. Derzeit behalten die Mitgliedstaaten 25 Prozent der Zolleinnahmen ein – dieser Anteil soll reduziert werden.

Alle Änderungen am Eigenmittelsystem erfordern die Einstimmigkeit der 27 EU-Mitgliedstaaten nach Anhörung des Europäischen Parlaments. Dies stellt eine erhebliche Hürde dar, da bereits Polen gedroht hat, sein Veto in allen Angelegenheiten einzulegen, die Einstimmigkeit erfordern.

Ratifikationsprozess

Nach einer einstimmigen Entscheidung im Rat müssen alle Mitgliedstaaten die Eigenmittelreform ratifizieren. Dieser Prozess kann sich über Jahre hinziehen, wie die Erfahrungen mit der Ratifizierung des aktuellen Eigenmittelbeschlusses gezeigt haben.

Widerstand der Mitgliedstaaten

Bereits jetzt zeichnet sich erheblicher Widerstand ab. Vierzehn Mitgliedstaaten haben sich in einem Non-Paper gegen die Kommissionspläne zur Zentralisierung der Mittelverwaltung ausgesprochen. Mehrere fiskalkonservative Mitgliedstaaten haben sich skeptisch gegenüber der Öffnung des bereits beschlossenen MFF geäußert.

Wirtschaftliche Auswirkungen

Die neue Unternehmensabgabe würde eine erhebliche zusätzliche Belastung für große Unternehmen bedeuten. Besonders betroffen wären multinationale Konzerne, die bereits unter verschiedenen internationalen Steuerinitiativen leiden. Die Kommission betont zwar, dass es sich nicht um eine direkte Steuer handelt, sondern um einen von den Mitgliedstaaten zu leistenden Beitrag, dennoch dürfte die Belastung letztendlich an die Unternehmen weitergegeben werden.

Wettbewerbsfähigkeit

Die neuen Abgaben könnten die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen gegenüber internationalen Konkurrenten beeinträchtigen. Dies steht in einem gewissen Widerspruch zu den gleichzeitig geplanten Investitionen in den Europäischen Wettbewerbsfonds von bis zu 522 Milliarden Euro.

Inflationseffekte

Die geplante Indexierung der Plastikabgabe an die Inflation zeigt, dass die Kommission längerfristig mit steigenden Preisen rechnet und die Eigenmittel entsprechend anpassen will.

Föderalismus und Souveränität

Die Eigenmittelreform stellt einen bedeutenden Schritt in Richtung einer europäischen Fiskalunion dar. Durch die Diversifizierung der Einnahmequellen wird die EU unabhängiger von direkten Beiträgen der Mitgliedstaaten. Dies könnte die Verhandlungsposition der Kommission in zukünftigen Haushaltsverhandlungen stärken.

Nationale Souveränität

Die neuen Eigenmittel berühren traditionelle Bereiche nationaler Souveränität, insbesondere die Besteuerung von Unternehmen und die Kontrolle über Einnahmen aus Zöllen und Steuern. Dies dürfte auf erheblichen Widerstand stoßen, insbesondere in Ländern mit starker Betonung nationaler Souveränität.

Demokratische Legitimität

Das Europäische Parlament hat wiederholt eine verstärkte Rolle bei der Gestaltung der Eigenmittel gefordert. Die aktuellen Vorschläge könnten die demokratische Legitimität des EU-Haushalts stärken, wenn sie mit entsprechenden parlamentarischen Kontrollrechten verbunden werden.

Timing und Umsetzung

Die Kommission will ihren formellen Vorschlag am 16. Juli 2025 vorlegen. Dies lässt wenig Zeit für ausführliche Konsultationen und Anpassungen. Der neue MFF muss bis spätestens 2027 beschlossen werden, um rechtzeitig zum Januar 2028 in Kraft treten zu können.

Übergangsregelungen

Da die Verhandlungen über neue Eigenmittel typischerweise Jahre dauern, plant die Kommission möglicherweise Übergangsregelungen. Die befristeten Eigenmittel auf Basis von Unternehmensgewinnen könnten als Brückenlösung dienen, bis umfassendere Reformen implementiert werden.

Zwischen Souveränität und Solidarität: Die brisanten Pläne der EU-Kommission

Die geleakten Vorschläge zur Eigenmittelreform stellen eine der weitreichendsten Änderungen des EU-Finanzsystems seit Jahrzehnten dar. Sie zielen darauf ab, die EU finanziell unabhängiger zu machen und gleichzeitig die Rückzahlung der NextGenerationEU-Schulden zu gewährleisten. Die Vorschläge werden jedoch auf erheblichen politischen Widerstand stoßen und komplexe Verhandlungen erfordern.

Die Reform berührt fundamentale Fragen der europäischen Integration, der nationalen Souveränität und der demokratischen Legitimität. Während sie die finanzielle Handlungsfähigkeit der EU stärken könnte, birgt sie auch das Risiko einer weiteren Belastung der Unternehmen und möglicher Konflikte zwischen den Mitgliedstaaten.

Der Erfolg der Reform wird maßgeblich davon abhängen, ob die Kommission die Bedenken der Mitgliedstaaten ernst nimmt und Kompromisse findet, die sowohl die finanzielle Stabilität der EU als auch die Souveränität der Mitgliedstaaten respektieren.

 

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