
Die Beratungsindustrie am Milliardenprojekt: Wie Stuttgart 21 zur Gelddruckmaschine und Dauer-Rentabilität für Berater wurde – Bild: Xpert.Digital
Zwischen Kostenexplosion und Gutachtenflut – Stuttgart 21 als Geschäftsmodell für Beratungsunternehmen
Wenn öffentliches Scheitern zum privaten Geschäftsmodell mutiert
Das Bahnprojekt Stuttgart 21 ist längst mehr als ein Symbol für deutsche Infrastrukturmisere. Es hat sich zu einem Paradebeispiel dafür entwickelt, wie aus chronischen Verzögerungen, explodierenden Kosten und permanenter Planungsunsicherheit ein lukratives Dauermandat für die internationale Beratungsindustrie erwachsen kann. Während der Steuerzahler Milliarde um Milliarde in ein Projekt pumpt, dessen Fertigstellung sich immer weiter in die Zukunft verschiebt, floriert ein paralleler Wirtschaftszweig, der von genau dieser Dysfunktionalität profitiert. Die großen Beratungshäuser haben sich längst als unverzichtbare Begleiter öffentlicher Großprojekte etabliert, ihre Gutachten, Analysen und Prüfberichte sind fester Bestandteil jeder Krisensitzung, jeder Aufsichtsratssitzung und jeder politischen Rechtfertigungsschlacht. Doch was diese Beratungsleistungen tatsächlich kosten und ob sie den proklamierten Mehrwert liefern, bleibt systematisch im Dunkeln.
Die jüngste Verschiebung der Eröffnung von Stuttgart 21 auf unbestimmte Zeit durch Bahnchefin Evelyn Palla markiert nicht nur das Scheitern jahrzehntelanger Planungen, sondern wirft auch ein Schlaglicht auf eine brisante Frage: Wer verdient eigentlich am permanenten Krisenmanagement, und warum scheint die Beratungsindustrie ein inhärentes Interesse daran zu haben, dass Projekte wie Stuttgart 21 niemals zu einem sauberen Abschluss kommen?
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Das McKinsey-Paradigma: Wie ein Gutachten Geschichte schrieb und Kassen füllte
Im Dezember 2012 trat ein Dokument in das Rampenlicht der öffentlichen Debatte, das die Kostenwahrheit bei Stuttgart 21 auf den Kopf stellte. Das von McKinsey im Auftrag des Bahn-Aufsichtsrats erstellte Gutachten bezifferte die voraussichtlichen Projektkosten erstmals auf rund 6,8 Milliarden Euro und sprengte damit den damals gültigen Finanzierungsrahmen von 4,526 Milliarden Euro dramatisch. Diese Bestandsaufnahme des Projekts wurde zum Wendepunkt in der öffentlichen Wahrnehmung und zur Grundlage zahlreicher politischer Entscheidungen.
Was dieses Gutachten für McKinsey eingebracht hat, bleibt ein gut gehütetes Geheimnis. Die Vertrags- und Vergütungsdetails zwischen der Deutschen Bahn und dem weltweit führenden Strategieberater sind nicht veröffentlicht und unterliegen dem Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Bekannt ist lediglich, dass McKinsey im Juli 2017 vom Bundesverkehrsministerium mit einer Machbarkeitsstudie zum Projekt Zukunft Bahn beauftragt wurde, das sich mit der Digitalisierung der Schieneninfrastruktur durch ETCS befasste. Der geschätzte Wert dieses Beratervertrags lag bei sechs Millionen Euro. Bei der Ausschreibung waren nach Medienberichten die Großen der Branche vertreten, darunter auch PwC, KPMG und Oliver Wyman.
Die Dimension der McKinsey-Engagements bei der Deutschen Bahn lässt sich aus den Geschäftsberichten des Konzerns ablesen. Laut Handelsblatt stiegen die Ausgaben der Deutschen Bahn für Beratungsleistungen von McKinsey und anderen Firmen von 190 Millionen Euro im Jahr 2012 auf 325 Millionen Euro in den Folgejahren. Dazu kommen jährlich noch weitere erhebliche Summen für IT-Beratung und andere Dienstleistungen. Im Geschäftsjahr 2023 gab die Deutsche Bahn allein 500 Millionen Euro für externe Beratungsdienstleistungen im IT-Bereich aus, davon 160 Millionen Euro für Lizenzkosten.
Die strategische Position von McKinsey bei der Deutschen Bahn ist bemerkenswert. Im September 2022 beauftragte der Konzern die Beratungsfirma mit Fragen zur neuen gemeinwohlorientierten Schieneninfrastrukturgesellschaft, noch bevor das Verkehrsministerium selbst Schritte in Richtung Reform eingeleitet hatte. Dies verdeutlicht, wie eng die Verflechtung zwischen Staatskonzern und privatem Berater geworden ist.
Die Wirtschaftsprüfer im Kreuzfeuer: PwC, KPMG und das Geschäft mit der Plausibilisierung
Im Zuge der historischen Schlichtung zu Stuttgart 21 im Jahr 2010 traten drei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften auf den Plan, um die Kostenangaben der Deutschen Bahn zu überprüfen: PricewaterhouseCoopers, Susat und Partner sowie die Märkische Revision. Diese Prüfungen sollten Transparenz schaffen und die Grundlage für eine informierte Entscheidung liefern. Die Realität war jedoch eine andere.
PwC testierte die Jahresabschlüsse der Deutschen Bahn bereits seit Jahrzehnten, angeblich sogar seit 37 Jahren. Diese langjährige Geschäftsbeziehung wirft Fragen nach der Unabhängigkeit auf, insbesondere wenn dasselbe Unternehmen auch die Kostenprüfungen für Stuttgart 21 durchführt. Im Jahr 2021 wurde bekannt, dass Mitarbeitende der Bahn 2016 intern Hinweise zu Korruption und Missmanagement bei Stuttgart 21 gegeben hatten, PwC als Wirtschaftsprüfungsgesellschaft jedoch nicht darüber informiert wurde.
Die Kritik an den Wirtschaftsprüfungen während der Schlichtung ist fundamental. Laut Analyse der Gegner des Projekts lieferten PwC und Susat lediglich eine Plausibilitätsprüfung von Angaben der Bahn, die Grunddaten wurden nicht geprüft. Methodisch wurden Chancen des Projekts vollständig und Risiken gar nicht in die Bewertung übernommen, was keine belastbare Prüfung der Kosten ermöglichte. Einzig der Vertreter der Märkischen Revision, für die keine Geschäftsbeziehungen zur Deutschen Bahn bekannt waren, schätzte die Ausstiegskosten abweichend von den rund 1,5 Milliarden Euro der anderen Prüfer auf nur 453 Millionen Euro.
Für den Bund wurde ein weiteres gewichtiges Gutachten erstellt: KPMG und Ernst Basler und Partner verfassten ein 167-seitiges Dokument zur Überprüfung der aktuellen Termin- und Kostensituation von Stuttgart 21. Dieses als streng vertraulich eingestufte Papier, dessen Seiten mit individualisiertem Wasserzeichen versehen waren, identifizierte zahlreiche Risiken, die in der Zusammenfassung des Gutachtens jedoch nicht mehr auftauchten. Auf Seite 13 des KPMG-Gutachtens erfährt man, dass die Gesamtkosten für Stuttgart 21 bei rund 6,3 bis 6,7 Milliarden Euro liegen, eine Einschätzung, die sich als deutlich zu optimistisch erweisen sollte.
PwC erhielt von der Deutschen Bahn im Jahr 2015 insgesamt 33,5 Millionen Euro, davon 10,5 Millionen Euro für die Prüfung der deutschen Gesellschaften und weitere 23 Millionen Euro für prüfungsnahe Leistungen wie Steuerberatung. Diese Summen gehören zu den höchsten, die am deutschen Prüfermarkt bezahlt werden.
Die Gutachtenflut: Vieregg-Rößler und das Geschäft der Gegenexpertise
Während die etablierten Beratungshäuser für Bahn und Politik arbeiteten, entstand parallel ein Markt für kritische Gegenexpertisen. Das Münchner Ingenieurbüro Vieregg und Rößler hat sich als einer der profiliertesten unabhängigen Gutachter zu Stuttgart 21 etabliert. Bereits 2008 hatte das Büro im Auftrag des BUND Baden-Württemberg und der Grünen-Fraktion im Stuttgarter Gemeinderat für Stuttgart 21 ein Kostenvolumen von mindestens 6,8 Milliarden Euro prognostiziert, während Bahn und Politik noch von 4,1 Milliarden ausgingen. Diese damals vehement bestrittenen Zahlen haben sich inzwischen voll bestätigt.
Im September 2010 legte Vieregg und Rößler ein weiteres Gutachten im Auftrag der Grünen vor, das vor horrenden Kosten warnte. Nach dieser Studie könnten die Kosten für den Ausbau des Bahnhofs und die geplante ICE-Trasse doppelt so hoch sein wie bisher von Bahn und Politik angenommen. Zehn Milliarden Euro wären dann fällig, und das nur im günstigsten Fall. Die Bahn reagierte damals empört und wies die Zahlen als falsch und nicht nachvollziehbar zurück.
Im Dezember 2015 gab das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 bei Vieregg-Rößler eine weitere Kostenschätzung in Auftrag. Nach Hochrechnungen anhand von vergleichbaren Projekten gingen die Gutachter davon aus, dass Stuttgart 21 frühestens 2024 fertiggestellt wird und die Kosten von den damals angesetzten 6,5 Milliarden auf 9,8 Milliarden Euro steigen werden. Als Hauptkostentreiber identifizierten sie weniger die 59 Kilometer Tunnelbauten als die schwierige Geologie und die anspruchsvolle Architektur des Tiefbahnhofs mit den baulich sehr anspruchsvollen Lichtaugen.
Das Geschäftsmodell der Gegenexpertise ist dabei durchaus rentabel. Für jede offizielle Prognose gibt es eine kritische Analyse, für jede Verteidigung eine Widerlegung. Die politische Polarisierung des Projekts befeuert einen permanenten Bedarf an fachlicher Munition für beide Seiten, was den Gesamtmarkt für Stuttgart 21-bezogene Beratungsleistungen erheblich erweitert.
Die Dunkelziffer: Was wir über die tatsächlichen Beraterkosten nicht wissen
Die systematische Intransparenz bei den Beraterhonoraren ist kein Zufall, sondern Methode. Die Bundesregierung hat von 2017 bis 2023 sogenannte Beraterberichte erstellt, die dem Haushaltsausschuss vorgelegt werden. Diese Berichte zeigen jedoch erhebliche Mängel: In durchschnittlich einem Drittel der Fälle fehlt die Angabe, welche Firma den Auftrag erhalten hat. Im aktuellen Bericht von 2023 sind es rund 20 Prozent der Projekte. Bei den angegebenen Kosten kommt es zu Unstimmigkeiten, wobei die aufgeführten Gesamtsummen teils um bis zu eine Million Euro von den Einzelausgaben abweichen.
Der Bundesrechnungshof kritisierte bereits 2021 die mangelhafte Datenqualität der Berichte und forderte mehr Transparenz. In einem noch unveröffentlichten Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestages kritisiert die oberste Finanzkontrolle des Bundes, dass die Bundesregierung trotz steigender Kosten keine Strategie habe, wie sie ihre Abhängigkeit von externen Beratern verringern könne. Insgesamt hat die Bundesregierung in den vergangenen zehn Jahren mehr als 1,6 Milliarden Euro für externe Beratung ausgegeben. Allein von 2020 bis 2023 seien die Ausgaben um 39 Prozent auf jährlich knapp 240 Millionen Euro gestiegen.
Seit 2020 tauchen bestimmte Ausgaben nicht mehr in den Beraterberichten auf, weil die Bundesregierung die Definition änderte, was als Beratungsleistung gilt. So werden etwa juristische Beratungen oder IT-Projekte nicht mehr als solche erfasst, wodurch steuerfinanzierte Ausgaben in dreistelliger Millionenhöhe nicht mehr in den offiziellen Berichten erscheinen.
Für Stuttgart 21 bedeutet dies konkret: Während einzelne Gutachten namentlich bekannt sind und ihre Kernaussagen öffentlich diskutiert werden, bleiben die dafür gezahlten Honorare im Verborgenen. Angesichts des Umfangs der Projekte, der mehrmonatigen Prüfungen und der mehrfachen Gutachten für Bahn, Bund und Aufsichtsrat ist davon auszugehen, dass die Honorare im zweistelligen, möglicherweise dreistelligen Millionenbereich liegen. Eine konkrete Verifizierung dieser Schätzung ist aus offenen Quellen jedoch nicht möglich.
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Milliarden für Berater – Wie der Staat seine Kompetenz verspielt
Die Beratungsbranche als Profiteur des Staatsversagens
Die deutsche Beratungsbranche hat im Jahr 2024 einen Gesamtumsatz von rund 50 Milliarden Euro erreicht, ein Rekordniveau. Mit einem jeweiligen Jahresumsatz von über 50 Millionen Euro bestimmen rund 175 Beratungsunternehmen fast 47 Prozent des deutschen Marktes. McKinsey wird mit seiner Strategieberatung auf 16,4 Milliarden US-Dollar weltweit geschätzt und ist damit in dieser Sparte Branchenführer. Der Pro-Kopf-Umsatz bei Strategieberatern wie McKinsey mit geschätzten 14,8 Milliarden Euro oder BCG mit 12,5 Milliarden Euro liegt deutlich über dem anderer Beratungshäuser, was das lukrative Geschäftsmodell der Strategy Consultants mit ihren im Vergleich zu anderen Beratungen deutlich höheren Honoraren verdeutlicht.
Die Bundesregierung hat seit 2017 mehr als eine Milliarde Euro für externe Berater ausgegeben. Spitzenreiter bei den Investitionen in Expertise von außen waren das Innenministerium mit mindestens 492,9 Millionen Euro, das Verkehrsministerium mit 196,9 Millionen Euro und das Finanzministerium mit 121,7 Millionen Euro. Unter dem Strich wurden seit 2017 mindestens 1,073 Milliarden Euro für externe Unterstützung ausgegeben.
Die Deutsche Bahn selbst leistete sich 2022 und 2023 externe Berater mit Verträgen in Höhe von insgesamt 93 Millionen Euro. Im Jahr 2022 schloss der Konzern 42 Rahmenverträge sowie 86 Einzelbestellungen unter anderem zu strategischen Fragen in Höhe von 36 Millionen Euro ab. Im Folgejahr 2023 wurden für insgesamt 26 Beraterverträge und 65 Einzelbestellungen sogar 57 Millionen Euro fällig. Diese Ausgaben fallen in eine Zeit, in der die Deutsche Bahn einen Verlust von 2,4 Milliarden Euro verzeichnete und Pläne ankündigte, bis 2030 rund 30.000 Stellen zu streichen.
Die fehlende Transparenz über die konkreten Auftragnehmer und Beratungsthemen wird von der Bundesregierung mit sensiblen und verfassungsrechtlich geschützten Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen begründet. Diese Geheimhaltungspolitik verhindert eine effektive öffentliche Kontrolle und nährt den Verdacht, dass die Beratungsindustrie von Strukturen profitiert, deren Dysfunktionalität sie eigentlich beheben sollte.
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Das systemische Problem: Kompetenzverlust und Beraterabhängigkeit
Die tiefergehende Kritik am Beratereinsatz bei öffentlichen Großprojekten zielt auf ein strukturelles Defizit: den schleichenden Kompetenzverlust der öffentlichen Verwaltung. Der Bundesrechnungshof warnt seit Jahren vor einer Aushöhlung staatlicher Kernkompetenzen, die die Integrität der Verwaltung fundamental gefährde. Besonders im IT-Bereich müsse der Bund eigene Kompetenzen aufbauen, andernfalls sei die Integrität der Verwaltung in Gefahr.
Wenn Kernfunktionen wie IT-Strategie, Projektmanagement oder sogar das Finanzcontrolling systematisch an externe Firmen ausgelagert werden, verlernt der öffentliche Dienst, diese Aufgaben selbst zu erfüllen. Es entsteht eine entkernte Verwaltung, die ohne ihre externen Helfer nicht mehr handlungsfähig ist. Dieser Kompetenzverlust schafft eine permanente Abhängigkeit, die schwer umkehrbar ist und den Staat langfristig schwächt.
Bei Stuttgart 21 manifestiert sich dieses Problem besonders deutlich. Die Bahn war für die Kostenprüfung komplett von externen Wirtschaftsprüfern abhängig. Eine eigene Verifizierung der Unterlagen wurde nicht durchgeführt, wie es in einem PwC-Bericht selbst heißt. PwC stützte sich zudem nur auf Befragungen von Mitarbeitern der Deutschen Bahn. Aus diesem Grunde bestehe bei dem erteilten Auftrag ein gegenüber der Abschlussprüfung oder prüferischen Durchsicht höheres Risiko, dass selbst wesentliche Fehler, rechtswidrige Handlungen oder andere Unregelmäßigkeiten nicht aufgedeckt werden.
Das Projekt IT-Konsolidierung Bund zeigt exemplarisch, dass das bloße Bereitstellen von Milliardenbeträgen und die Beauftragung Dutzender Beratungsfirmen ohne klare politische Führung, ohne den Aufbau interner Expertise und ohne eine funktionierende Governance-Struktur nicht zu besseren Ergebnissen führt. Stattdessen entsteht ein Teufelskreis aus steigenden Kosten, sinkenden Ambitionen und einer wachsenden Abhängigkeit von ebenjenen Beratern, die Teil des Problems sind.
Der internationale Kontrast: Wie andere Länder Großprojekte steuern
Die Schweiz hat mit dem Gotthard-Basistunnel bewiesen, dass auch demokratische Systeme mit starker Bürgerbeteiligung komplexe Infrastrukturprojekte erfolgreich und kosteneffizient umsetzen können. Der entscheidende Unterschied: eine strenge parlamentarische Kontrolle und hohe Transparenz in allen Bauphasen, statt einer Auslagerung der Expertise an externe Berater, deren Loyalität letztlich ihrem Auftraggeber gilt.
Dänemark demonstriert beim Fehmarnbelttunnel, wie effizientes Projektmanagement ohne überbordende Beraterbürokratie funktionieren kann. Das Land erließ ein Baugesetz und schuf sich damit einen politischen Handlungsrahmen mit Ausstiegsklausel. Die Verträglichkeit des Projekts wird dann in der weiteren Planung sichergestellt. Dieser pragmatische Ansatz reduziert den Bedarf an externen Plausibilitätsprüfungen und Risikoanalysen erheblich.
In China werden Planung, Finanzierung, Bau und Betrieb zentral gesteuert, Genehmigungsverfahren straff gehalten. Das Ergebnis ist ein Hochgeschwindigkeitsnetz von über 48.000 Kilometern, das in zwei Jahrzehnten aufgebaut wurde. Während dieser Ansatz für demokratische Gesellschaften nicht übertragbar ist, verdeutlicht er doch, dass der permanente Beratungsbedarf bei deutschen Großprojekten kein naturgesetzliches Schicksal ist, sondern das Resultat spezifischer institutioneller Arrangements.
Die Reformkommission und das Weitermachen wie bisher
Nach dem Fiasko bei BER, Elbphilharmonie und anderen Großprojekten setzte die Bundesregierung eine Reformkommission Bau von Großprojekten ein. Deren Aufgabe war es, konkrete Handlungsempfehlungen zu entwickeln, um Kostenwahrheit, Kostentransparenz, Effizienz und Termintreue bei öffentlichen Großprojekten zu erreichen. Im Dezember 2015 verabschiedete das Bundeskabinett einen Aktionsplan Großprojekte mit zehn Handlungsfeldern.
Die Empfehlungen der Reformkommission adressieren viele der identifizierten Probleme: kontinuierliche Bürgerbeteiligung, regelmäßige Information der Öffentlichkeit über Kosten, Termine, Projektänderungen und Risiken, sowie die Forderung, erste Zahlen zu den Projektkosten erst dann zu kommunizieren, wenn eine hinreichend belastbare Planung vorliegt. Doch die Umsetzung dieser Empfehlungen lässt zu wünschen übrig, wie der fortgesetzte Verlauf von Stuttgart 21 zeigt.
Die Beraterberichte der Bundesregierung lassen laut Bundesrechnungshof nur wenig Bereitschaft zu Veränderungen beim Einsatz externer Berater erkennen. Die meisten Ministerien hätten nicht einmal konkrete Abbauziele formuliert. Nur das Bundesinnenministerium legte einen 14-Punkte-Plan vor, der aber im Ergebnis nicht zu Verbesserungen führte. Beim Projekt IT-Konsolidierung Bund habe das Innenministerium mit dem Finanzcontrolling sogar eine Kernaufgabe ausgelagert.
Das Paradox der Transparenzversprechen
Die Geschichte von Stuttgart 21 ist durchzogen von Transparenzversprechen, die regelmäßig gebrochen wurden. Das Motto der Schlichtung 2010 lautete alle an einen Tisch, alle Fakten auf den Tisch, doch in der Realität wurden bei entscheidenden Themen definitiv unrichtige Aussagen gemacht oder Informationen mit fadenscheiniger Begründung oder vollkommen willkürlich zurückgehalten. Die Schlichtung erfüllte den formulierten aufklärerischen Anspruch nicht, sondern betrieb bei einer vermeintlich erhöhten Transparenz nur noch mehr Täuschung.
Diese strukturelle Intransparenz dient der Beratungsindustrie auf doppelte Weise: Erstens entzieht sie ihre eigenen Honorare der öffentlichen Kontrolle, zweitens schafft sie einen permanenten Bedarf an weiteren Gutachten und Analysen, um die Informationslücken zu füllen, die das System selbst produziert. Je undurchsichtiger die Lage, desto größer der Markt für Experten, die Licht ins Dunkel bringen sollen.
Knapp ein Drittel der Beratungsaufträge von 2017 bis 2023 wurde ohne Ausschreibung vergeben. Das Digitalisierungsprojekt Polizei 2020 des Bundesinnenministeriums sticht dabei besonders hervor: Hier wurde die Gesamtleitung an einen externen Berater vergeben, der seit 2019 rund 3,8 Millionen Euro erhielt. Eine öffentliche Ausschreibung gab es nicht.
Zwischen Krisenmanagement und Dauerauftrag
Stuttgart 21 ist für die Beratungsindustrie das perfekte Projekt: komplex genug, um permanente Expertise zu erfordern, politisch kontrovers genug, um Gutachten und Gegengutachten zu rechtfertigen, und lang genug, um generationenübergreifende Mandatsbeziehungen aufzubauen. Jede Kostensteigerung erfordert neue Prüfungen, jede Verzögerung neue Risikoanalysen, jedes politische Beben neue strategische Beratung.
Die Frage, ob die Beratungsindustrie ein inhärentes Interesse am Fortbestand dysfunktionaler Strukturen hat, lässt sich nicht definitiv beantworten. Sicher ist jedoch, dass das bestehende System Anreize schafft, die einer schnellen und kostengünstigen Projektabwicklung entgegenstehen. Solange der Staat für jedes Problem einen externen Berater engagiert, statt eigene Kompetenzen aufzubauen, bleibt die Abhängigkeit bestehen und wächst mit jeder Krise weiter.
Die Deutsche Bahn plant bis 2030 rund 30.000 Stellen zu streichen, während sie gleichzeitig fast 100 Millionen Euro jährlich für externe Berater ausgibt. Diese Zahlen illustrieren ein fundamentales Missverhältnis: Die Kosten für externes Wissen steigen, während die interne Kapazität zur Nutzung dieses Wissens sinkt. Das Ergebnis sind Gutachten, deren Empfehlungen niemand umsetzen kann, und Analysen, deren Erkenntnisse im nächsten Prüfbericht wieder vergessen werden.
Das Bermuda-Dreieck aus Intransparenz, Komplexität und Interessenkonflikten
Stuttgart 21 zeigt exemplarisch, wie ein Bermuda-Dreieck aus systematischer Intransparenz, unbeherrschbarer Komplexität und strukturellen Interessenkonflikten entsteht, in dem Milliarden verschwinden, ohne dass jemand zur Rechenschaft gezogen wird.
Die Intransparenz beginnt bei den Honoraren der Berater und endet bei den tatsächlichen Projektrisiken. Die Komplexität wird durch immer neue technologische Anforderungen wie den Digitalen Knoten Stuttgart permanent gesteigert, was wiederum neuen Beratungsbedarf generiert. Die Interessenkonflikte entstehen, wenn dieselben Wirtschaftsprüfer, die die Jahresabschlüsse testieren, auch die Kostenprüfungen durchführen, wenn dieselben Berater, die die Strategie entwickeln, auch deren Umsetzung begleiten sollen.
Berater des Bundes sind oft global agierende Consulting-Gesellschaften, die jährliche Umsätze im Milliardenbereich erwirtschaften, stellt der Bundesrechnungshof fest. Diese Größenordnung schafft ein Machtgefälle zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, das eine effektive Kontrolle erschwert. Die öffentliche Hand zahlt den Unternehmen millionenschwere Aufschläge, wobei nach internen Dokumenten im Schnitt 23,1 Prozent des Auftragswertes als Ertrag beim Beratungsunternehmen verbleiben.
Das Geschäft mit dem Staatsversagen
Stuttgart 21 ist zum unfreiwilligen Geschäftsmodell für eine Branche geworden, die vom Unvermögen des Staates lebt, seine eigenen Projekte zu steuern. Große Beratungsunternehmen wie McKinsey, PwC und KPMG waren klar sichtbar an Stuttgart 21 beteiligt, vor allem über Kosten-, Risiko- und Wirtschaftlichkeitsgutachten für Bahn und Politik. Wie viel diese Beratungen insgesamt verdient haben, ist aus offenen Quellen jedoch nicht nachvollziehbar, weil die entsprechenden Honorarvereinbarungen nicht veröffentlicht wurden.
Die Honorare einzelner Gutachten mögen im Verhältnis zu den Gesamtkosten des Projekts marginal erscheinen. Doch die kumulierten Kosten über fast drei Jahrzehnte, von den ersten Machbarkeitsstudien in den 1990er Jahren über die Schlichtungsgutachten 2010 bis zu den aktuellen Krisenanalysen, dürften sich auf einen dreistelligen Millionenbetrag summieren. Hinzu kommen die laufenden Prüfungs- und Beratungsleistungen, die PwC als Abschlussprüfer der Deutschen Bahn erbringt und die jährlich über 30 Millionen Euro betragen.
Die eigentliche Frage ist jedoch nicht, wie viel die Berater verdient haben, sondern welchen Mehrwert ihre Leistungen tatsächlich erbracht haben. Wenn trotz McKinsey-Gutachten, PwC-Prüfungen und KPMG-Analysen die Kosten weiter explodieren, die Termine weiter platzen und die Probleme weiter wachsen, dann stellt sich die Frage nach dem Sinn dieses Systems von selbst.
Stuttgart 21 wird eines Tages fertig werden. Die Berater werden dann längst mit dem nächsten Großprojekt beschäftigt sein, das dieselben Muster aufweist: optimistische Anfangskalkulationen, schrittweise Kostensteigerungen, politische Konflikte, Gutachtenflut und am Ende die Erkenntnis, dass niemand wirklich die Kontrolle hatte. Für die Beratungsindustrie ist das kein Bug, sondern ein Feature. Für den Steuerzahler ist es schlicht ein Desaster.
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