Veröffentlicht am: 14. Juli 2025 / Update vom: 14. Juli 2025 – Verfasser: Konrad Wolfenstein
OPLAN DEU: Deutschlands neue Verteidigungsrealität – vom Frontstaat zur logistischen Drehscheibe – Bild: Xpert.Digital
Bündnisverteidigung neu gedacht: Operationsplan Deutschland definiert strategische Drehscheibenfunktion für Osteuropa
Operationsplan Deutschland: Wie die Bundesrepublik zum logistischen Herzstück der NATO-Verteidigung wird
Deutschland steht 2025 sicherheitspolitisch an einem Wendepunkt. Das Territorium, das während des Kalten Krieges die vorderste Verteidigungslinie der NATO bildete, liegt heute im geostrategischen Zentrum des Bündnisses. Aus dieser Lage erwächst ein völlig neuer Auftrag: Deutschland ist das logistische Herz der Bündnis- und Landesverteidigung, die unverzichtbare „Drehscheibe“ für jeden groß-maßstäblichen Aufmarsch alliierter Kräfte in Richtung Ost- und Nordosteuropa. Der „Operationsplan Deutschland“ (OPLAN DEU) verankert diesen Auftrag erstmals verbindlich in einem ressort-übergreifenden, operativ ausführbaren Rahmen und greift dabei auf Erfahrungen aus Pandemie-, Flut- und Amtshilfelagen ebenso zurück wie auf die Lehren aus Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Passend dazu:
- Drehscheibe Deutschland: Logistische Einheitlichkeit statt Flickenteppich für Militärschwertransporte
Vom Rand zur Mitte: Deutschlands strategischer Rollenwechsel
Bis 1990 verlief die potenzielle Frontlinie quer durch Deutschland; Personal, Material und Munition waren entlang dieser Linie vorpositioniert. Mit der Osterweiterung rückte die NATO-Demarkationslinie nach Polen, ins Baltikum und an die Schwarzmeer-Küste. Deutschland wurde von der bedrohten Vorneverteidigung zum unumgänglichen Transit-, Versorgungs- und Sammelraum – vergleichbar mit einem riesigen logistischen Knoten, in dem sich Nachschubströme aus den USA sowie aus Süd- und Westeuropa verzahnen.
Dieser Wandel bringt vier Kernaufgaben mit sich:
- Host-Nation-Support: Empfang, Unterbringung und Weiterleitung alliierter Truppen,
- Military Mobility: rasche Grenz- und Zollprozesse, belastbare Verkehrswege, Priorität für Militärtransporte,
- Schutz kritischer Infrastruktur: Bahnknoten, Häfen, Pipeline- und Stromnetze müssen gegen hybride Angriffe abgesichert werden,
- Gesamtstaatliche Resilienz: Kommunen, Länder, Wirtschaft und Bevölkerung werden in die Verteidigungsplanung eingebunden.
Der Operationsplan Deutschland (OPLAN DEU)
Zielsetzung und Struktur
OPLAN DEU ist kein reines Militärdokument, sondern eine gesamtstaatliche Planung, die zivile Unterstützungsleistungen mit militärischen Erfordernissen verschränkt. Er definiert Verfahren, Zuständigkeiten und Abläufe vom Normalbetrieb bis zur Kriegsführung und umfasst sieben thematische Arbeitsgruppen – von Verkehrsinfrastruktur über Gesundheit bis hin zu strategischer Kommunikation.
Meilensteine bis 2026
- Erste Iteration (März 2024): Grundkonzept gebilligt, Teil-Inkraftsetzung
- Reality-Check mit den Ländern (Q1 2025): Belastungsproben der Logistikketten und Führungsorganisation
- Zweite Iteration (März 2025): Konkretisierung der Schutz- und Kräftebedarfe, taktische Detailpläne
- Dritte Iteration (März 2026): Endabstimmung, Integration in NATO-Regionalpläne
Operative Schwerpunkte
1. Verkehrsleitung und Korridorlogik
Ein „Musterkorridor“ von Hafenanlagen an Nord- und Ostsee über die Niederlande nach Polen bündelt schwere Transporte. Übergänge erhalten Vorrangspuren, digitale Zoll-Pre-Clearance und militärische Lotsendienste.
2. LogHubs-Netzwerk
Im Rahmen des PESCO-Projekts „Network of Logistic Hubs“ entstehen multinationale Lager- und Umschlagpunkte, u. a. in Wilhelmshaven und Rostock.
3. Schutz kritischer Infrastruktur
Landeskommandos planen gemeinsam mit Kommunen die Bewachung von Brücken, Tunneln, Depots und Energieanlagen. Polizei, THW, Feuerwehren und Reservisten bilden modulare Sicherungskräfte.
4. Gesundheits- und Sanitätsversorgung
Regionale „Role-2-Enhanced“-Einheiten und ein zentrales Blut- und Medikamentenmanagement sichern die Verwundetenversorgung auch bei Massenzuflüssen.
5. Kommunikation und Lagebilder
Ein gemeinsames ziv-mil Lagezentrum führt Informationen aus Landes- und Bundeseinrichtungen zusammen. Robuste „rote Netze“ und satellitengestützte Befehlswege werden priorisiert.
Passend dazu:
- Das “Military Mobility”-Konzept und ReArm Europe: Strategien zur Stärkung der europäischen Verteidigung
Military Mobility: Das europäische „Militär-Schengen“
Damit OPLAN DEU funktioniert, muss European Military Mobility Realität werden. Die EU-Verteidigungsminister suchen darum den Schulterschluss mit der NATO, um langwierige Genehmigungs- und Zollprozesse abzulösen. Vorbild ist ein „Logistisches Schengen“:
- Standardisierte Transitdokumente,
- eIDAS-basierte digitale Signaturen zur Grenzabfertigung,
- Vereinheitlichte Brücken- und Tunnelklassen für Militärlasten,
- Gemeinsame Investitionen in Bahnmagistralen, etwa Rail Baltica und den „Atlantik-Karlsruhe-Korridor“.
Die EU flankiert dieses Vorhaben finanziell über den Connecting Europe Facility-Fonds und politisch mit der SAFE-Verordnung (Security Action for Europe), die den Rüstungssektor resilienter und reaktionsfähiger machen soll.
Verteidigungsinitiativen 2025 im Überblick
Im Jahr 2025 werden verschiedene bedeutende Verteidigungsinitiativen umgesetzt, die für den OPLAN DEU von hoher Relevanz sind. Im Februar starten die EDF-Ausschreibungen mit einem Budget von 1,1 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung. Besonders hervorzuheben sind die vier „Spin-In-Calls”, die darauf abzielen, zivile Technologien für militärische Anwendungen zu adaptieren, darunter Drohnen-Massenmunition und navale Hybridantriebe.
Der März bringt das EU-Weißbuch „Readiness 2030″ hervor, das erstmals Fähigkeitslücken quantifiziert und ein Investitionsinstrument vorschlägt, welches die nationalen 2-Prozent-Pläne ergänzen soll. Von April bis Juni findet die Großübung DEFENDER 25 statt, bei der 25.000 Soldaten aus 29 Nationen in 18 Ländern Verlegung und Gefechtsführung trainieren. Deutschland übernimmt dabei eine zentrale Rolle durch die Bereitstellung von Aufnahmekorridoren, Felddepots und Führungsanteilen.
Im Mai tritt die SAFE-Verordnung (EU 2025/1106) in Kraft, die einen Rechtsrahmen für schnelle Produktionssteigerungen und gemeinsame Rüstungsbeschaffungen in Krisenzeiten schafft. Der Juni ist geprägt von zwei wichtigen Veranstaltungen: Das NATO Tiger Meet 2025 in Beja, Portugal, fokussiert sich auf Luftwaffenkooperation und Standardisierung, wobei deutsche Geschwader mit F-35-Kontingent teilnehmen, was für die Multirole-Interoperabilität von großer Bedeutung ist. Zeitgleich findet der European Defence & Security Summit (EUROPESDL) statt, ein Politik- und Industrieforum mit Schwerpunkt auf industrielle Fertigungskapazitäten, strategische Autonomie und NATO-EU-Kooperation.
Diese Initiativen wirken synergetisch: EDF-Projekte liefern Technologie, SAFE sorgt für die industrielle Serienfertigung, das Weißbuch definiert Fähigkeitsziele, DEFENDER 25 erprobt die Umsetzung, während Konferenzen wie EUROPESDL oder die EDA-Defence-Industry-Conference den zivil-militärischen Dialog sichern.
Herausforderungen auf dem Weg zur logistischen Exzellenz
Finanzierungsbedarf
Nach Auslaufen des Sondervermögens Bundeswehr entsteht ab 2028 eine Deckungslücke von rund 30 Mrd. € jährlich im regulären Verteidigungshaushalt. Ohne langfristige Finanzierung drohen Infrastruktur- und Fähigkeitsprojekte zu stocken.
Infrastruktur-Engpässe
Viele deutsche Brücken und Schleusen sind nicht für 70-Tonnen-Panzertransporte ausgelegt. Bahn-Gleisbögen, Tunnelprofile, Brückentragfähigkeiten und Schwerlastparkplätze müssen ertüchtigt oder neu gebaut werden.
Rechtliche und bürokratische Hürden
Während der Pandemie erprobte Rechtsverordnungen („Gesundheitsschutz“, „Katastrophenschutz“) boten Blaupausen für schnelle Entscheidungswege. Im Spannungsfall greifen jedoch andere Verfassungsgrundlagen (Art. 115a GG, Wehrverfassung). Die Schnittstelle zwischen Landes- und Bundeskompetenz verlangt präzise Einsatzregeln („Rules of Allocation“) und Alarmierungsfristen.
Hybride Bedrohungen
Cyber-Angriffe auf Netze der Deutschen Bahn oder gezielte Desinformation gegen Umschlagbahnhöfe können die Aufmarschgeschwindigkeit massiv beeinträchtigen. Der OPLAN verknüpft daher Cyber-Resilienz-Maßnahmen (NIS2-Richtlinie) mit physischem Objektschutz.
Akzeptanz in Bevölkerung und Wirtschaft
Truppenaufmärsche erzeugen Lärm, Stress auf Straßen und Schienen sowie Flächenbedarf für Depots. Strategische Kommunikation ist deshalb Teil des OPLAN: Landräte, Bürgermeister und Wirtschaftskammern werden frühzeitig in Übungen einbezogen, damit Planungen nicht erst im Krisenfall erklärt werden müssen.
Passend dazu:
- Dual-Use-Logistik für Europas Sicherheit: Das Multinational Structured Partnership in Logistics (SPiL)
Praxisbeispiel: Süddeutscher Logistikkorridor
Der Korridor Augsburg – Ingolstadt – Regensburg wird bis 2030 als Bahn-Schwerlaststrecke der Kategorie C klassifiziert. Geplante Maßnahmen:
- Tieferlegung von sechs Gleisbögen für Panzertransportzüge,
- Neubau von Schwerlastumschlagsrampen an der Donau,
- Ausbau der Bundesstraße 16 als Ausweichroute,
- Einbindung eines Medical-Role-3-Centers in der Wehrmed-Klinik Ulm für Verwundetenluftbrücke,
- Nutzung ungenutzter Industrieareale als temporäre LogHubs im Zuge eines PPP-Modells.
Dieses Beispiel illustriert, wie Bund, Länder, Bundeswehr und Privatwirtschaft gemeinsam Infrastruktur ertüchtigen und gleichzeitig zivilen Nutzen generieren (Güterverkehr, Arbeitsplätze).
Blick nach vorn – Readiness 2030 und darüber hinaus
Die EU-Weißbuchziele setzen für 2030 einen verbindlichen Vorrat an Schützenpanzerketten, 35 einsatzklare Schiffe für See-Line-Security und einen gemeinsamen Munitions-Pool von mindestens 1,4 Mio. Artilleriegranaten fest. Deutschland muss also:
- Die Produktionsbasis modernisieren – z. B. Pulver- und Explosivstoffwerke automatisieren,
- Reserven vorhalten – zur Anbahnung wurden Mehrjahresverträge für 200.000 Granaten/Jahr unterzeichnet,
- Führungsstrukturen üben – DEFENDER- und Tiger-Meet-Zyklen bleiben Prüfstein für C2-Systeme,
- Digitalisierung beschleunigen – SatCom, 5G RA und Cloud-Edge-Nodes sind essenziell für Multi-Domain-Operations.
Strategische Autonomie bedeutet dabei nicht Abkehr von den USA, sondern Belastbarkeit im schlimmsten Fall eines transatlantischen Engagements im Indo-Pazifik. Europa muss Engpässe eigenständig schließen können.
Passend dazu:
- Europäische Militärlogistik nach US-Vorbild? Strategische Lehren und ein Fahrplan für die europäische Verteidigungslogistik
Der OPLAN DEU transformiert Deutschlands Verteidigungsarchitektur grundlegend. Logistik wird zur nationalen Schlüsselfähigkeit, vergleichbar mit der Bedeutung von Panzern im Kalten Krieg. Infrastruktur, Industrie und Gesellschaft werden in den Verteidigungsmodus versetzt, ohne Wirtschaft und Alltag lahmzulegen.
Die Verteidigungsinitiativen des Jahres 2025 fügen sich dabei wie Zahnräder zusammen: EDF liefert Technologie, SAFE schafft Fertigungskapazität, das EU-Weißbuch weist den strategischen Weg, und Übungen wie DEFENDER 25 oder das NATO Tiger Meet testen die praktische Umsetzung.
Ob Deutschland die Rolle der logistischen „Drehscheibe“ dauerhaft ausfüllen kann, entscheidet sich an drei Faktoren: nachhaltiger Finanzierung, resilienter Infrastruktur und gesellschaftlichem Rückhalt.
Gelingt dieser Dreiklang, wird die Bundesrepublik zum unverzichtbaren Zentrum der europäischen Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit – und zum Stabilitätsanker einer zunehmend unsicheren Welt.
Hub für Sicherheit und Verteidigung - Beratung und Informationen
Der Hub für Sicherheit und Verteidigung bietet fundierte Beratung und aktuelle Informationen, um Unternehmen und Organisationen effektiv dabei zu unterstützen, ihre Rolle in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu stärken. In enger Verbindung zur Working Group Defence der SME Connect fördert er insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die ihre Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit im Bereich Verteidigung weiter ausbauen möchten. Als zentraler Anlaufpunkt schafft der Hub so eine entscheidende Brücke zwischen KMU und europäischer Verteidigungsstrategie.
Passend dazu:
Beratung - Planung - Umsetzung
Gerne stehe ich Ihnen als persönlicher Berater zur Verfügung.
Head of Business Development
Chairman SME Connect Defence Working Group
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