
Der Wendepunkt ist schon längst überschritten – Warum 3 Prozent Wachstum für China das Ende einer Ära bedeutet – Bild: Xpert.Digital
Gefangen im eigenen System: Warum Xi Jinpings Plan der „neuen produktiven Kräfte“ nicht aufgehen kann
Die Illusion der ewigen Hochkonjunktur zerfällt
Keine Kinder, keine Konsumenten: Die demografische Zeitbombe, die Chinas Weltmacht-Träume bedroht
Die weltweite Annahme, dass China sein Wirtschaftswachstum dauerhaft bei zweistelligen Raten halten könnte, beruhte auf einer tragischen Fehlkalkulation. Jahrzehntenlang folgte das Reich der Mitte einem simplen, aber äußerst wirkungsvollen Rezept: Billige Arbeitskräfte, massive Schuldenaufnahme, exzessive Investitionen in Infrastruktur und Immobilien, sowie eine sich selbst verstärkende Export-Dynamik. Dieses Modell funktionierte brillant, solange es eine unbegrenzte Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter gab, unbegrenzte Nachfrage nach Wohnraum und unbegrenzte externe Märkte für chinesische Fertigwaren.
Doch genau diese Voraussetzungen erodieren mit zunehmender Geschwindigkeit. Zwischen 2000 und 2014 stieg Chinas Bruttoinlandsprodukt um das 48fache, und die Arbeitsproduktivität erhöhte sich um das Neunfache. Doch diese einmalige Phase der Aufholung ist vorbei. Der Übergang zu moderaten Wachstumsraten im Bereich von drei bis vier Prozent ist nicht mehr eine Frage spekulativer Prognosen, sondern zunehmend eine Realität. Die Frage, die Peking bald nicht mehr vermeiden kann, lautet nicht: Wird China langsamer wachsen? Die Frage lautet: Wie wird China damit umgehen, dass sein Wirtschaftsmodell auf Dauerhaft-Hochgeschwindigkeit nicht mehr funktioniert?
Die offiziellen chinesischen Statistiken künden von einem BIP-Wachstum von 5,0 Prozent im Jahr 2024 – knapp unter dem angepeilten Ziel von etwa 5 Prozent. Doch diese Zahlen verfehlen das fundamentale Problem. Prominente chinesische Ökonomen wie Gao Shanwen von SDIC Securities haben öffentlich Zweifel an der Genauigkeit dieser Daten geäußert und spekulieren, dass das reale Wachstum seit der Pandemie möglicherweise zwischen nur 2 und 3 Prozent lag, obwohl die offiziellen Zahlen dauerhaft bei 5 Prozent angegeben werden. Unabhängige Forschungsorganisationen wie die Rhodium Group beziffern Chinas echtes Wachstum 2024 auf nur 2,4 bis 2,8 Prozent und erwarten für 2025 ein Wachstum zwischen 3 und 4,5 Prozent. Wenn diese Schätzungen zutreffen – und die dahinter stehenden analytischen Methoden sind transparent und dokumentiert – dann befindet sich China bereits in dem Szenario, das es zu vermeiden versucht: einem strukturell verlangsamten Wachstum.
Die wirtschaftlichen Prognosen für die kommenden Jahre sind einhellig düster. Das Institut der Deutschen Wirtschaft prognostiziert für 2025 ein durchschnittliches Wachstum von 4,4 Prozent und für 2026 sogar nur 4,1 Prozent. Die DZ Bank erwartet für 2025 4,5 Prozent und für 2026 nur noch 3,4 Prozent. Selbst die optimistischsten Vorhersagen geben nicht auf, dass die 5-Prozent-Grenze in absehbarer Zeit wieder überschritten wird. Dies wäre vor einem Jahrzehnt als Katastrophe interpretiert worden. Heute ist es das neue „Normal”, auf das sich alle vorbereiten müssen.
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Das Immobilien-Monster im Haus – Eine Krise ohne Exit-Strategie
Das chinesische Immobiliensystem ist nicht einfach nur ein großer Markt; es ist das zentrale Distributionssystem für wirtschaftliche Dynamik und staatliche Einnahmen. In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten wurde der Immobilienbereich zum Primus des Wirtschaftswachstums, zeitweise verantwortlich für bis zu 30 Prozent der Gesamtwachstumsdynamik. Der Sektor generierte direkt und indirekt Millionen von Arbeitsplätzen, beschleunigte die Urbanisierung und versorgte die lokalen Regierungen mit den Einnahmen, die sie dringend brauchten, um ihre politischen Ziele zu finanzieren.
Die Expansion war schuldenfinanziert in einer Größenordnung, die selbst hartgesottene Pessimisten überraschte. Die Hypothekarverschuldungen der privaten Haushalte stiegen von etwa 5 Billionen Yuan im ersten Quartal 2008 auf über 50 Billionen Yuan bis zu den neuesten Daten. Immobilienentwickler wie Evergrande, einst das Paradigma des chinesischen Erfolgs, häuften Schulden im Billionen-Yuan-Bereich an. Evergrande allein schuldete 2,4 Billionen Yuan – etwa 300 Milliarden US-Dollar – zur Jahresmitte 2023 bevor das Unternehmen in Schwierigkeiten geriet.
Die Falle schnappte zu, als die Nachfrage kollabierte. Die Verkäufe von Grundstücken durch die lokalen Regierungen – eine der wichtigsten Einnahmequellen – fielen dramatisch ab. Während 2021 noch Grundstücke im Wert von über 8,7 Billionen Yuan verkauft wurden, waren es in den ersten zehn Monaten 2024 gerade einmal 2,5 Billionen Yuan. Über zehn Prozent der angebotenen Grundstücke fanden keine Käufer. Preise sanken, Projekte kamen zum Stillstand, Verbraucherstimmung kollabierte, weil über 60 Prozent des Vermögens chinesischer Haushalte in Immobilien gebunden ist.
Die chinesische Führung erkannte das Problem und versuchte im Mai 2024 die Flucht nach vorne mit massiver Marktunterstützung. Der Plan war klar: Lokalregierungen sollten schlüsselfertige Häuser der Immobilienentwickler ankaufen, um deren Liquiditätsprobleme zu lindern und die Nachfrage anzukurbeln. Doch hier liegt das tiefere Dilemma: Sollten diese Ankäufe unter dem Bilanzwert erfolgen, würden die Entwickler massive Verluste erleiden. Sollten sie darüber liegen, subventionieren die Lokalregierungen die Unternehmen. Beide Parteien können sich weitere finanzielle Belastungen kaum leisten.
Die versteckte Schuldenlast ist astronomisch. Während die offiziellen Statistiken eine moderate Schuldenstandsquote für die Lokalregierungen ausweisen, liegen echte Schätzungen bei mehr als dem Doppelten. Viele Lokalregierungen nutzen außerbilanzielle Finanzierungsinstrumente, die nicht in den offiziellen Zahlen erscheinen. Die Gesamtverschuldung (Total Social Financing) lag offiziell Ende 2024 bei 303 Prozent des BIP – rund 40 Billionen Euro. Berücksichtigt man versteckte Verbindlichkeiten, liegt die tatsächliche Schuldenquote zwischen 330 und 360 Prozent des BIP.
Lokale Regierungen reagieren auf ihre Krise mit dem einzigen Mittel, das ihnen bleibt: Sie geben Anleihen aus wie nie zuvor. Mit über 10 Billionen Yuan an neu emittierten Lokalanleihen wurde bereits ein Jahresrekord aufgestellt. Der ausstehende Gesamtbetrag lokaler Regierungsanleihen hat mittlerweile 54 Billionen Yuan erreicht. Peking erlaubte den Lokalregierungen, innerhalb von drei Jahren insgesamt 6 Billionen Yuan an versteckten Schulden umzustrukturieren. Das bedeutet: Man sagt den Markt, dass sich nichts wirklich geändert hat – die Schulden werden nur langfristiger gestaltet, mit niedrigeren Zinssätzen, aber weiterhin in gleichem Volumen vorhanden.
Diese Strategie ist ein klassisches Symptom struktureller Nicht-Lösbarkeit. Man verschiebt das Problem zeitlich, ohne es zu lösen. Es ist das wirtschaftliche Äquivalent zum Fahren auf einer falsch gebauten Brücke immer schneller, in der Hoffnung, nicht durchzubrechen. Die Effizienz der Kreditvergabe sinkt kontinuierlich: Immer größere Summen sind notwendig, um ein vergleichbares Wirtschaftswachstum zu erzielen.
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Der Konsummirage – Warum die Haushalte immer weniger Geld ausgeben
Das zentrale strukturelle Problem Chinas ist ein statistisches Paradoxon: In einer der größten Volkswirtschaften der Welt ist der private Konsum auffallend niedrig. Der Konsum sank von über 63 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2000 auf nur noch 53 Prozent des BIP in 2022. Zum Vergleich: In den USA macht privater Konsum etwa 70 Prozent des BIP aus. Dies bedeutet, dass China sein Wachstum nicht durch die Kraft der Binnennachfrage treibt, sondern durch Staatsausgaben, Investitionen und Exporte.
Der Grund ist eine tiefgreifende psychologische und finanzielle Verunsicherung. Ein prominentes Merkmal der chinesischen Volkswirtschaft ist eine extrem hohe Sparquote – die Haushalte horten Geld, statt es auszugeben. Im Laufe von 2024 und 2025 wird diese Sparquote noch deutlicher. Umfragen der chinesischen Zentralbank zeigen, dass 64 Prozent der Haushalte mehr sparen möchten, gegenüber nur 45 Prozent vor der Coronapandemie. Die Haushalte sind pessimistisch bezüglich ihrer Beschäftigungsaussichten geworden. Die Zahl der defizitären Privatunternehmen ist in den letzten Jahren aufgrund von Überkapazitäten und ruinösem Wettbewerb stark gestiegen. Diese Firmen werden kaum neue Mitarbeiter einstellen.
Die junge urbane Bevölkerung war lange die Hoffnung für einen Aufschwung des Konsums. Doch auch dort dominiert nicht Kauflust, sondern Vorsicht. Unter gut ausgebildeter Jugend ist Sparen aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit (offizielle Statistiken sagen 3,5 Prozent, echte Schätzungen liegen bei 12 Prozent oder höher), der begrenzten Jobaussichten und der insgesamt düsteren Wirtschaftsaussichten häufig anzutreffen. Die Ein-Kind-Politik, nun längst beendet, hinterlässt weiterhin kulturelle und finanzielle Narben. Sie hat die „4-2-1″-Familienstruktur verfestigt, in der ein junger Erwachsener zwei Eltern und vier Großeltern unterstützt. Dies zwingt zu finanziellem Konservatismus.
Der weitere Verfall der Immobilienpreise verstärkt dies durch den Vermögenseffekt. Wenn Haushalte sehen, dass ihr größtes Vermögen an Wert verliert, reduzieren sie ihre Konsum-Pläne. Nur neun Prozent der befragten Haushalte rechnen damit, dass sich Hauspreise bald wieder erholen. Vier von fünf erwarten entweder fallende Preise oder sind völlig unsicher.
Alle kurzfristigen staatlichen Konjunkturmaßnahmen – Subventionen, Konsumgutscheine, Anreize – treffen auf diesen Wall von struktureller Vorsicht. Die Wirkung ist kurzfristig sichtbar (einzelne Einzelhandelszahlen zeigen Anstieg), aber nicht nachhaltig. Sobald die Maßnahmen enden, kehrt die normale schwache Konsumneigung zurück. Die Commerzbank fasst dies präzise zusammen: „Angesichts der anhaltend schwachen Konsumstimmung gehen wir davon aus, dass sich die makroökonomische Lage wieder verschlechtern wird, sobald die zeitlich begrenzten Maßnahmen auslaufen.”
Die demografische Zeitbombe – Eine Bevölkerung in Auflösung
Das vielleicht am wenigsten lösbare aller chinesischen Probleme ist die Demografie. China ist die einzige große Wirtschaftsmacht, deren Bevölkerung nicht wächst – sie schrumpft. In den Jahren 2022 und 2023 sank die absolute Bevölkerung. Trotz des Endes der Ein-Kind-Politik im Jahr 2015 und der später eingeführten Drei-Kind-Politik schafft es China nicht, seine Geburtenrate anzukurbeln.
Die Zahlen sind dramatisch. Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15 bis 59 Jahre) schrumpft. Im Jahr 2023 gab es 857,98 Millionen Menschen in dieser Altersgruppe – 77 Millionen weniger als 2013. Diese Zahl wird sich bis 2050 um schätzungsweise ein Viertel weiter verringern. Gleichzeitig altert die Bevölkerung schnell. Ungefähr 22 Prozent der Bevölkerung (mehr als 310 Millionen Menschen) sind bereits 60 Jahre oder älter. Bis 2035 könnte diese Zahl auf 30 Prozent übersteigen.
Dies ist nicht einfach ein demographisches Phänomen; es ist eine wirtschaftliche Zeitbombe. Eine kleinere Erwerbsbevölkerung bedeutet weniger Steuerzahler, die eine immer größer werdende Rentnergeneration tragen müssen. Die bereits schwachen Sozialversicherungssysteme geraten unter enormen Druck. Einerseits müssen die Ausgaben für Altersversorgung, Gesundheit und Pflege explodieren. Andererseits schrumpft die Basis der Beitragszahler.
Ältere Menschen geben weniger aus als junge Menschen. Sie investieren konservativer. Sie konsumieren weniger. Dies verändert die Konsummuster fundamental. Eine Volkswirtschaft, deren Konsumpyramide sich umkehrt, ist eine Volkswirtschaft, deren innere Dynamik sich grundlegend verschiebt. Der Export bleibt als einziger Anker – aber hier sieht sich China zunehmendem Druck ausgesetzt.
Die regionalen Unterschiede verschärfen sich durch die Demografie. Wohlhabende Küstenstädte wie Shanghai, Peking und Guangdong konzentrieren junge Arbeitskräfte. Zentrale und westliche Provinzen wie Sichuan, Hunan und Heilongjiang erleben Abwanderung und sinkende Geburtenraten. Dies verstärkt regionale Ungleichheit und erschwert die Koordination von Reformmaßnahmen. Ein einheitliches Sozialversicherungssystem scheitert an föderalen Blockaden – Provinzen mit schrumpfenden Erwerbsbevölkerungen können und wollen nicht die gleichen Beiträge zahlen wie wachsende Regionen.
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Chinas Wachstumswunder ist vorbei: Warum Produktivität jetzt wichtiger ist als Arbeitskräfte
Produktivität statt Arbeitskräfte – Ein arithmetisches Problem
Langfristiges Wirtschaftswachstum basiert auf einem fundamentalen Trio: Arbeitskräfte, Kapital und Produktivität. In China funktioniert dieses Trio nicht mehr. Arbeitskräfte werden weniger – das ist unvermeidlich. Kapital in Form von Schulden explodiert – das ist zunehmend schädlich. Produktivität, die einzige verbleibende Wachstumshebel, stagniert oder sinkt.
Während Chinas Blütephase mit über 10 Prozent Wachstum kamen weniger als 2 Prozentpunkte davon aus Arbeitskräfte-Zuwachs. Der überwiegende Teil war Produktivitätszuwachs durch technologische Aufholung und Modernisierung. China war ein Schnellläufer, der andere einfach nachahmt und dann besser und billiger macht. Dieses Modell war ungeheuer effizient.
Doch dieses Aufholwachstum ist weitgehend aufgebraucht. China produziert heute in vielen Sektoren auf dem globalen Frontier-Niveau – es gibt wenig mehr nachzuahmen, nur noch Innovationen zu erfinden. Die Total Factor Productivity (TFP) – der Maßstab für echte Produktivitätssteigerungen – ist in den letzten Jahren nicht gestiegen. Eine Wirtschaft, die weit über ihre historische Kapazität hinaus mit Schulden finanziert wurde, ist eine Wirtschaft, in der neue Kredite weniger neue reale Produktion generieren. Die sogenannte Kreditquote – wie viel neues BIP-Wachstum pro vergebener Billion Schulden entsteht – hat sich drastisch verschlechtert.
Peking versucht, dieses Problem durch massive Subventionen für High-Tech-Industrien zu lösen – das ist der Kern des Konzepts der „neuen produktiven Kräfte” (New Quality Productive Forces), das Xi Jinping seit 2023 propagiert. Der Plan ist ehrgeiz: Durch state-led Innovation in Bereichen wie Batterietechnik, Elektroautos, erneuerbare Energien, Halbleiter und künstliche Intelligenz sollen neue Wachstumsquellen erschlossen werden, die Produktivität steigern und alte Industrien ersetzen.
Dies ist eine intelligent durchdachte Strategie – aber es hat einen fundamentalen Haken. High-Tech-Industrien sind kapitalintensiv, nicht arbeitsintensiv. Eine neue Batteriefabrik schafft nicht 10.000 Jobs wie eine Textilfabrik – sie schafft vielleicht 500 spezialisierte Jobs. Diese Industrien können die Millionen von Jobs, die die Immobilien- und Bauwirtschaft verliert, nicht kompensieren. Barry Naughton, führender China-Experte der Universität Kalifornien, fasst es so zusammen: „Die neuen Industrien und zusätzlicher Konsum können die Einbußen in der Immobilienwirtschaft nicht ausgleichen.”
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Die Glaubwürdigkeitskrise – Wenn die Statistiken auf der Anklagebank sitzen
Ein oft übersehenes, aber zentales Problem Chinas ist die Glaubwürdigkeitskrise seiner wirtschaftlichen Daten. Gao Shanwen sagte 2024 offen, dass die offiziellen BIP-Zahlen möglicherweise nicht korrekt sind: „Wir kennen die wahre Zahl des chinesischen Realwachstums nicht.” Dabei gibt es systematische Hinweise, dass die Zahlen aufgebläht sind.
Ein Indikator ist die inverse Korrelation zwischen Stromverbrauch und BIP-Wachstum. Im ersten Quartal 2024 berichtete China von 5,4 Prozent realem Wachstum, das nominale Wachstum betrug aber nur 4,6 Prozent. Dies ist in einer normalen Wirtschaft unmöglich – nominales sollte reales übersteigen (Wachstum plus Inflation). Die Tatsache, dass in China das Gegenteil der Fall ist, bedeutet: China befindet sich in einem deflationären Zustand. Verbraucherpreise sinken, Unternehmensgewinne sinken. Dies ist ein Zeichen von Überkapazität, nicht echter Dynamik.
Noch bizarrer: Der Stromverbrauch, der physischen Stromfluss durch die Wirtschaft, stieg nicht im gleichen Tempo wie das berichtete BIP. Nach sechs Quartalen, in denen die Realwirtschaft (gemessen am Stromverbrauch) stärker war als die Statistik, kehrt sich das Verhältnis um. Das BIP läuft vor, der Strom bleibt zurück – ein klares Zeichen, dass der statistisch gemeldete Wert nicht durch physische wirtschaftliche Aktivität gestützt ist.
Dies ist nicht bloße akademische Pikanterie. Wenn die echten Wachstumszahlen 2-3 Prozent sind statt 5 Prozent – und dies ist die Rhodium Group Hypothese – dann spielen sowohl Peking als auch die globale Wirtschaft mit einer Simulation anstatt mit Realität.
Das strukturelle Reformdilemma – Gefangen zwischen Markt und Kontrolle
Es gibt theoretisch eine Lösung für Chinas Problem: Echte strukturelle Reformen. Diese würden bedeuten:
Erstens, die Privatisierung oder zumindest die Marktöffnung von Sektoren, die noch unter staatlicher Kontrolle stehen. Finanzsektor, Gesundheitswesen, Bildung, Telekommunikation – viele dieser Bereiche sind noch zu stark staatlich gelenkt.
Zweitens, echte Sozialversicherungsreformen, die das Sicherheitsnetz universal und transportabel machen. Menschen müssen sich trauen, Arbeit zu wechseln, Risiken einzugehen, zu konsumieren, ohne Angst vor Katastrophe – was nur mit echter Sicherheit funktioniert. Doch Chinas Sozialversicherungssystem ist zersplittert: Jede Provinz hat eigene Regeln. Ein Arbeiter in Shanghai ist besser versichert als einer in Hubei. Dies bindet Menschen an ihre Provinzen, behindert die Arbeitskräftemobilität und schadet der Effizienzen.
Drittens, echte Bildungsreformen, um die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen zu senken. Die offizielle Quote liegt bei 3,5 Prozent; echte Schätzungen sind mindestens dreifach höher.
Viertens, lokale Finanzreformen, die die Abhängigkeit von Landverkäufen reduzieren. Lokalregierungen müssen echte Steuermacht haben, nicht künstliche Finanzierungsvehikel.
Fünftens, echte Marktreformen in Staatsbetrieben und deren Governance, um Effizienz zu erhöhen.
Doch genau diese Reformen sind politisch extrem schwierig unter Xi Jinping. Sein Fokus liegt seit Jahren auf ideologischer Kontrolle, nationaler Sicherheit und geopolitischer Positionierung. Die wirtschaftliche Autonomie wurde reduziert. Tech-Firmen wurden reguliert, Fintech wurde gebremst, ausländische Unternehmen zunehmend eingeschränkt. Im dritten Quartal 2024 verzeichnete China erstmals seit 1998 einen Abfluss ausländischer Direktinvestitionen.
Xi ist sich bewusst, dass gewisses Wirtschaftswachstum notwendig ist für Legitimität, Beschäftigung und Ziele wie wirtschaftliche Unabhängigkeit. Doch seine Priorisierung von Sicherheit über wirtschaftliche Freiheit schränkt die Reform ein. Das Konzept der „neuen produktiven Kräfte” ist ein Versuch, Wachstum durch gesteuerte Innovation statt Marktöffnung zu erreichen – durch staatlich subventionierte Industrien, nicht durch private Unternehmerdynamik.
Dies führt zu einer Art „Kriegswirtschaft”, wie Barry Naughton es nennt. Alles wird zum Instrument nationaler Ziele. Die Marktlogik wird unterbrochen. Und in einer modernen, komplizierten Wirtschaft ist genau das kontraproduktiv. Man kann Halbleiter-Exzellenz nicht durch Regulierung erzwingen; man kann nicht durch Ideologie Innovation fördern.
Der globale Schockwellen-Effekt – Wenn China permanent langsam wird
Was bedeutet ein dauerhaft verlangsamtes chinesisches Wachstum für die Welt? Die Auswirkungen sind signifikant. Forschungsarbeiten des Internationalen Währungsfonds und der Asiatischen Entwicklungsbank zeigen, dass ein permanenter Wachstumsschock in China (ein Prozentpunkt weniger Wachstum) das globale Wachstum um etwa 0,23 Prozentpunkte senkt. Ein Wachstum von 10 auf 3 Prozent bedeutet eine Reduktion des globalen Wachstums um etwa 1,6 Prozentpunkte. Für eine Weltwirtschaft, die ohnehin mit schwachem Wachstum kämpft, ist dies erheblich.
Besonders betroffen sind Rohstoffexporteur und Schwellenländer. China war die Lokomotive für globale Rohstoffnachfrage – Eisenerz, Kupfer, Kohle, Öl. Ein langsamer wachsendes China bedeutet gesunkene Rohstoffpreise und verringerte Einnahmen für rohstoffabhängige Länder. Auch Asien leidet: Südkorea, Taiwan, Vietnam, Thailand – alle haben komplexe Lieferketten mit China verfochten. Schwaches chinesisches Wachstum bedeutet schwache Nachfrage nach ihren Importen.
Europäische Luxusgüterhersteller und Industriegüterproduzenten werden getroffen. Chinas Mittelschicht war für Jahrzehnte ein Wachstumsmotor für deutsche Autos, französische Kosmetik, italienische Mode. Ein Konsum-Szenario, in dem Chinese sparen statt kaufen, trifft diese Branchen zentral.
Der globale Handel wird restriktiver und politischer. Trumps Zolloffensive gegen China mit Zollraten von über 47,5 Prozent trifft auf ein ohnehin schwaches China. Chinesische Exporte in die USA sanken im November 2024 um 29 Prozent. Dies ist eine Umleitung von Handelsströmen, nicht echte Stärkung. China wird versuchen, in andere Märkte auszuweichen – Südostasien, Indien, Länder der Belt-and-Road-Initiative. Dies führt zu globalen Handelsdiskordanzen und protektionistischen Reaktionen.
Szenarien für 2030 – Die Bandbreite der Unmöglichkeiten
Experten sind sich zwar über die generelle Richtung einig – langsamer Wachstum – doch die konkreten Szenarien divergieren. Bloomberg hat seine Prognosen nach unten revidiert: Statt dass China die USA als größte Wirtschaft schon in den 2030ern überholt, wird dies erst Mitte der 2040er Jahre geschehen – und dann nur kurzzeitig, bevor die Vereinigten Staaten wieder vorbeigehen, weil Amerika schneller wächst.
Ein optimistischeres Szenario sieht Chinas Wachstum bei 3,5 Prozent bis 2030 stabilisierend. Dies wäre in globaler Perspektive nicht schlecht – 3,5 Prozent ist noch über weltdurchschnitt. Chinas schiere Größe bedeutet, dass selbst 3,5 Prozent Wachstum etwa ein Drittel des weltweiten Wachstums ausmachen. Dies würde eine Volkswirtschaft im Wert von etwa 23,9 Billionen USD bis 2030 bedeuten, wie Premierminister Li Qiang ankündigte.
Ein mittleres Szenario sieht 3 Prozent Wachstum stabil werden – ähnlich Japan in seinen besseren Zeiten nach der Blasen-Implosion 1990. Eine Wirtschaft, die wächst, aber nicht dynamisch. Ein Szenario, in dem neue Industrien Arbeitsplätze bieten, aber nicht in der Menge, die der Immobilien-Sektor offen gelassen hat.
Ein pessimistisches Szenario sieht Wachstum unter 2 Prozent, wenn Schuldenlasten eskalieren, wenn eine Bankenkrise ausbricht, wenn ausländisches Kapital vollständig abfließt. Dies wäre für globale Märkte ein Schock ähnlich der asiatischen Finanzkrise 1997 – aber schlimmer, weil China größer ist.
Alle diese Szenarien teilen eine zentrale Realität: Das China der 2020er wird nicht das China der 2010er sein. Die Ära des zweistelligen Wachstums ist vorbei. Die Ära der Schulden-getriebenen Investitionsorgie ist vorbei. Das Wirtschaftsmodell, auf dem hundert Millionen Karrieren, tausende Unternehmen und globale Supplychain gebaut wurden, funktioniert nicht mehr.
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Die einzige realistische Weise, wie China aus diesem Szenario herauskommt, ist ein Umweg, der innerhalb einer Generation vollständig sein müsste: Ein radikaler Übergang von Investment-getriebener zu Konsum-getriebener Wirtschaft; von staatlich-gelenkter zu mehr marktorientierten Systemen; von exportabhängig zu binnenmarktorientiert; von Schuldenfinanzierung zu echtem Sparwert.
Dies wären echte strukturelle Reformen, nicht oberflächliche Maßnahmen. Eine solche Transformation in einer so großen und komplexen Wirtschaft unter Bedingungen von Schulden, Demografie und geopolitischen Spannungen ist eine Herausforderung ohne historisches Precedent.
Xi Jinping hat bewusst diese route nicht gewählt. Stattdessen versucht er, Wachstum durch gesteuerte Innovationsinvestitionen, strategische Sektoren und nationale Champions zu erzeugen. Dies ist kein Fehler der Analyse, sondern ein bewusster Priorisierungs-Entscheid: Xi hat entschieden, dass nationale Sicherheit, ideologische Kontrolle und geopolitische Stellung wichtiger sind als maximales wirtschaftliches Wachstum.
Das bedeutet: China wird mit 3 Prozent Wachstum leben müssen. Und eine Welt, die auf 10 Prozent chinesisches Wachstum kalkuliert hat, wird sich an 3 Prozent anpassen müssen. Das ist nicht eine Konjunkturschwäche, sondern eine Zeitenwende.
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