
Chinas “ungeordneter Wettbwerb” – Der Kampf gegen selbstzerstörerische Wirtschaftsdynamik (Politbüro-Treffen am 30. Juli 2025) – Bild: Xpert.Digital
Xi Jinpings neue Mission: Chinas Kampf gegen den ungeordneten Wettbewerb – und was das für die Welt bedeutet
Chinas geheime Wirtschaftskrise: Was “Neijuan” wirklich bedeutet und warum Peking jetzt handelt
Chinas Wirtschaft, lange Zeit ein Synonym für unaufhaltsames Wachstum, steht vor einer tiefgreifenden Herausforderung, die intern als “Neijuan” (内卷, “Involution”) bezeichnet wird. Dieser Begriff, der ursprünglich die Stagnation in übermäßig bewirtschafteter Landwirtschaft beschrieb, hat sich in den letzten Jahren zu einem viralen Schlagwort entwickelt, das eine selbstzerstörerische Spirale exzessiven Wettbewerbs und abnehmender Grenzerträge skizziert. Es ist ein Phänomen, bei dem immer mehr Ressourcen aufgewendet werden, ohne proportionalen Fortschritt oder echtes Wachstum zu erzielen – ein Zustand, der das Gefühl von Überarbeitung, Stress und Hoffnungslosigkeit in der chinesischen Gesellschaft verstärkt.
Was als gesellschaftliche Beobachtung begann, hat sich nun zu einem zentralen Problem der Wirtschaftspolitik ausgeweitet. Besonders brisant ist die Situation in den sogenannten “Neuen Drei” (新三样) – Solarmodulen, Elektrofahrzeugen und Lithium-Batterien. Diese Sektoren, einst als Chinas zukünftige Wachstumstreiber gefeiert, sind Opfer massiver Überkapazitäten und eines ruinösen Preiskampfes geworden. Hersteller verkaufen systematisch unter Selbstkosten, destabilisieren damit ganze Wertschöpfungsketten und gefährden die Existenz der Unternehmen. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Eine Solarproduktionskapazität, die weit über der globalen Nachfrage liegt, Preiskriege im E-Auto-Markt, die an die kollabierte Immobilienbranche erinnern, und Batteriekapazitäten, die den weltweiten Bedarf bis 2035 decken könnten – all das sind Symptome von Neijuan.
Die chinesische Führung unter Präsident Xi Jinping hat die Dringlichkeit erkannt und auf dem Politbüro-Treffen am 30. Juli 2025 offiziell den Kampf gegen Neijuan erklärt. Die Bekämpfung der “ungeordneten Konkurrenz” wurde zu einer der drei Hauptprioritäten für das zweite Halbjahr 2025. Dies markiert einen Wendepunkt, bei dem Peking von seiner bisherigen Förderpolitik abweicht und mit administrativen Eingriffen, brancheninterner Selbstregulierung und fiskalischen Maßnahmen eine “Supply-Side Reform 2.0” einleitet. Doch die strukturellen Ursachen – ein Prinzipal-Agent-Dilemma zwischen Zentral- und Lokalregierungen, die Subventionswettläufe befeuern, sowie ein dezentrales System, in dem unrentable Unternehmen durch staatliche Hilfen expandieren – bleiben tief verwurzelt. Chinas Weg aus dieser selbstzerstörerischen Dynamik wird lang und komplex sein, mit weitreichenden Folgen für die globale Wirtschaft.
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Neijuan – Chinas Kampf gegen selbstzerstörerische Wirtschaftsdynamik
Seit 2020 hat sich Neijuan (内卷, “Involution”) zu einem zentralen Begriff in Chinas Wirtschaftspolitik entwickelt. Auf dem Politbüro-Treffen am 30. Juli 2025 erklärte die chinesische Führung unter Präsident Xi Jinping dem Phänomen offiziell den Kampf und machte die Bekämpfung der “ungeordneten Konkurrenz” zu einer der drei Hauptprioritäten für das zweite Halbjahr 2025.
Was bedeutet Neijuan?
Neijuan beschreibt einen destruktiven Zyklus exzessiven Wettbewerbs, bei dem Unternehmen immer mehr Ressourcen aufwenden, ohne dass dies zu proportionalem Fortschritt oder Wachstum führt. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Anthropologie: Der Soziologe Clifford Geertz verwendete “Involution” 1963, um die landwirtschaftliche Stagnation in Indonesien zu beschreiben, wo trotz steigenden Arbeitseinsatzes die Produktivität nicht zunahm.
In China wurde der Begriff um 2000 vom Historiker Huang Zongzhi ins Chinesische übertragen und erhielt eine zusätzliche Dimension: abnehmende Grenzerträge bei steigendem Arbeitseinsatz. Seit 2020 hat sich Neijuan viral verbreitet und wurde zu einem der zehn wichtigsten chinesischen Schlagworte des Jahres. Das Konzept beschreibt heute eine Gesellschaft, die sich in einem selbstzerstörerischen Wettlauf ohne echten Fortschritt befindet – ein Leben geprägt von Überarbeitung, Stress, Angst und dem Gefühl, gefangen zu sein.
Neijuan in der Wirtschaft: Von der Gesellschaft zur Industrie
Was zunächst als Beschreibung gesellschaftlicher Zustände – insbesondere im Bildungssystem und Arbeitsmarkt – begann, wurde ab 2024/2025 zunehmend auf wirtschaftliche Strukturprobleme übertragen. In der Industrie manifestiert sich Neijuan als ruinöser Preiskampf, bei dem Hersteller systematisch unter Selbstkosten verkaufen und dadurch nicht nur ihre eigene Existenz gefährden, sondern ganze Wertschöpfungsketten destabilisieren.
Besonders betroffen sind die sogenannten “Neuen Drei” (新三样, xin san yang) – Solarmodule, Elektrofahrzeuge und Lithium-Batterien. Diese Sektoren waren ursprünglich als Wachstumstreiber und strategische Zukunftsindustrien identifiziert worden, leiden nun jedoch unter massiver Überkapazität:
Solarindustrie
Chinas Produktionskapazität erreichte 2023 etwa 1.000 GW und wird bis 2026 voraussichtlich auf 1.700 GW steigen – bei einer globalen Nachfrage von lediglich 445 GW in 2023. Die vier größten chinesischen Modulhersteller (Longi, Jinko Solar, Trina Solar, JA Solar) meldeten allein im ersten Halbjahr 2025 kombinierte Nettoverluste von 11 Milliarden Yuan (1,54 Milliarden US-Dollar), eine Steigerung um 150 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im September 2025 führten Produktionskürzungen zu einem dramatischen Preisanstieg von 48 Prozent bei Polysilizium, nachdem die Preise zuvor auf historische Tiefststände von 0,07-0,09 US-Dollar pro Watt gefallen waren.
Elektrofahrzeuge
Der chinesische E-Auto-Markt erlebt einen brutalen Preiskrieg. Im Mai 2025 senkte Marktführer BYD die Preise für 22 Modelle um bis zu 30 Prozent – der Mini-Hatchback Seagull kostete nur noch umgerechnet 7.800 US-Dollar. Dies löste Warnungen aus, die Branche könne ein ähnliches Schicksal erleiden wie die kollabierte Immobilienindustrie. Im September 2025 meldete BYD erstmals seit 18 Monaten sinkende Verkaufszahle in China – ein Rückgang um 5,5 Prozent. Der Nettogewinn von BYD sank im zweiten Quartal 2025 um 29,9 Prozent.
Batterien
Die Produktionskapazität für Lithium-Ionen-Batterien überstieg in China 2024 die 2 TWh-Marke – 60 Prozent höher als die tatsächliche Nachfrage. Geplante Kapazitäten übersteigen 6 TWh, genug um den weltweiten Bedarf bis 2035 zu decken.
Die strukturellen Ursachen: Ein systemisches Problem
Die Wurzeln von Neijuan liegen in Chinas jahrzehntealtem Wachstumsmodell, manifestierten sich aber besonders nach dem Ende der Immobilienblase 2021-22. Als die Investitionen im Immobiliensektor einbrachen, musste Peking einen alternativen Investitionsmotor finden, um das BIP-Wachstum aufrechtzuerhalten. Statt ausschließlich auf Infrastruktur zu setzen, lenkte die Regierung massive Investitionsströme in die verarbeitende Industrie – insbesondere in die strategischen “Neuen Drei”-Sektoren.
Ein zentrales Strukturproblem ist das Prinzipal-Agent-Dilemma zwischen Zentralregierung und lokalen Behörden. Provinz- und Kommunalverwaltungen werden nach lokaler Wirtschaftsleistung, Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen bewertet. Dies führte zu einem Subventionswettlauf zwischen Regionen, bei dem Lokalregierungen ungeachtet gesamtwirtschaftlicher Rationalität in Produktionskapazitäten investierten.
Die chinesische Industriepolitik unterscheidet sich fundamental von westlichen Ansätzen: Erstens haben lokale Regierungen auf Provinz-, Stadt- und Bezirksebene erhebliche Befugnisse und Ressourcen, um lokale Firmen zu unterstützen – oft in expliziter Konkurrenz zu anderen chinesischen Regionen. Zweitens werden ganze Wertschöpfungsketten subventioniert, nicht nur einzelne Segmente. Dies führt zu einem dezentralen System, in dem zahlreiche lokal geförderte Unternehmen national unrentabel operieren, aber durch subventionierte Kosten expandieren und dadurch Preise drücken.
Mehr als 99 Prozent der börsennotierten chinesischen Unternehmen erhielten 2022 staatliche Subventionen. Allerdings zeigen Studien, dass Subventionen zwischen 2019 und 2023 nur 1 Prozent der Kapitalinvestitionen antrieben (gegenüber 6 Prozent zwischen 2014-2018), während über 80 Prozent durch Umsatzwachstum getrieben wurden. Bei den “Neuen Drei”-Unternehmen ist die Abhängigkeit jedoch deutlich höher: 22 Prozent ihrer Neuinvestitionen zwischen 2019-2023 wurden durch Subventionen ermöglicht.
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Pekings Gegenmaßnahmen: Die “Anti-Involution”-Strategie
Auf dem Politbüro-Treffen am 30. Juli 2025 machte die chinesische Führung die Bekämpfung von Neijuan zu einer Kernpriorität. Dies markierte einen bedeutenden Wendepunkt: Erstmals wurde der Begriff in einem hochrangigen politischen Dokument verwendet, nachdem Premierminister Li Qiang ihn bereits im März 2025 in seinem jährlichen Arbeitsbericht vor dem Nationalen Volkskongress erwähnt hatte.
Die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC) kündigte im August 2025 an, gegen “Herdenverhalten” bei Investitionen in aufstrebende Sektoren vorzugehen und “ungeordneten Wettbewerb” und “Überkapazitäten” einzudämmen. Die Maßnahmen umfassen:
Administrative Eingriffe:
- Strengere Preisüberwachung und geplante Verbote von Verkäufen unter Selbstkosten
- Beschränkungen für neue Produktionsanlagen
- Stilllegung ineffizienter Betriebe
- Eindämmung des Subventionswettlaufs zwischen Provinzen
- In der Siliziumproduktion soll ein Drittel der bestehenden Kapazität abgebaut werden
Branchenselbstregulierung
Im Dezember 2024 einigten sich 33 führende chinesische Polysilizium- und Solarunternehmen auf Produktionskürzungen nach OPEC-Vorbild, mit Quoten basierend auf Marktanteil und Kapazität. Die China Photovoltaic Industry Association propagiert Mindestpreise von 0,68 Yuan pro Watt für Module. Führende Hersteller produzieren nur noch mit 55-70 Prozent Auslastung.
Fiskalische Maßnahmen
Ab dem vierten Quartal 2025 wird China die 13-prozentige Mehrwertsteuer-Rückerstattung für Exporte von Solarmodulen und Energiespeichersystemen streichen. Dies wird die globalen Preise um etwa 9 Prozent erhöhen.
Perspektive: Supply-Side Reform 2.0
Die aktuelle Strategie wird als “Supply-Side 2.0” bezeichnet und unterscheidet sich von früheren Ansätzen. Während die Supply-Side-Reformen von 2015 auf administrative Schließungen und Konsolidierung staatsnaher Unternehmen in Schwerindustrien wie Stahl und Kohle setzten, verfolgt der neue Ansatz stärker marktorientierte Mechanismen: Netzzugangsregeln, Energieeffizienzstandards, Finanzierungsdisziplin und selektive Durchsetzung.
Die Herausforderung bleibt jedoch grundsätzlich: Solange politische Imperative lokale Regierungen und Staatsunternehmen dazu drängen, die Produktion zu expandieren – selbst wenn dies bedeutet, das Haushaltseinkommen relativ zum Output zu begrenzen –, wird es mehr Angebot als Nachfrage geben. Peking kann dieses Ungleichgewicht zwischen Sektoren verschieben (von Immobilien zu verarbeitender Industrie, von Low-Tech zu High-Tech), aber ohne fundamentale Anpassungen der Wirtschaftsstruktur nicht beseitigen.
Das vierte Plenum des 20. Zentralkomitees im Oktober 2025 wird die Leitlinien für den 15. Fünfjahresplan (2026-2030) festlegen. Ob Xi Jinping seine wirtschaftspolitische Ausrichtung grundlegend überdenkt oder die bisherige Linie fortsetzt, wird sich in diesen Dokumenten zeigen. Die chinesische Solarindustrie hat 87.000 Arbeitsplätze abgebaut, und weitere Entlassungen werden erwartet – ein Zeichen dafür, dass der Kampf gegen Neijuan erst am Anfang steht.
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