Veröffentlicht am: 2. Juni 2025 / Update vom: 2. Juni 2025 – Verfasser: Konrad Wolfenstein
European Accessibility Act – Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG): Abmahnungen, Bußgelder und rechtliche Konsequenzen – Bild: Xpert.Digital
Gesetzliche Barrierefreiheit: Worauf sich Unternehmen jetzt vorbereiten müssen
Der European Accessibility Act: Drastische Konsequenzen für Nicht-Einhaltung
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) steht kurz vor seinem Inkrafttreten am 28. Juni 2025 und bringt für viele Unternehmen erhebliche rechtliche Verpflichtungen mit sich. Tatsächlich riskieren Unternehmen, die die Vorschriften nicht einhalten, sowohl wettbewerbsrechtliche Abmahnungen als auch empfindliche Bußgelder. Das Gesetz setzt die EU-Richtlinie 2019/882 (European Accessibility Act) in deutsches Recht um und verpflichtet Anbieter bestimmter Produkte und Dienstleistungen zur Barrierefreiheit. Die rechtlichen Konsequenzen sind dabei deutlich härter als bei anderen Gesetzen, da der Gesetzgeber klar signalisieren möchte, dass die Umsetzung ernst genommen werden muss.
Abmahnungsrisiko nach dem BFSG
Rechtliche Grundlagen für Abmahnungen
Abmahnungen wegen Verstößen gegen das BFSG sind durchaus möglich und werden über das Wettbewerbsrecht begründet. Nach § 3a UWG handelt unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Der Verstoß muss dabei geeignet sein, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Entscheidend ist, ob die Vorschriften des BFSG als sogenannte Marktverhaltensregeln einzuordnen sind, die über § 3a UWG wettbewerbliche Relevanz entfalten.
Die Abmahnfähigkeit der BFSG-Verstöße ergibt sich daraus, dass die Vorschriften des Gesetzes Wirtschaftsakteuren umfangreiche Pflichten für Waren und Dienstleistungen auferlegen. Insbesondere Verbraucher mit Einschränkungen sollen durch das Gesetz geschützt werden. Hersteller, die sich nicht an die Vorschriften halten, verletzen somit eine verbraucherschützende Norm und verschaffen sich gegenüber gesetzestreuen Herstellern einen Wettbewerbsvorteil. Dies kann durchaus als spürbare Beeinträchtigung der Marktposition anderer Unternehmen gewertet werden.
Abmahnberechtigte Personen und Organisationen
Das Abmahnrecht steht verschiedenen Akteuren zu. Nach § 8 UWG sind berechtigt: Wettbewerber, die in nennenswertem Umfang ähnliche Leistungen anbieten, bestimmte Wirtschafts- und Verbraucherverbände (sofern sie in die Liste des Bundesamts für Justiz eingetragen sind) sowie Industrie- und Handelskammern. Diese Regelung zielt darauf ab, dass Mitbewerber rechtswidriges Verhalten ihrer Konkurrenten unterbinden können, um faire Marktbedingungen zu gewährleisten.
Ein wichtiger Aspekt ist, dass anders als bei der DSGVO keine generelle Klagemöglichkeit für Privatpersonen oder Abmahnanwälte vorgesehen ist. Der primäre Weg führt über die Marktüberwachungsbehörden. Allerdings könnte das Wettbewerbsrecht dennoch eine Möglichkeit für unbeteiligte Dritte wie Abmahnanwälte bieten, Klagen einzureichen, wobei die genauen Modalitäten noch nicht abschließend geklärt sind.
Inhalt und Form einer BFSG-Abmahnung
Eine BFSG-Abmahnung stellt eine formalisierte Aufforderung dar, ein gesetzeswidriges Verhalten zu unterlassen. Diese Abmahnungen enthalten in der Regel eine vorgefertigte strafbewehrte Unterlassungserklärung, die dazu dient, eine Wiederholungsgefahr auszuschließen. Häufig ist der Abmahnung auch eine Rechnung für entstandene Kosten oder eine Aufwandspauschale beigefügt. Das Ziel ist es, den Konflikt außergerichtlich zu lösen.
Die Abmahnung muss bestimmte Inhalte aufweisen: Name des Abmahnenden, Grund und Umfang der behaupteten Rechtsverletzung, Berechnung eventueller Kostenansprüche sowie Angaben zur Anspruchsberechtigung. Bei der Reaktion auf eine Abmahnung ist Vorsicht geboten, da die Abgabe einer Unterlassungserklärung weitreichende Konsequenzen nach sich zieht. Bei einem erneuten Verstoß droht eine Vertragsstrafe in erheblicher Höhe.
Bußgelder und behördliche Sanktionen
Höhe und Kategorien der Bußgelder
Das BFSG sieht empfindliche Bußgelder vor, die je nach Art des Verstoßes gestaffelt sind. Nach § 37 BFSG können Ordnungswidrigkeiten in schwerwiegenden Fällen mit einer Geldbuße bis zu 100.000 Euro und in den übrigen Fällen mit einer Geldbuße bis zu 10.000 Euro geahndet werden. Diese Unterscheidung zeigt die Schwere, die der Gesetzgeber bestimmten Verstößen beimisst.
Zu den schwerwiegenden Verstößen, die mit bis zu 100.000 Euro Bußgeld bedroht sind, gehören das Inverkehrbringen von Produkten entgegen den Barrierefreiheitsanforderungen, fehlende CE-Kennzeichnungen und weitere grundlegende Pflichtverstöße. Weniger schwerwiegende Verstöße wie fehlende barrierefreie Informationen oder unvollständige Angaben können mit bis zu 10.000 Euro geahndet werden. Diese Bußgeldrahmen verdeutlichen, dass der Gesetzgeber die Durchsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen ernst nimmt.
Verfahren bei Verstößen
Das Verfahren bei Nichteinhaltung des BFSG ist klar strukturiert und folgt einem abgestuften System. Zunächst prüft die Marktüberwachungsbehörde, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung die Barrierefreiheitsanforderungen nicht erfüllt. Wirtschaftsakteure sind verpflichtet, bei dieser Prüfung mitzuwirken. Die Marktüberwachungsbehörde kann eine Dienstleistung auch ohne konkreten Anlass anhand angemessener Stichproben prüfen.
Stellt die Marktüberwachungsbehörde fest, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung nicht den Barrierefreiheitsanforderungen entspricht, fordert sie den Wirtschaftsakteur auf, innerhalb einer angemessenen Frist geeignete Maßnahmen zur Herstellung der Konformität zu ergreifen. Der Wirtschaftsakteur hat dabei das Recht, angehört zu werden. Kommt der betroffene Akteur dieser Aufforderung nicht nach, kann die Marktüberwachungsbehörde weitergehende Maßnahmen ergreifen, einschließlich der Verhängung von Bußgeldern.
Zuständige Behörden und Organisation
Die Marktüberwachung erfolgt durch speziell eingerichtete Behörden. Ursprünglich war geplant, dass jedes Bundesland eine eigene Marktüberwachungsbehörde einrichtet. Nach aktuellem Stand scheinen sich die Länder aber darauf geeinigt zu haben, eine bundesweit tätige Marktüberwachungsbehörde zu gründen und zu finanzieren. Diese soll “Gemeinsame Marktüberwachung der Länder für die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen (MLBF)” heißen und in Sachsen-Anhalt angesiedelt werden.
Dem für die Gründung der Behörde erforderlichen Staatsvertrag haben bereits mehrere Länder zugestimmt, unter anderem Baden-Württemberg, Berlin, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Es ist daher wahrscheinlich, dass es statt 16 einzelner Marktüberwachungsbehörden nur die MLBF geben wird. Diese Zentralisierung könnte zu einer einheitlicheren Durchsetzung der BFSG-Anforderungen führen.
Betroffene Unternehmen und Anwendungsbereiche
Erfasste Produkte und Dienstleistungen
Das BFSG erfasst eine breite Palette von Produkten und Dienstleistungen im digitalen und analogen Bereich. Zu den betroffenen digitalen Produkten gehören Computer, Tablets, Smartphones, E-Book-Reader und andere digitale Endgeräte. Bei den Dienstleistungen sind insbesondere E-Commerce-Plattformen, Online-Shops, Bankdienstleistungen, digitale Buchungssysteme und mobile Anwendungen von Verkehrsunternehmen erfasst.
Selbstbedienungsterminals wie Geldautomaten fallen ebenfalls unter die Regelungen des BFSG. Websites und mobile Anwendungen müssen für B2C-Anbieter barrierefrei gestaltet werden, wobei es Unterschiede zwischen B2B- und B2C-Angeboten gibt. Die Anforderungen richten sich dabei nach den Standards der EN 301 549, die auf den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) basieren.
Unternehmensgrößen und Ausnahmen
Das BFSG betrifft grundsätzlich alle Unternehmen, die entsprechende Produkte oder Dienstleistungen anbieten. Allerdings gibt es wichtige Ausnahmen für Kleinstunternehmen. Das Gesetz gilt überwiegend für Unternehmen mit mehr als 10 Mitarbeitenden und über 2 Millionen Euro Jahresumsatz. Kleinstunternehmen sind nur dann ausgenommen, wenn sie ausschließlich Dienstleistungen erbringen – sobald jedoch Produkte hergestellt oder verkauft werden, greift das Gesetz auch hier.
Diese Regelung bedeutet, dass auch kleinere Unternehmen betroffen sein können, wenn sie Produkte in den Verkehr bringen. Die Unterscheidung zwischen B2B und B2C ist dabei relevant, da die Anforderungen primär für Verbrauchergeschäfte gelten. Unternehmen sollten daher genau prüfen, ob und in welchem Umfang sie von den BFSG-Anforderungen betroffen sind.
Zeitliche Anwendung
Die Anforderungen des BFSG gelten grundsätzlich für Produkte, die nach dem 28. Juni 2025 in den Verkehr gebracht werden, sowie für Dienstleistungen, die für Verbraucher nach dem 28. Juni 2025 erbracht werden. Das bedeutet, dass Unternehmen noch wenige Wochen Zeit haben, ihre Angebote entsprechend anzupassen. Nach diesem Stichtag müssen alle neuen Produkte und Dienstleistungen die Barrierefreiheitsanforderungen erfüllen.
Bereits am Markt befindliche Produkte und laufende Dienstleistungen sind grundsätzlich nicht rückwirkend betroffen. Allerdings sollten Unternehmen bedenken, dass bei Änderungen oder Überarbeitungen ihrer Angebote nach dem Stichtag die neuen Anforderungen greifen. Eine frühzeitige Anpassung kann daher sinnvoll sein, um spätere kostspielige Nachbesserungen zu vermeiden.
Schutzmaßnahmen und Compliance-Strategien
Präventive Maßnahmen zur Vermeidung von Sanktionen
Um Abmahnungen und Bußgelder zu vermeiden, sollten Unternehmen proaktiv handeln und ihre digitalen Angebote rechtzeitig überprüfen. Eine wichtige Empfehlung ist, insbesondere die öffentlich ohne Login zugänglichen Seiten so zu optimieren, dass sie keine Fehler in automatischen Prüftools wie Wave aufweisen. Viele Massenabmahner nutzen solche automatischen Tools, weshalb eine Optimierung für diese Systeme einen gewissen Schutz bieten kann.
Die Implementierung der technischen Standards der EN 301 549 ist essentiell für die Compliance. Diese Norm basiert auf den international anerkannten Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) und definiert die konkreten technischen Anforderungen für die Barrierefreiheit. Unternehmen sollten ihre Websites und Anwendungen systematisch auf die Einhaltung dieser Standards prüfen und entsprechende Anpassungen vornehmen.
Dokumentation und Konformitätserklärungen
Eine ordnungsgemäße Dokumentation der Barrierefreiheitsmaßnahmen ist nicht nur für die Compliance wichtig, sondern kann auch im Fall von Abmahnungen oder behördlichen Prüfungen hilfreich sein. Anders als bei der BITV 2.0, die eine Barrierefreiheitserklärung mit nicht erfüllten Punkten erlaubt, sind die BFSG-Anforderungen umfassender und zielen auf die vollständige Erfüllung der EN 301 549 ab.
Unternehmen sollten eine klare Strategie für die schrittweise Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen entwickeln. Auch wenn bis zum 28. Juni 2025 nicht alle Aspekte vollständig umgesetzt werden können, ist es wichtig, einen nachvollziehbaren Fahrplan für weitere Maßnahmen zu haben. Dies kann bei der Bewertung durch Behörden oder bei der Verteidigung gegen Abmahnungen von Vorteil sein.
Rechtliche Beratung und Verteidigungsstrategien
Bei Erhalt einer BFSG-Abmahnung sollten Unternehmen umgehend fachkundigen Rechtsrat einholen, idealerweise bei einem Anwalt mit Spezialisierung im Wettbewerbsrecht. Die Abgabe einer Unterlassungserklärung zieht weitreichende Konsequenzen nach sich, da bei einem erneuten Verstoß eine Vertragsstrafe in erheblicher Höhe droht. Auch Auskunfts- oder Schadensersatzforderungen können im Raum stehen.
Es ist ratsam, die rechtliche Lage umfassend prüfen zu lassen, bevor eine Erklärung abgegeben oder gerichtliche Schritte eingeleitet werden. Mögliche Verteidigungsstrategien können sich auf die Auslegung der BFSG-Anforderungen, die Berechtigung des Abmahnenden oder technische Aspekte der beanstandeten Verstöße beziehen. Da die Rechtsprechung zum BFSG noch nicht etabliert ist, können sich hier durchaus Verteidigungsmöglichkeiten ergeben.
Handlungsempfehlungen
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz bringt ab dem 28. Juni 2025 erhebliche rechtliche Risiken für Unternehmen mit sich, die die Anforderungen nicht erfüllen. Sowohl wettbewerbsrechtliche Abmahnungen als auch Bußgelder von bis zu 100.000 Euro sind realistische Konsequenzen bei Verstößen. Der Gesetzgeber hat deutlich signalisiert, dass er die Durchsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen ernst nimmt und entsprechend harte Sanktionen vorsieht.
Unternehmen sollten daher unverzüglich prüfen, ob sie von den BFSG-Anforderungen betroffen sind, und entsprechende Anpassungsmaßnahmen einleiten. Eine frühzeitige und systematische Herangehensweise an die Barrierefreiheit ist nicht nur rechtlich geboten, sondern kann auch wirtschaftliche Vorteile durch eine erweiterte Zielgruppe und verbesserte Nutzererfahrung bringen. Die verbleibende Zeit bis zum Inkrafttreten sollte intensiv für die Vorbereitung genutzt werden, um kostspielige rechtliche Konsequenzen zu vermeiden.
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