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Agri-Photovoltaik: Synergien und Spannungsfelder einer Doppelnutzungsstrategie

Veröffentlicht am: 21. Februar 2025 / Update vom: 21. Februar 2025 – Verfasser: Konrad Wolfenstein

Agri-Photovoltaik: Synergien und Spannungsfelder einer Doppelnutzungsstrategie

Agri-Photovoltaik: Synergien und Spannungsfelder einer Doppelnutzungsstrategie – Kreativbild: Xpert.Digital

Potenziale und Konflikte: Die Rolle von Agri-PV in der Energiewende

Agri-Photovoltaik: Wie doppelte Landnutzung die Energiezukunft transformiert

Die zunehmende Verbreitung von Agri-Photovoltaik (Agri-PV) markiert einen Wechsel in der Landnutzung, bei dem die gleichzeitige Strom- und Nahrungsmittelproduktion auf derselben Fläche sowohl technologische Innovationen als auch gesellschaftliche Zielkonflikte hervorbringt. Aktuelle Studien prognostizieren, dass Agri-PV-Systeme in Mitteleuropa bis zu 68 % des Energiebedarfs decken könnten, wenn nur 9 % der landwirtschaftlichen Nutzflächen für diese Technologie erschlossen würden. Während die installierte Leistung global von 5 MWp im Jahr 2012 auf über 14 GWp im Jahr 2021 exponentiell anstieg, stehen ambitionierte Ausbauziele wie das deutsche Ziel von 215 GW PV-Leistung bis 2030 vor der Herausforderung, Akzeptanzlücken und regulatorische Hürden zu überwinden. Das Fraunhofer ISE identifiziert ein Potenzial von 1.700 GWp für hochaufgeständerte Agri-PV in Deutschland, doch Projekte wie der geplante 300-ha-Solarpark im sachsen-anhaltinischen Geiseltal zeigen, dass die Transformation der Agrarlandschaften tiefgreifende sozioökonomische Verwerfungen auslösen kann.

Technologische Innovationen und agrarökologische Wechselwirkungen

Systemdesign und Ertragsoptimierung

Moderne Agri-PV-Konzepte basieren auf einer Dreifachoptimierung: Energieertrag, landwirtschaftliche Produktivität und ökologische Resilienz. Bifaciale Solarmodule, die beidseitig Licht absorbieren, erreichen durch erhöhte Aufständerung (3–5 m) und großzügige Reihenabstände (10–15 m) eine Lichtdurchlässigkeit von 70–80 %, was im APV-RESOLA-Projekt zu einer 42–87 % höheren Flächenproduktivität führte. Vertikale Anlagen wie das Next2Sun-System nutzen Ost-West-Ausrichtungen, um morgens und abends Stromspitzen zu erzeugen, während mittags ausreichend Licht für den Pflanzenwuchs durchdringt. Diese antizyklische Stromproduktion reduziert Netzengpässe und ermöglicht Erntemaschineneinsatz durch modulare Stahlkonstruktionen.

Mikroklimatische Effekte und Pflanzenerträge

Die Teilbeschattung durch PV-Module schafft ein stabileres Mikroklima, das in Trockenjahren zu Ertragssteigerungen von bis zu 16 % bei Beerenkulturen führen kann. Langzeitmessungen der Versuchsanlage Bodensee dokumentierten im Hitzesommer 2018 höhere Weizenerträge unter PV-Modulen (+7 %) bei gleichzeitiger Reduktion des Bewässerungsbedarfs um 20 %. Demgegenüber stehen Ertragseinbußen von bis zu 33 % in Jahren mit ausgeglichener Witterung, was die Abhängigkeit vom Klimastress-Level verdeutlicht. Adaptive Systeme mit nachführbaren Modulen oder lichtselektiven Beschichtungen könnten hier zukünftig eine bedarfsgerechte Beschattungssteuerung ermöglichen.

Ökonomische Transformationspotenziale und betriebliche Risiken

Einkommensdiversifizierung für Landwirtschaftsbetriebe

Agri-PV bietet Landwirten eine duale Ertragsquelle: Während die Stromproduktion Pachtzahlungen von 3.000–4.000 €/ha generiert, bleiben 85 % der EU-Direktzahlungen erhalten. Eine polnische Fallstudie zeigt, dass kombinierte Weizen-/Stromerträge den Nettogewinn pro Hektar von 1268 € (PV+Weizen) gegenüber 2024 erwarteten Verlusten bei Monokultur steigern. Die Universität Göttingen ermittelte eine Akzeptanzrate von 72,4 % unter Landwirten, wobei Einkommenssicherung (68 %) und Zukunftsfähigkeit (52 %) Hauptmotive sind.

Infrastrukturelle und marktseitige Herausforderungen

Trotz sinkender Gestehungskosten auf 4–6 ct/kWh behindern netztechnische Engpässe den Anschluss großflächiger Agri-PV-Parks. Das Geiseltal-Projekt mit geplanten 300 MW muss 23 km neue Mittelspannungsleitungen bauen, was 30 % der Gesamtinvestition verschlingt. Zudem fehlt es an standardisierten Pachtverträgen: Während Energiegenossenschaften wie in Peißenberg Landwirten kostenlose Flächennutzung gegen PV-Strombezug anbieten, dominieren bei gewerblichen Projektierern revenue-sharing-Modelle mit Fixpacht und Gewinnbeteiligung.

Soziopolitische Akzeptanzkonflikte und planungsrechtliche Barrieren

Lokale Widerstände und Professionalisierung der Protestkultur

Der geplante Solarpark Kienberg (Bayern) offenbart typische Konfliktlinien: Eine Bürgerinitiative mit 1.836 Wählern (12,4 % Anteil) erreichte drei Stadtratssitze und kündigte Klagen gegen das Projekt an. Professionell geführte Kampagnen nutzen visuelle Narrative („Zupflasterung der Landschaft“) und kooperieren mit Naturschutzverbänden, die Habitatverluste für Feldhamster beanstanden. Kommunikationsexperten wie Sándor Mohácsi betonen, dass frühe Öffentlichkeitsbeteiligung und transparente Visualisierungen (VR-Simulationen) Akzeptanz erhöhen, jedoch „harte Kerne“ durch rationale Argumente kaum erreichbar sind.

Planungsrechtliche Fragmentierung und Flächenkulissen

Trotz EEG-Novelle 2023, die Agri-PV als „besondere Solaranlage“ fördert, behindert die uneinheitliche Flächenausweisung den Markthochlauf. Während Bayern Agri-PV pauschal im Außenbereich zulässt, verlangen Länder wie Baden-Württemberg aufwändige Einzelfallprüfungen nach §35 BauGB. Die Fraunhofer-Studie kritisiert, dass 70 % deutscher Agrargebiete durch Schutzstatus (FFH, Wasserschutz) für PV gesperrt sind, während gleichzeitig 8 % der Ackerflächen EU-weit in den Visegrad-Staten für 180 GW PV-Potenzial verfügbar wären.

Regulatorische Innovationserfordernisse und zukünftige Entwicklungspfade

Harmonisierung von Förderrahmen und Technologiestandards

Die aktuelle EEG-Förderung differenziert nicht zwischen Agri-PV-Systemtypen, obwohl vertikale Anlagen (Next2Sun) 30 % geringere Erträge bei doppelter Flächeneffizienz erreichen. Ein dreistufiges Bonussystem – 0,5 ct/kWh für Grundaufständerung, +0,3 ct für Biodiversitätsmaßnahmen, +0,2 ct für Sonderkulturen – könnte gezielte Innovationen anreizen. Parallel bedarf es einer DIN-Norm (in Vorbereitung: DIN SPEC 91434), die Mindestlichtverfügbarkeit (600–800 µmol/m²/s) und Maschinendurchfahrtshöhen (>3,5 m) definiert.

Integration in Smart-Farming-Ökosysteme

Zukunftsprojekte wie „Agri-PV 4.0“ kombinieren PV-Module mit IoT-Sensoren zur Mikroklima-Monitoring (Luftfeuchte, Blattnassdauer) und automatisierter Bewässerungssteuerung. Pilotanlagen in Rheinland-Pfalz testen semi-transparente Organik-Module mit adaptiver Lichttransmission, die via KI Wetterprognosen und Pflanzenwachstumsdaten auswertet. Diese Systeme könnten perspektivisch Wasserstofferzeugung (Elektrolyseure unter Modulen) und Agri-Photokatalyse (Luftreinigung durch TiO2-beschichtete Module) integrieren.

Agri-PV als Katalysator einer integrativen Landnutzungswende

Die Durchdringung landwirtschaftlicher Flächen mit PV-Technologie stellt keinen Technokratie-Exzess dar, sondern eine notwendige Symbiose zur Bewältigung der Klima- und Ernährungskrise. Wie das ReWA-Projekt zeigt, steigt die Akzeptanz auf 78 %, wenn Regionalstrommodelle (25 % Vor-Ort-Verbrauch) mit Bürgerbeteiligungen (5–10 kWh-Anteile ab 500 €) verknüpft werden. Entscheidend wird sein, durch klare Raumplanung (Vorranggebiete auf ertragsschwachen Böden) und kooperative Planungsformate (Runde Tische mit Landwirten, Naturschutz, Kommunen) die produktive Koexistenz von Ähre und Elektron zu institutionalisieren. Mit der bevorstehenden EU-Agrarreform 2027 bietet sich die Chance, Eco-Schemes gezielt für biodiversitätsfördernde Agri-PV-Systeme einzusetzen und so die Doppeldividende aus Klimaschutz und Artenvielfalt zu ernten.

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