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Die Achillesferse der Produktionsdigitalisierung: Warum zwei Jahrzehnte Industrie 4.0 an der Realität gescheitert sind

Die Achillesferse der Produktionsdigitalisierung: Warum zwei Jahrzehnte Industrie 4.0 an der Realität gescheitert sind

Die Achillesferse der Produktionsdigitalisierung: Warum zwei Jahrzehnte Industrie 4.0 an der Realität gescheitert sind – Bild: Xpert.Digital

Industrie 4.0 am Ende? Warum 80 % aller Digitalisierungsprojekte in der Produktion scheitern

Wenn Powerpoint-Visionen auf Hallenboden treffen – Eine Abrechnung

Zwei Jahrzehnte sind seit dem Aufbruch in die sogenannte vierte industrielle Revolution vergangen, und die nüchterne Bilanz fällt ernüchternd aus. Fast achtzig Prozent aller Digitalisierungsinitiativen in der Produktion scheitern, eine Erfolgsquote, die an Selbstbetrug grenzt. Während Berater und Softwarekonzerne den Durchbruch zum digitalen Unternehmen versprechen, kämpfen Werksleiter und Produktionsverantwortliche mit einer unbequemen Wahrheit: Die Digitalisierung der Fertigung ist in ihrer aktuellen Ausprägung grundlegend defekt. Nicht weil die Technologie fehlt, sondern weil die Implementierungslogik zwei grundverschiedenen, jeweils zum Scheitern verurteilten Paradigmen folgt.

Der Top-Down-Ansatz, bei dem das Management nach ausgiebigen Präsentationen und Ausschreibungen eine Softwarelösung auswählt, endet regelmäßig im gleichen Debakel. Was auf Hochglanzfolien als perfekte Integration aller Anforderungen erscheint, entpuppt sich in der Praxis als jahrelanges Anpassungsprojekt. Manufacturing Execution Systems mit durchschnittlich fünfzehn bis sechzehn Monaten Implementierungsdauer sind dabei noch die Regel, nicht die Ausnahme. Die Systeme sind starr, teuer in der Anpassung und fordern die Produktion auf, sich der Software anzupassen, nicht umgekehrt. Prozesse, die sich über Jahrzehnte als optimal erwiesen haben, werden gezwungen, in vorgefertigte Schablonen zu passen. Das Ergebnis: Implementierungen, die nie die versprochenen Effizienzgewinze liefern, weil sie an der operativen Realität vorbeigeplant wurden.

Der Bottom-Up-Gegenentwurf scheitert aus diametral entgegengesetzten Gründen. Excel-Makros, Access-Datenbanken und selbst programmierte Hilfswerkzeuge entstehen aus der Not heraus, wenn IT-Abteilungen überlastet sind und Standardsoftware die spezifischen Anforderungen nicht abdeckt. Anfangs als Notlösung gedacht, werden diese Insellösungen schnell geschäftskritisch. Ihre Entwickler, oft einzelne versierte Mitarbeiter ohne formale Programmiererausbildung, schaffen pragmatische Werkzeuge, die tatsächlich funktionieren. Doch mit jedem zusätzlichen Feature wächst die technische Schuld exponentiell. Fehlerhafte Dokumentation, fehlende Versionskontrolle, keine Revisionssicherheit und mangelnde Skalierbarkeit sind nur die offensichtlichsten Probleme. Wenn der Entwickler das Unternehmen verlässt, bleibt eine Black Box zurück, die niemand mehr warten kann, aber die alle weiter nutzen müssen. Der Backlog wächst, während immer mehr Ressourcen in die Pflege veralteter Lösungen fließen, statt neue Herausforderungen anzugehen.

Beide Ansätze versagen nicht aus technischen, sondern aus strukturellen Gründen. Top-Down-Digitalisierung ignoriert die operative Intelligenz derer, die tatsächlich produzieren. Bottom-Up-Initiativen scheitern an fehlender Governance und technischer Professionalität. Das Versprechen von Industrie 4.0 – eine intelligente, vernetzte und flexible Produktion – ist in dieser Pattsituation unerreichbar geblieben. Drei von vier deutschen Unternehmen haben keine ausgearbeitete Digitalisierungsstrategie, achtzig Prozent arbeiten mit weitgehend manuellen oder nur teilautomatisierten Prozessen. Die Datengräber füllen sich, aber die Erkenntnisse bleiben aus, weil die Daten in Silos gefangen sind.

Die verborgene Schatten-IT: Wenn Excel zur geschäftskritischen Infrastruktur wird

In den Produktionshallen deutscher Mittelständler und selbst in Großkonzernen existiert eine Parallelwelt digitaler Lösungen, die in keinem IT-Inventar auftauchen. Excel-Tabellen mit Makros, die Produktionsplanungen durchführen. Access-Datenbanken, die Qualitätsdaten verwalten. Selbstgeschriebene Python-Skripte, die Maschinendaten auswerten. Diese Schatten-IT ist das Rückgrat vieler Produktionsprozesse geworden, weil offizielle Systeme zu langsam, zu unflexibel oder schlicht nicht vorhanden sind.

Die Entstehungsgeschichte ist fast immer identisch: Ein Problem tritt auf, die IT-Abteilung ist überlastet oder das vorhandene ERP-System bietet nicht die benötigte Funktionalität. Ein technisch versierter Mitarbeiter erstellt eine pragmatische Lösung mit den verfügbaren Werkzeugen. Die Lösung funktioniert, verbreitet sich und wird erweitert. Innerhalb kurzer Zeit wird aus dem Hilfsmittel eine geschäftskritische Anwendung, die täglich von Dutzenden Mitarbeitern genutzt wird. Diese Evolution geschieht außerhalb jeder IT-Governance, ohne Sicherheitsüberprüfungen, ohne Backup-Strategien und ohne professionelle Wartung.

Die Risiken sind beträchtlich. Datenänderungen sind nicht nachvollziehbar, es existiert keine Protokollierung, Revisionssicherheit ist inexistent. Berechtigungskonzepte fehlen, was grundlegende Kontrollprinzipien wie das Vier-Augen-Prinzip unmöglich macht. Der Zugriff bei verteilten Standorten und mehreren Nutzern ist problematisch, in einer Zeit, in der cloud-basierte Echtzeitzugriffe Standard sein sollten. Datensicherheit, ob Integrität, Konsistenz oder Vertraulichkeit, ist nicht gewährleistet. Release-Festigkeit existiert nicht, was bedeutet, dass ein Betriebssystem-Update oder eine neue Office-Version die gesamte Lösung lahmlegen kann. Die Dokumentation ist schlecht oder fehlt komplett, und das Wissen fließt mit dem Entwickler ab, wenn dieser das Unternehmen verlässt.

Dennoch überleben diese Lösungen Jahr für Jahr, weil sie einen entscheidenden Vorteil haben: Sie lösen tatsächliche Probleme und wurden von Menschen entwickelt, die den Produktionsprozess verstehen. Eine Planungstabelle, die ein Schichtleiter über Jahre verfeinert hat, bildet die Realität der Fertigung oft besser ab als ein standardisiertes MES-Modul für mehrere Millionen Euro. Diese implizite Anerkennung ihrer Funktionalität macht ihre Ablösung so schwierig. Jeder weiß, dass sie problematisch sind, aber niemand wagt es, sie abzuschalten, weil die Produktion ohne sie stillsteht.

Die wahre Tragödie liegt nicht in der Existenz dieser Lösungen, sondern darin, dass sie symptomatisch für ein fundamentales Versagen sind. Sie beweisen, dass lokale, bedarfsgerechte Digitalisierung funktioniert, wenn sie von den richtigen Menschen mit den richtigen Werkzeugen entwickelt wird. Gleichzeitig demonstrieren sie die Unfähigkeit der IT-Industrie, flexible, anpassbare Werkzeuge bereitzustellen, die sowohl professionell wartbar als auch schnell an spezifische Anforderungen anpassbar sind. Diese Lücke zwischen Bedarf und Angebot ist die eigentliche Achillesferse der Produktionsdigitalisierung.

Die neue Welle: Wenn künstliche Intelligenz Softwareentwicklung demokratisiert

Während traditionelle Digitalisierungsansätze in ihrer Agonie gefangen sind, bahnt sich eine fundamentale Verschiebung an. KI-gestützte Low-Code- und No-Code-Plattformen versprechen nicht weniger als die Demokratisierung der Softwareentwicklung. Tools wie Lovable, Microsoft Power Platform oder Mendix ermöglichen es Mitarbeitern ohne formale Programmierkenntnisse, funktionsfähige Anwendungen zu erstellen. Die Zahlen sind beeindruckend: Gartner prognostiziert, dass bis 2026 etwa 75 Prozent aller neuen Unternehmensanwendungen mit Low-Code-Technologien erstellt werden, ein dramatischer Anstieg von nur 25 Prozent im Jahr 2020. Achtzig Prozent der Low-Code-Nutzer werden bis 2026 aus Fachabteilungen außerhalb der IT kommen.

Die technologische Grundlage dieser Revolution liegt in der Verschmelzung von Low-Code-Plattformen mit generativer künstlicher Intelligenz. Statt Komponenten mühsam per Drag-and-Drop zusammenzusetzen, können Nutzer ihre Anforderungen in natürlicher Sprache beschreiben, und die KI generiert lauffähigen Code. Lovable, eine Plattform, die nach einer fünfzehn Millionen Dollar Finanzierungsrunde rasch an Bedeutung gewonnen hat, ermöglicht es, aus Textbeschreibungen vollständige Webanwendungen zu generieren, inklusive Frontend, Backend und Datenbanklogik. Der gesamte Code wird zu GitHub synchronisiert, sodass Entwickler bei Bedarf den generierten Code übernehmen und weiterentwickeln können. Die Entwicklungszeit verkürzt sich von Monaten auf Tage, die Kosten können um bis zu sechzig Prozent sinken.

Für die Fertigung ist das Timing dieser Entwicklung kaum zufällig. Der Fachkräftemangel verschärft sich dramatisch, während der Digitalisierungsdruck steigt. Sechs von zehn Industrieunternehmen in der DACH-Region klagen über fehlende Fachleute für Datenanalyse, und mehr als die Hälfte der Unternehmen scheitert daran, gewonnene Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen. Die Warteschlangen bei IT-Abteilungen werden länger, während die Produktionsrealität keine Verzögerungen toleriert. Low-Code verspricht einen Ausweg: Produktionsleiter, Schichtführer und Prozessingenieure könnten die Werkzeuge entwickeln, die sie tatsächlich benötigen, ohne auf überlastete IT-Abteilungen warten zu müssen.

Mehr als achthundert Mitarbeiter der Stadtwerke München sind mittlerweile Citizen Developer und nutzen Low-Code-Werkzeuge, um eigene Anwendungen zu entwickeln. Bei Porsche wird konzernweit eine Low-Code-Plattform ausgerollt, die es Fachabteilungen ermöglicht, eigenständig Prozesse zu digitalisieren. Diese Erfolgsgeschichten deuten auf eine fundamentale Verschiebung hin: Die Digitalisierung wandert dorthin, wo die Probleme entstehen, anstatt von zentralen IT-Abteilungen verordnet zu werden.

Die Vision des autonomen Unternehmens: Wenn Software verschwindet

Die radikalste Implikation dieser Entwicklung formulierte niemand geringerer als Satya Nadella, CEO von Microsoft, in einem bemerkenswerten Statement: Business-Apps, wie wir sie kennen, werden verschwinden. Seine Argumentation ist bestechend logisch: Traditionelle SaaS-Anwendungen sind im Kern CRUD-Datenbanken mit darübergelegter Business-Logik. Diese Business-Logik, argumentiert Nadella, wird zunehmend von KI-Agenten übernommen, die nicht an spezifische Backends gebunden sind. Statt dass jede Anwendung ihre eigene Logik implementiert, werden autonome KI-Agenten diese Logik in einer übergreifenden KI-Schicht verwalten und dabei auf multiple Datenbanken und Systeme zugreifen.

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Diese Vision ist keine ferne Zukunftsmusik. Gartner prognostiziert, dass bis 2028 ein Drittel aller Unternehmensanwendungen agentic AI-Fähigkeiten integriert haben werden. IDC geht von mehr als 1,3 Milliarden eingesetzten KI-Agenten bis 2028 aus. McKinsey berichtet, dass bereits 78 Prozent der Unternehmen generative KI in mindestens einer Geschäftsfunktion einsetzen, und 88 Prozent planen, ihre Budgets für KI-Agenten zu erhöhen.

Für Manufacturing Execution Systems und Shopfloor-Anwendungen könnte dies das Ende der bisherigen Architektur bedeuten. Statt monolithischer MES-Installationen, die fünfzehn Monate Implementierung benötigen und dann starr sind, könnten KI-Agenten Produktionsprozesse orchestrieren, Qualitätsdaten analysieren, Wartungsbedarfe vorhersagen und Produktionspläne optimieren – alles durch natürlichsprachige Interaktion konfigurierbar. Die Grenze zwischen Nutzer und Entwickler verschwimmt, wenn ein Schichtleiter seinem KI-Agenten einfach beschreiben kann, welche Auswertung er benötigt, und die Software diese dann generiert und bereitstellt.

Excel als Beispiel für diese Transformation illustriert die Tragweite. Mit der Integration von Python wird Excel von einem Tabellenkalkulationsprogramm zu einem virtuellen Analysten, der Szenarien generiert, Lösungen vorschlägt und Pläne ausführt. Diese Neudefinition zeigt, wie traditionelle Werkzeuge durch KI-Integration zu autonomen Assistenten werden, die nicht nur Befehle ausführen, sondern selbstständig Probleme lösen.

 

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Ende der Monolithen? Low‑Code + KI: Wie Produktionsmitarbeiter eigene Tools entwickeln

Der kommende Paradigmenwechsel: Lokale Intelligenz statt zentraler Kontrolle

Die Konvergenz von KI-gestützten Entwicklungswerkzeugen und dem Bedarf nach flexiblen Shopfloor-Lösungen deutet auf einen fundamentalen Paradigmenwechsel hin. Die nächste Generation von Produktionssystemen wird möglicherweise nicht von IT-Abteilungen oder Softwarekonzernen entwickelt, sondern direkt in der Produktion von denjenigen, die die Prozesse am besten verstehen. Dieser Wandel würde das Top-Down-Bottom-Up-Dilemma auflösen, indem er eine dritte Option eröffnet: dezentrale Entwicklung mit zentraler Governance.

Die technischen Voraussetzungen sind zunehmend gegeben. Low-Code-Plattformen mit KI-Integration ermöglichen es, schnell prototypische Lösungen zu entwickeln und diese iterativ zu verfeinern. GitHub-Integration und Versionskontrolle sorgen dafür, dass der generierte Code nicht in einer Black Box verschwindet, sondern professionell verwaltet werden kann. Cloud-basierte Architekturen ermöglichen sofortiges Deployment und Skalierung ohne aufwendige Infrastrukturprojekte. API-basierte Integrationen erlauben es, neue Anwendungen nahtlos mit bestehenden Systemen zu verbinden, ohne monolithische Neuimplementierungen zu erzwingen.

Die organisatorischen Herausforderungen sind allerdings beträchtlich. Citizen Development ohne Governance führt unweigerlich zur unkontrollierten Schatten-IT mit allen bekannten Risiken. Sicherheit, Datenschutz, Compliance und Wartbarkeit müssen von Anfang an mitgedacht werden, nicht nachträglich. Das erfordert neue Organisationsformen: Zentrale IT-Abteilungen müssen sich von Gatekeepern zu Enablern wandeln, die Plattformen bereitstellen, Standards setzen und Support leisten, aber die Entwicklung selbst den Fachabteilungen überlassen. Ein Application Lifecycle Management ist unerlässlich, um den Wildwuchs zu kontrollieren, ohne die Innovationskraft zu ersticken.

Die erfolgreichen Beispiele zeigen, wie dieser Balanceakt gelingen kann. Bei den Stadtwerke München gibt es Software-Coaches, die Citizen Developer bei der Nutzung der Low-Code-Tools unterstützen, während zentrale Governance-Strukturen sicherstellen, dass Sicherheits- und Qualitätsstandards eingehalten werden. Porsche hat mit MHP eine Implementierungsmethodik entwickelt, die konzernweite Standardisierung mit lokaler Flexibilität verbindet. ZF nutzt eine digitale Fertigungsplattform, die es einzelnen Werken ermöglicht, sich innerhalb einer Woche selbstständig zu onboarden und eigene Use Cases zu entwickeln, während die zentrale Organisation Standards, Richtlinien und Support bereitstellt.

Die Disruption der Enterprise-Software-Architektur

Wenn Nadella recht behält, steht nicht weniger als das Ende der Enterprise-Software-Architektur bevor, wie sie seit Jahrzehnten existiert. Die Implikationen für die Fertigungsindustrie wären dramatisch. Manufacturing Execution Systems, wie sie heute existieren, könnten obsolet werden, ersetzt durch modulare, KI-orchestrierte Agentensysteme. Die starre Trennung zwischen ERP, MES, SCADA und anderen Produktionssystemen würde aufgeweicht zugunsten einer intelligenten Middleware-Schicht, die flexibel auf verschiedene Datenquellen zugreift und diese kontextabhängig kombiniert.

Diese Transformation würde nicht über Nacht geschehen. Bestehende Systeme werden noch Jahre weiterlaufen, und Hybridszenarien, in denen traditionelle Software mit KI-Agenten koexistiert, werden die Übergangsphase dominieren. Doch die Richtung scheint klar: Software wird zunehmend unsichtbar, während Interaktion durch natürliche Sprache und intelligente Assistenten erfolgt. Die Frage ist nicht ob, sondern wann und wie schnell dieser Wandel die Produktionsrealität erreicht.

Die Gewinner dieses Umbruchs werden Unternehmen sein, die früh experimentieren und Kompetenzen aufbauen. Die Integration von Low-Code-Entwicklung, KI-Agenten und modernen Datenarchitekturen erfordert neue Fähigkeiten, die weder traditionelle IT-Abteilungen noch klassische Fertigungsingenieure mitbringen. Erfolgreiche Organisationen werden hybride Teams aufbauen müssen, in denen technisches Verständnis mit Prozesswissen kombiniert wird.

Die Grenzen der Revolution: Governance als kritischer Erfolgsfaktor

Trotz aller Euphorie dürfen die Risiken nicht unterschätzt werden. Low-Code und No-Code lösen nicht automatisch die Probleme, die auch schon Excel-Lösungen plagten. Schatten-IT kann sich auch mit modernen Tools entwickeln, wenn klare Governance fehlt. Sicherheitslücken, Datenqualitätsprobleme, Vendor Lock-In und mangelnde Skalierbarkeit sind reale Gefahren, die strategisches Management erfordern.

Die Herausforderungen beginnen bei der Anpassungsfähigkeit. Während Low-Code für einfache bis mittelschwere Anwendungen ausgezeichnet funktioniert, stoßen die Plattformen bei hochkomplexen Geschäftslogiken an Grenzen. Spezifische Anforderungen regulierter Branchen oder hochspezialisierte Fertigungsprozesse lassen sich möglicherweise nicht mit visuellen Editoren abbilden. In solchen Fällen bleibt traditionelle Softwareentwicklung unverzichtbar, was eine klare Strategie erfordert, wann welcher Ansatz angemessen ist.

Das Thema Sicherheit ist besonders kritisch. Low-Code-Plattformen selbst bestehen aus komplexem Code, der Schwachstellen enthalten kann. Da sie vielen Nutzern Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen, vergrößert sich die Angriffsfläche potentiell. Ohne wirksame Testverfahren wie Static und Dynamic Application Security Testing können unsichere Anwendungen entstehen, die Produktionssysteme gefährden. In sicherheitskritischen Fertigungsumgebungen kann dies katastrophale Folgen haben.

Die Abhängigkeit von Anbietern ist ein weiteres Risiko. Viele Low-Code-Plattformen sind proprietär, was Migration zu anderen Systemen erschwert und hohe Wechselkosten verursacht. Ein Unternehmen, das Hunderte von Anwendungen auf einer spezifischen Plattform entwickelt hat, ist praktisch gefangen. Diese Lock-In-Effekte müssen bei der strategischen Entscheidung für eine Plattform berücksichtigt werden.

Am wichtigsten ist jedoch eine funktionierende Governance-Struktur. Ohne klare Regeln, wer welche Anwendungen entwickeln darf, wie Qualitätssicherung erfolgt, wie Sicherheitsstandards durchgesetzt werden und wie Lifecycle-Management funktioniert, droht schnell Chaos. Die Balance zwischen der Innovationsfreiheit, die Low-Code ermöglichen soll, und der notwendigen Kontrolle ist schwer zu finden, aber essentiell für den Erfolg.

Die Zukunft der Shopfloor-Digitalisierung: Ein dezentrales Ökosystem

Die Vision einer Zukunft, in der Produktionsmitarbeiter ihre eigenen digitalen Werkzeuge entwickeln, ist weder reine Utopie noch bedingungslos erstrebenswert. Sie wird Realität werden, aber nur unter spezifischen Bedingungen. Der Schlüssel liegt in der Schaffung eines kontrollierten Ökosystems, das Innovation ermöglicht, ohne in Anarchie zu verfallen.

Dieses Ökosystem besteht aus mehreren Ebenen. Die Plattformebene stellt die technische Infrastruktur bereit: Low-Code-Tools, KI-Agenten, Datenbanken, APIs und Integration zu bestehenden Systemen. Die Governance-Ebene definiert Standards, Sicherheitsrichtlinien, Qualitätskriterien und Freigabeprozesse. Die Enablement-Ebene bietet Schulungen, Templates, Coaching und Support, damit Citizen Developer erfolgreich sein können. Die Community-Ebene fördert Wissensaustausch, Best-Practice-Sharing und kollaborative Entwicklung.

In einem solchen Ökosystem entstehen Anwendungen nicht isoliert, sondern in einem strukturierten Rahmen. Ein Schichtleiter, der eine neue Auswertung benötigt, startet nicht bei Null, sondern nutzt Templates und Bausteine, die bereits validiert sind. Die entwickelte Lösung durchläuft automatisierte Sicherheitschecks und wird erst nach Freigabe produktiv geschaltet. Der Code wird zentral verwaltet, sodass auch andere Werke davon profitieren können. Updates und Wartung erfolgen systematisch, nicht ad hoc.

Die Rolle professioneller Entwickler ändert sich in diesem Modell fundamental. Statt jede Anwendung selbst zu programmieren, werden sie zu Architekten des Ökosystems, die Plattformen bereitstellen, komplexe Integrationen entwickeln, Sicherheit gewährleisten und Standards setzen. Sie werden zu Mentoren für Citizen Developer und zu Kuratoren der entstehenden Anwendungslandschaft. Diese Verschiebung ist keine Entwertung, sondern eine Aufwertung ihrer Rolle, da sie den Impact ihrer Arbeit multiplizieren können.

Das Versprechen und die Praxis: Eine realistische Einschätzung

Zwanzig Jahre nach der Ausrufung von Industrie 4.0 steht die Fertigungsdigitalisierung an einem Scheideweg. Der alte Ansatz – entweder Top-Down-Implementierung teurer Standardsoftware oder Bottom-Up-Flickwerk aus Excel und Access – ist gescheitert. Die Erfolgsquote von etwa zwanzig Prozent spricht eine deutliche Sprache. Gleichzeitig sind die Herausforderungen akuter denn je: Fachkräftemangel, globaler Wettbewerbsdruck, Nachhaltigkeitsanforderungen und die Notwendigkeit flexibler, resilienter Produktion lassen keine Alternative zur erfolgreichen Digitalisierung.

Die neue Welle von KI-gestützten Low-Code-Tools bietet einen möglichen Ausweg. Die technischen Voraussetzungen verbessern sich rasant, die Erfolgsbeispiele mehren sich, und die wirtschaftlichen Anreize sind überwältigend. Entwicklungskosten um sechzig Prozent reduzieren, Time-to-Market von Monaten auf Tage verkürzen und gleichzeitig Lösungen schaffen, die tatsächlich zu den Prozessen passen – das sind Versprechen, die überzeugen.

Doch Vorsicht ist geboten vor überzogenem Optimismus. Die Demokratisierung der Softwareentwicklung löst nicht automatisch alle Probleme. Sie verlagert sie teilweise nur. Statt überlasteter IT-Abteilungen haben wir dann möglicherweise unkontrollierte Applikationswildwüchse. Statt starrer Standardsoftware drohen inkompatible Einzellösungen. Statt langer Implementierungszeiten riskieren wir unsichere Schnellschüsse.

Der Erfolg wird davon abhängen, ob Unternehmen die richtigen Rahmenbedingungen schaffen können. Governance ohne Bürokratie, Standards ohne Starrheit, Kontrolle ohne Lähmung – diese Balance zu finden, ist die eigentliche Herausforderung. Die Technologie allein entscheidet nicht über Erfolg oder Misserfolg. Entscheidend sind organisatorische Reife, kultureller Wandel und strategisches Management.

Die kommende Dekade: Transformation oder Disruption

Die nächsten zehn Jahre werden zeigen, ob die KI-gestützte Dezentralisierung der Softwareentwicklung die Digitalisierung der Fertigung fundamental verändert oder ob sie als weitere gescheiterte Heilsversprechen in die Annalen eingeht. Die Weichen werden jetzt gestellt. Unternehmen, die früh experimentieren, Plattformen aufbauen, Kompetenzen entwickeln und Governance-Strukturen etablieren, werden Vorteile erzielen. Diejenigen, die abwarten oder die neuen Werkzeuge unkontrolliert verbreiten lassen, riskieren entweder Rückstand oder Chaos.

Die provokante These, dass die nächste Generation von Shopfloor-Systemen lokal gebaut wird von den Menschen, die tatsächlich die Produktion steuern, ist weder abwegig noch garantiert. Sie wird in Teilen Realität werden, aber nicht vollständig und nicht überall. Hybride Modelle, in denen professionelle Kernsysteme mit lokal entwickelten Erweiterungen koexistieren, sind wahrscheinlicher als eine komplette Disruption.

Was jedoch sehr wahrscheinlich ist: Die Rolle von Fachabteilungen in der Digitalisierung wird massiv zunehmen. Die strikte Trennung zwischen IT-Entwicklung und Fachbereich wird aufweichen. Neue Kompetenzprofile entstehen, die technisches Verständnis mit Prozesswissen verbinden. Die Geschwindigkeit von Innovationszyklen wird sich beschleunigen, weil der Weg von der Idee zur Umsetzung drastisch verkürzt wird.

Falls Nadellas Vision zutrifft und Business-Apps tatsächlich durch KI-Agenten ersetzt werden, steht eine noch fundamentalere Transformation bevor. Die gesamte Architektur von Enterprise-Software, wie sie seit Jahrzehnten existiert, würde sich auflösen. Manufacturing Execution Systems würden nicht mehr als monolithische Installationen existieren, sondern als Orchestrierung intelligenter Agenten, die flexibel Daten kombinieren und Prozesse steuern. Diese Zukunft mag noch ein Jahrzehnt entfernt sein, aber die Entwicklung ist bereits in vollem Gang.

Unabhängig davon, welches Szenario sich durchsetzt, ist eines sicher: Die Digitalisierung der Fertigung, wie sie in den letzten zwanzig Jahren praktiziert wurde, ist am Ende. Die alte Ordnung, in der IT-Abteilungen oder Softwarekonzerne allein über die digitale Zukunft der Produktion entscheiden, bröckelt. Eine neue Ära bricht an, in der die Grenzen zwischen Entwicklern und Nutzern, zwischen Zentrale und Dezentrale, zwischen Standardsoftware und individueller Lösung neu verhandelt werden. Ob diese neue Ära die Versprechen von Industrie 4.0 endlich einlöst oder nur neue Probleme schafft, wird sich in den kommenden Jahren entscheiden. Die Werkzeuge für einen Erfolg sind jedenfalls erstmals wirklich verfd jedenfalls erstmals wirklich verfügbar.

 

 

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