Veröffentlicht am: 22. Juni 2025 / Update vom: 22. Juni 2025 – Verfasser: Konrad Wolfenstein
Bundeswehr-Ausbau mit 10.000 Soldaten +1.000 mehr: Deutschlands Weg zur stärksten Armee Europas – Bild: Xpert.Digital
Bundeswehr-Aufbau: 10.000 Soldaten und 1.000 Zivilisten kommen 2025
Deutsche Verteidigungspolitik vor Wandel durch geplante Personaloffensive 2025
Die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik steht vor einer historischen Wende. Mit dem für 2025 geplanten massiven Personalaufbau bei der Bundeswehr setzt Verteidigungsminister Boris Pistorius ein deutliches Signal für die Zeitenwende in der deutschen Verteidigungspolitik. Der 65-jährige SPD-Politiker, der seit Januar 2023 das Verteidigungsressort leitet, darf nach dem aktuellen Haushaltsplan 10.000 neue Soldatenstellen und zusätzlich 1.000 zivile Angestellte schaffen.
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Die aktuelle Personalsituation der Bundeswehr
Die Bundeswehr befindet sich derzeit in einer paradoxen Situation: Während die sicherheitspolitischen Herausforderungen durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine dramatisch gestiegen sind, kämpft die deutsche Armee seit Jahren mit erheblichen Personalproblemen. Ende März 2025 dienten etwa 182.064 Soldatinnen und Soldaten in den deutschen Streitkräften, womit die Truppe deutlich unter der eigentlich angestrebten Sollstärke von 203.000 liegt.
Die Personalstruktur der Bundeswehr zeigt dabei eine besorgniserregende Entwicklung: Das Durchschnittsalter der Bundeswehrangehörigen ist zwischen 2019 und 2024 von 32 auf 34 Jahre angestiegen. Besonders kritisch ist die Situation bei den Führungskräften – etwa ein Fünftel der Stellen bei Unteroffizieren und Offizieren ist unbesetzt. In den Mannschaftsdienstgraden ist die Lage mit 28 Prozent unbesetzten Stellen sogar noch dramatischer.
Trotz intensiver Anwerbungskampagnen und einer Task Force Personal, die 2023 eingesetzt wurde, konnte der Abwärtstrend beim militärischen Personal nur gestoppt, aber noch nicht umgekehrt werden. Immerhin verzeichnete die Bundeswehr 2024 mit rund 20.300 Einstellungen das einstellungsstärkste Jahr seit fünf Jahren – eine Steigerung um etwa 1.500 Soldatinnen und Soldaten gegenüber dem Vorjahr.
NATO-Anforderungen und die neue Bedrohungslage
Die geplante Personalaufstockung ist keine willkürliche politische Entscheidung, sondern eine direkte Reaktion auf die veränderte sicherheitspolitische Lage in Europa. Russlands völkerrechtswidriger Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die europäische Friedensordnung erschüttert und die Landes- und Bündnisverteidigung wieder als Kernaufgabe der Streitkräfte in den Fokus gerückt.
Die NATO plant eine drastische Erhöhung ihrer militärischen Fähigkeiten zur Abschreckung und Verteidigung. Die bisher gültigen Zielvorgaben für die militärischen Fähigkeiten sollen um etwa 30 Prozent erhöht werden, wobei besondere Priorität auf Luft- und Raketenabwehr, weitreichende Waffensysteme, Logistik und große Verbände von Landstreitkräften liegt.
Für Deutschland bedeutet dies konkret, dass die derzeit rund 182.000 Soldatinnen und Soldaten starke Bundeswehr um eine hohe fünfstellige Zahl wachsen muss. Militärexperten gehen davon aus, dass zur effektiven Bündnisverteidigung innerhalb der NATO zwischen 370.000 und 460.000 Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr notwendig wären. Dies erklärt, warum beim kommenden NATO-Gipfel ein Aufwuchs auf etwa 260.000 Männer und Frauen in Uniform diskutiert wird.
Herausforderungen bei der Personalgewinnung
Der ambitionierte Plan des Personalaufwuchses steht vor erheblichen praktischen Herausforderungen. Die Bundeswehr benötigt bereits heute jährlich etwa 20.000 Neueinstellungen allein zum Ausgleich der natürlichen Abgänge. Die zusätzlichen 10.000 Stellen für 2025 bedeuten eine weitere Steigerung dieses ohnehin schwer zu erreichenden Ziels.
Die Gründe für die Rekrutierungsprobleme sind vielschichtig und spiegeln gesellschaftliche Veränderungen wider. Die Generation der heute 18- bis 25-Jährigen, die primäre Zielgruppe für militärische Karrieren, zeigt deutlich weniger Interesse an einer militärischen Laufbahn als frühere Generationen. Statt Wehrdienst und militärischer Kameradschaft locken Start-ups, flexible Arbeitszeiten und Home-Office-Möglichkeiten in der Privatwirtschaft.
Hinzu kommt der demografische Wandel: Die Geburtenjahrgänge werden kleiner, während gleichzeitig die Konkurrenz um qualifizierte Arbeitskräfte in einer boomenden Wirtschaft zunimmt. Besonders bildungsfähige Bewerber, die später technisch anspruchsvolle Systeme bedienen sollen, sind schwer zu gewinnen, da ihnen die Privatwirtschaft oft attraktivere Konditionen bietet.
Pistorius’ Reformpläne und das schwedische Modell
Um den Personalmangel zu beheben, setzt Verteidigungsminister Pistorius auf eine grundlegende Reform des deutschen Wehrdienstes nach schwedischem Vorbild. Das schwedische Modell, das seit 2017 praktiziert wird, basiert auf einem ausgewogenen Mix aus Freiwilligkeit und selektiver Verpflichtung.
In Schweden müssen alle 18-jährigen Männer und Frauen einen umfangreichen Fragebogen ausfüllen, der eine umfassende Wehrerfassung ermöglicht. Anschließend spricht die schwedische Armee gezielt die für sie geeigneten Personen an, ob sie einen Grundwehrdienst ableisten wollen. Von einem Jahrgang von etwa 110.000 jungen Menschen werden tatsächlich nur etwa 8.000 eingezogen – deutlich weniger als theoretisch möglich wäre.
Das schwedische System hat sich bewährt: Die meisten Rekruten melden sich freiwillig, nur wenn sich nicht genügend Freiwillige finden, können Jugendliche auch zum Dienst verpflichtet werden. Pistorius plant, ein ähnliches System in Deutschland einzuführen, wobei zunächst auf reine Freiwilligkeit gesetzt werden soll. Sollte dies nicht ausreichen, könnte später über Pflichtelemente entschieden werden.
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Die Bedeutung der Reserve und langfristige Personalplanung
Ein entscheidender Aspekt des schwedischen Modells ist die systematische Einbindung ehemaliger Wehrdienstleistender in die Reservestruktur. Nach dem Wehrdienst bleiben die jungen Menschen für mindestens acht Jahre grundbeordert und müssen mindestens zwei verpflichtende Wehrübungen absolvieren. Dies ermöglicht es Schweden, im Kriegsfall auf 116.000 Soldaten zurückzugreifen, obwohl nur 18.000 hauptberufliche Soldaten im aktiven Dienst stehen.
Auch für Deutschland ist der Aufbau einer schlagkräftigen Reserve von zentraler Bedeutung. Derzeit verfügt die Bundeswehr über etwa 34.000 aktive Reservisten. Pistorius betont, dass nicht nur die stehenden Streitkräfte gestärkt werden müssen, sondern auch die Reserve eine wichtige Rolle spielt.
Finanzielle Rahmenbedingungen und Haushaltsplanung
Der geplante Personalaufbau erfordert erhebliche finanzielle Mittel. Der Verteidigungshaushalt für 2025 ist auf 53,25 Milliarden Euro angesetzt, was einer Steigerung von 2,5 Prozent gegenüber 2024 entspricht. Zusätzlich stehen aus dem Sondervermögen Bundeswehr etwa 22 Milliarden Euro für 2025 zur Verfügung.
Die neue Koalition aus CDU/CSU und SPD hat bereits angekündigt, die Verteidigungsausgaben massiv zu erhöhen. Diskutiert wird eine Steigerung auf bis zu fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts, was etwa 225 Milliarden Euro pro Jahr bedeuten würde. Dies wäre eine Verdreifachung der aktuellen Ausgaben und würde Deutschland zur führenden Militärmacht in Europa machen.
Infrastruktur und Ausrüstungsprobleme
Neben dem Personalmangel kämpft die Bundeswehr mit erheblichen Infrastruktur- und Ausrüstungsproblemen, die den geplanten Personalaufbau zusätzlich erschweren. Laut Wehrbeauftragter Eva Högl befinden sich viele Kasernen in desaströsem Zustand, und es mangelt an Munition, Ersatzteilen und funktionierendem Großgerät.
Der geschätzte Sanierungsbedarf für die Infrastruktur beläuft sich auf etwa 67 Milliarden Euro. Dies bedeutet, dass parallel zum Personalaufbau massive Investitionen in die bauliche Infrastruktur notwendig sind, um die zusätzlichen Soldaten überhaupt unterbringen und ausbilden zu können.
Besonders problematisch ist die Situation bei der Ausrüstung. Obwohl Deutschland seit Beginn des Ukraine-Krieges Material im Wert von etwa einer Milliarde Euro an die Ukraine abgegeben hat, wurden nur Nachbestellungen im Wert von knapp 50 Millionen Euro getätigt. Dies verschärft die ohnehin angespannte Materiallage der Bundeswehr erheblich.
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Gesellschaftliche Akzeptanz und demografische Herausforderungen
Der Erfolg des geplanten Personalaufbaus hängt nicht nur von finanziellen Mitteln und organisatorischen Reformen ab, sondern auch von der gesellschaftlichen Akzeptanz der militärischen Zeitenwende. Die deutsche Gesellschaft muss sich nach Jahrzehnten der Friedensdividende wieder mit der Realität militärischer Bedrohungen auseinandersetzen.
Die Herausforderung wird durch den demografischen Wandel verschärft. Die für den Militärdienst relevanten Altersgruppen werden in den kommenden Jahren kleiner, während gleichzeitig die Konkurrenz um qualifizierte Arbeitskräfte zunimmt. Die Bundeswehr muss daher nicht nur ihre Attraktivität als Arbeitgeber steigern, sondern auch innovative Rekrutierungsstrategien entwickeln.
Technologische Modernisierung und Cyberverteidigung
Der Personalaufbau muss Hand in Hand mit der technologischen Modernisierung der Bundeswehr gehen. Besonders der Bereich Cyber- und Informationsraum, in dem derzeit etwa 13.800 Soldatinnen und Soldaten dienen, wird stark ausgebaut werden müssen. Die moderne Kriegsführung erfordert nicht nur konventionelle Streitkräfte, sondern auch hochqualifizierte Spezialisten für die digitale Verteidigung.
Die Bundeswehr muss in der Lage sein, mit modernster Technologie umzugehen und diese auch zu entwickeln. Dies erfordert nicht nur entsprechend ausgebildetes Personal, sondern auch eine enge Zusammenarbeit mit der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Die neue Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie sieht vor, die Rahmenbedingungen für Unternehmen zu verbessern und Schlüsseltechnologien in Deutschland zu fördern.
Internationale Zusammenarbeit und europäische Integration
Die deutsche Verteidigungspolitik kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss im Kontext der europäischen und transatlantischen Sicherheitsarchitektur gesehen werden. Die neue Koalition betont die Bedeutung der NATO-Mitgliedschaft und die Notwendigkeit, einen zentralen Beitrag zur Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit der Allianz zu leisten.
Gleichzeitig wird die europäische Dimension der Verteidigungspolitik gestärkt. Die EU-Mitgliedstaaten erkennen zunehmend, dass sie mehr Verantwortung für ihre eigene Sicherheit übernehmen müssen. Dies erfordert nicht nur nationale Anstrengungen, sondern auch eine verstärkte europäische Kooperation in der Rüstungsindustrie und bei der Entwicklung gemeinsamer Verteidigungsfähigkeiten.
Von 10.000 auf 60.000: Deutschlands ambitionierte Pläne für die Bundeswehr-Erweiterung
Der geplante Personalaufbau der Bundeswehr um 10.000 Soldaten und 1.000 zivile Angestellte im Jahr 2025 ist nur der erste Schritt einer umfassenden Neuausrichtung der deutschen Verteidigungspolitik. Die langfristigen Ziele sind noch ehrgeiziger: Pistorius spricht von bis zu 60.000 zusätzlichen Soldaten, die in den kommenden Jahren benötigt werden.
Die Umsetzung dieser Pläne wird Jahre dauern und erfordert einen grundlegenden Wandel in Politik und Gesellschaft. Die Bundeswehr muss nicht nur personell wachsen, sondern auch ihre Attraktivität als Arbeitgeber steigern, ihre Infrastruktur modernisieren und ihre technologische Ausstattung auf den neuesten Stand bringen.
Der Erfolg der Zeitenwende in der Verteidigungspolitik wird davon abhängen, ob es gelingt, die verschiedenen Herausforderungen – Personalgewinnung, Finanzierung, technische Modernisierung und gesellschaftliche Akzeptanz – erfolgreich zu bewältigen. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob Deutschland in der Lage ist, seine Rolle als verlässlicher Partner in NATO und EU zu erfüllen und gleichzeitig die eigene Sicherheit zu gewährleisten.
Die Entscheidung für den massiven Personalaufbau bei der Bundeswehr markiert einen historischen Wendepunkt in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Nach Jahrzehnten des Abbaus militärischer Fähigkeiten kehrt Deutschland zu einer realistischen Einschätzung der sicherheitspolitischen Herausforderungen zurück. Ob dieser Kurs erfolgreich sein wird, hängt nicht nur von politischen Entscheidungen ab, sondern auch davon, ob die deutsche Gesellschaft bereit ist, die damit verbundenen Kosten und Veränderungen zu akzeptieren.
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