Veröffentlicht am: 20. Juni 2025 / Update vom: 20. Juni 2025 – Verfasser: Konrad Wolfenstein
NATO-Gipfel in Den Haag am 24. und 25. Juni 2025: Spannungen um Verteidigungsausgaben und Trump-Befürchtungen – Bild: Xpert.Digital
NATO-Krise 2025: Verteidigungsausgaben und US-Präsident spalten Allianz
Verteidigungsausgaben-Streit überschattet NATO-Treffen in Den Haag
Der bevorstehende NATO-Gipfel in Den Haag am 24. und 25. Juni 2025 steht unter erheblichen politischen Spannungen. Zwei zentrale Konfliktfelder bedrohen die Einigkeit des Bündnisses: Die umstrittene Forderung nach einer drastischen Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts und die Unsicherheit über die Teilnahme von US-Präsident Donald Trump.
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Trumps Fünf-Prozent-Forderung spaltet das Bündnis
US-Präsident Donald Trump hat seine bereits im Januar geäußerte Forderung bekräftigt, dass alle NATO-Mitgliedstaaten fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben sollen. Dies würde mehr als eine Verdopplung des aktuellen Zwei-Prozent-Ziels bedeuten, das erst kürzlich von allen NATO-Staaten erstmalig vollständig erreicht wurde.
Ruttes diplomatischer Kompromissvorschlag
NATO-Generalsekretär Mark Rutte, der ehemalige niederländische Ministerpräsident, hat einen strategischen Plan entwickelt, um Trumps Forderungen zu entsprechen und gleichzeitig die europäischen Verbündeten bei der Stange zu halten. Sein Vorschlag sieht vor, dass die 32 Mitgliedstaaten bis spätestens 2032 insgesamt fünf Prozent ihres BIP für sicherheitsrelevante Ausgaben aufwenden sollen: 3,5 Prozent für klassische Verteidigungsausgaben wie Truppen und Waffen sowie 1,5 Prozent für verteidigungsrelevante Infrastruktur wie militärisch nutzbare Häfen, Straßen und Brücken.
Die Niederlande haben bereits als erstes Land diesem Plan zugestimmt und beschlossen, ihre Verteidigungsausgaben schrittweise auf fünf Prozent zu erhöhen, wobei die niederländische Berechnungsweise auch Hilfen für die Ukraine einschließt.
Spanien führt den Widerstand an
Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez hat als erster Regierungschef offen Widerstand gegen das Fünf-Prozent-Ziel angekündigt. In einem Brief an NATO-Generalsekretär Rutte bezeichnete er eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des BIP als “nicht nur unvernünftig, sondern sogar kontraproduktiv”. Spanien kündigte an, sich beim NATO-Gipfel “nicht auf ein bestimmtes Ausgabenziel festlegen” zu können.
Spaniens Verteidigungsministerin Margarita Robles bezeichnete die NATO-Pläne sogar als “großen Fehler” und argumentierte, dass zuerst die Fähigkeiten bestimmt werden müssten, bevor ein Prozentsatz festgelegt werde. Mit Militärausgaben von rund 1,3 Prozent des BIP gehört Spanien zu den größten Nachzüglern in der Allianz, will aber bereits 2025 das Zwei-Prozent-Ziel erreichen.
Heimlicher Widerstand weiterer Verbündeter
Neben Spaniens offizieller Opposition gibt es auch heimlichen Widerstand anderer wichtiger NATO-Partner. Beim G7-Finanzministergipfel machten die Finanzminister aus Frankreich, Italien, Großbritannien und Kanada hinter vorgehaltener Hand deutlich, dass sie eine Erhöhung auf fünf Prozent nicht aus ihren Haushalten stemmen können.
Gipfel auf zweieinhalb Stunden verkürzt – Sorge vor Trump-Eklat
Aus Furcht vor einem erneuten vorzeitigen Weggang Trumps wurde der ursprünglich für zwei Tage geplante NATO-Gipfel laut “Financial Times” auf eine einzige zweieinhalb Stunden dauernde Sitzung reduziert. Diese drastische Verkürzung erfolgte, nachdem Trump erst kürzlich den G7-Gipfel in Kanada vorzeitig verlassen hatte.
Claudia Major, Senior Vice President beim German Marshall Fund, kommentierte diese Entwicklung: “Er wurde von zwei Tagen auf eine zweistündige Sitzung reduziert … das sollte also machbar sein, und meine Hoffnung ist, dass es funktioniert.” Gleichzeitig räumte sie ein: “Aber ich habe den Versuch aufgegeben, Trump vorherzusagen”.
Spaltung in der deutschen Bundesregierung
Auch innerhalb der deutschen Bundesregierung herrscht Uneinigkeit über die Verteidigungsausgaben. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Außenminister Johann Wadephul (CDU) bekennen sich öffentlich zu den fünf Prozent. Wadephul argumentiert, dass Trumps Forderungen “ganz und gar in unserem Interesse” liegen und Europa sich von der Illusion lösen müsse, “dass Sicherheit nichts kostet oder gar billig zu haben ist”.
Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) hingegen zeigt sich nur bereit, die Ausgaben auf 3,5 Prozent zu erhöhen. Er erklärte: “Wenn es am Ende heißt, drei Prozent, dann machen wir drei Prozent, wenn es heißt 3,5 Prozent, dann machen wir 3,5 Prozent”, wandte sich aber gegen eine “reine Zahlendebatte”.
SPD-Friedenskreise warnen vor Aufrüstungsspirale
Die Spannungen innerhalb der SPD werden durch ein “Manifest” von über 100 SPD-nahen Personen verstärkt, das kurz vor dem Parteitag Ende Juni veröffentlicht wurde. Prominente Unterzeichner wie der ehemalige Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich, der Außenpolitiker Ralf Stegner und Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans fordern eine Abkehr von der Aufrüstungspolitik und direkte diplomatische Gespräche mit Russland.
In dem Papier wird die geplante Anhebung der Verteidigungsausgaben als “irrational” bezeichnet, da es dafür “keine sicherheitspolitische Begründung” gebe. Stegner bezeichnete die fünf Prozent, also 225 Milliarden Euro jährlich, als “glatten Irrsinn” und “Wahnsinnssummen”.
Verteidigungsminister Boris Pistorius reagierte scharf auf das Manifest und bezeichnete es als “Realitätsverweigerung”.
Ausblick auf den kritischen Gipfel
Der NATO-Gipfel in Den Haag wird zum ersten unter der Leitung von Mark Rutte als neuem Generalsekretär. Die Hauptthemen umfassen neben der Erhöhung der Verteidigungsausgaben auch die Stärkung der NATO-Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeiten sowie die weitere Unterstützung der Ukraine.
Die drastische Verkürzung des Gipfels auf zweieinhalb Stunden zeigt, wie sehr die NATO-Partner um die Einbindung Trumps bemüht sind, auch wenn dies zu Lasten einer umfassenden Diskussion der komplexen sicherheitspolitischen Herausforderungen gehen könnte. Der Gipfel wird damit zu einem kritischen Test für die Zukunft des transatlantischen Bündnisses in einer Zeit wachsender geopolitischer Spannungen.
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Von 34% bis 1%: Die Kluft bei den weltweiten Militärbudgets
Der Anteil der Militärausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist ein zentraler Indikator für die sicherheitspolitischen Prioritäten eines Landes. Ein Vergleich der Daten für 2024 und 2025 offenbart eine Welt der Extreme, die von kriegsbedingten Höchstwerten bis zu vergleichsweise moderaten Quoten reicht.
Ukraine und Russland: Die Extreme im Rüstungswettlauf
An der Spitze dieses Vergleichs steht die Ukraine: Im Jahr 2024 wendet das Land rund 34% seines BIP für das Militär auf. Dieser weltweit höchste Wert ist eine direkte Folge der enormen Belastung durch den russischen Angriffskrieg. Bereits 2023 erreichte dieser Anteil laut Weltbank 36,65%. Für 2025 plant die ukrainische Regierung zwar eine Reduzierung, veranschlagt aber immer noch massive 26,3% des BIP für Verteidigung und Sicherheit.
Auch Russland stellt seine Wirtschaft massiv auf den Krieg um: Die Militärausgaben stiegen 2024 auf rund 7,05% des BIP. Dies markiert den höchsten Stand seit dem Zerfall der Sowjetunion und verdeutlicht die umfassende Mobilisierung des Landes für militärische Zwecke.
Das Mittelfeld: Regionale Spannungen als Treiber
Eine Gruppe von Ländern mit signifikanten, aber deutlich niedrigeren Rüstungsanteilen folgt im Mittelfeld. Dazu zählt Pakistan, dessen Anteil basierend auf historischen Daten auf etwa 3,5% geschätzt wird. Auch Südkorea investiert angesichts der angespannten regionalen Sicherheitslage erheblich und wendete 2023 rund 2,6% seines BIP für die Verteidigung auf.
Wirtschaftsgiganten unter der 2%-Marke
Zahlreiche wirtschaftsstarke Nationen bewegen sich hingegen deutlich unter der 2-%-Marke, die oft als NATO-Zielwert gilt. Indiens Verteidigungsbudget liegt für 2024/25 bei 1,9% des BIP. Japan (1,6% im Jahr 2024) plant als Reaktion auf geopolitische Veränderungen eine Steigerung auf 2% bis 2027. China hält seinen Anteil seit Jahren bewusst stabil bei ca. 1,5%. Trotz absolut steigender Summen wird dieser prozentuale Wert durch das starke Wirtschaftswachstum des Landes ausgeglichen. Das Schlusslicht in diesem Vergleich bildet Brasilien mit einem Anteil von rund 1,1% (Stand 2023).
Die Zahlen zeichnen ein klares Bild: Während der Krieg in Europa die Haushalte der Ukraine und Russlands dominiert und zu extrem hohen Rüstungsquoten zwingt, agieren andere Staaten deutlich zurückhaltender. Insbesondere bevölkerungs- und wirtschaftsstarke Länder wie China, Indien und Brasilien priorisieren ihre Militärausgaben im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftskraft weitaus geringer. Der Vergleich verdeutlicht somit nicht nur unterschiedliche Budgets, sondern vor allem fundamental verschiedene strategische und politische Ausrichtungen auf der Weltbühne.
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