Veröffentlicht am: 11. April 2025 / Update vom: 11. April 2025 – Verfasser: Konrad Wolfenstein

Europas Weg zur KI-Führerschaft mit fünf KI-Gigafabriken? Zwischen ehrgeizigen Plänen und historischen Herausforderungen – Bild: Xpert.Digital
Europas Wette auf KI: Wird der neue Plan erfolgreicher sein?
KI-Gigafabriken: Europas Schritte Richtung technologische Unabhängigkeit?
Die Europäische Union hat am 9. April 2025 einen ambitionierten Aktionsplan vorgestellt, der Europa durch den Bau von fünf KI-Gigafabriken zu einem führenden KI-Kontinent machen soll. Dieser Plan reiht sich ein in eine Geschichte europäischer Technologieinitiativen, die das Ziel verfolgten, digitale Souveränität zu erlangen. Die Herausforderungen sind jedoch beträchtlich, wie frühere Projekte wie der 5G-Ausbau und das Cloud-Projekt Gaia-X zeigen. Während die EU hofft, durch massive Rechenkapazitäten und strategische Investitionen den technologischen Rückstand aufzuholen, bleibt die Frage offen, ob dieser neue Anlauf erfolgreicher sein wird als frühere Initiativen.
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Der Aktionsplan für einen europäischen KI-Kontinent
Fünf Gigafabriken als Herzstück der europäischen KI-Strategie
Die EU-Kommission hat einen umfassenden Aktionsplan vorgelegt, der Europa zu einem führenden Standort für Künstliche Intelligenz machen soll. Zentral in diesem Plan ist der Aufbau von bis zu fünf KI-Gigafabriken, die in verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten errichtet werden sollen. Diese Gigafabriken sind beeindruckende technologische Großprojekte – sie sollen etwa 10- bis 100-mal größer sein als normale KI-Fabriken und mit rund 100.000 hochmodernen KI-Chips ausgestattet werden. Diese Ausstattung entspricht ungefähr dem Vierfachen der Kapazität der derzeit im Aufbau befindlichen KI-Fabriken.
Am 9. April 2025 präsentierte die für technische Souveränität zuständige EU-Kommissarin Henna Virkkunen den Plan offiziell und betonte die Dringlichkeit des Vorhabens: “Künstliche Intelligenz steht im Mittelpunkt, um Europa wettbewerbsfähiger, sicherer und technologisch souveräner zu machen. Der globale Wettlauf um KI ist noch lange nicht vorbei. Zeit zu handeln ist jetzt”. Die EU hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, ein “führender KI-Kontinent” zu werden, wofür laut dem Entwurf des Aktionsplans “mutige Maßnahmen” erforderlich seien.
Unterstützende Maßnahmen und Finanzierung
Neben dem Aufbau der Gigafabriken enthält der Aktionsplan weitere Elemente, die die KI-Entwicklung in Europa fördern sollen. Dazu gehört die Anpassung der europäischen KI-Regulierung, um kleinere Unternehmen zu entlasten, sowie die Einrichtung von Data Labs, in denen große, hochwertige Datenmengen aus verschiedenen Quellen zusammengeführt und kuratiert werden sollen.
Zur Finanzierung dieser ambitionierten Pläne wird die Initiative “InvestAI” ins Leben gerufen, die private Investitionen in Höhe von 20 Milliarden Euro für die KI-Gigafabriken mobilisieren soll. Zusätzlich plant die Kommission ein “Gesetz zur Entwicklung von Cloud und KI”, das Anreize für Investitionen des Privatsektors in Cloud-Kapazitäten und Rechenzentren schaffen soll, mit dem Ziel, “die Rechenzentrums-Kapazität der EU in den nächsten fünf bis sieben Jahren mindestens zu verdreifachen”.
Chancen für den Standort Deutschland
Deutschland, insbesondere der Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen, könnte von dem Aktionsplan profitieren. Im nordrhein-westfälischen Jülich entsteht bereits eine KI-Fabrik, die nach Informationen des Handelsblatts gute Chancen hat, bei der Ausschreibung als deutsche Gigafabrik ausgewählt zu werden. Hendrik Wüst, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, zeigte sich optimistisch und betonte: “Wir haben die besten Voraussetzungen, um führende Digital- und Quantenregion in Europa zu werden”.
Europas Technologieinitiativen im historischen Kontext
Das Scheitern früherer EU-Tech-Pläne
Die aktuellen Bemühungen um KI-Führerschaft stehen nicht isoliert da, sondern reihen sich ein in eine Geschichte von EU-Technologieinitiativen mit gemischtem Erfolg. Insbesondere zwei frühere Projekte werden oft als Beispiele für die Schwierigkeiten bei der Umsetzung technologischer Souveränität angeführt: der 5G-Ausbau und das Cloud-Projekt Gaia-X.
Im September 2016 hatte die EU-Kommission einen Plan zur Förderung des Aufbaus von 5G-Infrastrukturen und -Diensten in ganz Europa auf den Weg gebracht. Die gesetzten Ziele, wie eine vollständige Abdeckung in städtischen Regionen bis 2025, wurden jedoch nicht erreicht. Dies zeigt die Herausforderungen bei der Umsetzung ambitionierter technologischer Infrastrukturprojekte auf europäischer Ebene.
Der Fall Gaia-X: Europas gescheiterte Cloud-Ambition
Noch deutlicher wird die Problematik am Beispiel von Gaia-X, dem europäischen Projekt für eine souveräne Cloud-Infrastruktur. Gaia-X wurde 2019 mit großer Aufmerksamkeit als europäische Alternative zu den Cloud-Diensten amerikanischer Tech-Giganten angekündigt. Das Projekt sollte eine “verteilte, föderale Edge-Cloud-Infrastruktur” schaffen, die auf bestehenden Rechenzentrumsstrukturen in Europa aufbaut und die Unabhängigkeit von außereuropäischen Anbietern gewährleistet.
Fünf Jahre später wird Gaia-X jedoch von manchen Beobachtern als gescheitert betrachtet. Der Cloud-Anbieter Nextcloud bezeichnet das Projekt sogar als “tot”. Kritiker wie die Schweizer Journalistin Adrienne Fichter weisen darauf hin, dass Gaia-X nicht die versprochene “europäische digitale Souveränität” gebracht hat: “Ja Gaia-X hätte die europäische digitale Souverenität retten sollen…der KI-Airbus, die europäische Antwort auf Amazon, Microsoft & Co. […] Nichts davon passierte.”
Ein Hauptkritikpunkt am Gaia-X-Projekt ist, dass es sich von seinen ursprünglichen Zielen entfernt hat. Statt einer echten europäischen Cloud-Infrastruktur wurde ein komplexes Regelwerk geschaffen, an dem sich auch US-Unternehmen beteiligen können, was den ursprünglichen Zweck untergraben hat. Bert Hubert, ein niederländischer Technologieexperte, bezeichnet Gaia-X in seiner Analyse als “teure Ablenkung”, die die eigentlichen Probleme – fehlende europäische Cloud-Anbieter mit ausreichender Skalierbarkeit – nicht angeht.
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Die Herausforderungen der digitalen Souveränität in Europa
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Die wiederholten Bemühungen der EU um technologische und digitale Souveränität spiegeln eine grundlegende strategische Herausforderung wider. Während die USA und China ihre technologische Dominanz weiter ausbauen, steckt Europa oft in einer “digitalen Abhängigkeitsfalle”. Der Grund dafür liegt in einer Vielzahl von strukturellen Faktoren und politischen Entscheidungen.
Ein grundlegendes Problem ist Europas Ansatz zur digitalen Souveränität: Statt auf eigene Stärken zu setzen und strategische Nischen zu besetzen, versucht Europa oft, die USA und China auf allen Gebieten gleichzeitig herauszufordern – mit unzureichenden Ressourcen. Es fehlt an einer kohärenten Strategie und an ausreichenden Investitionen, um mit den massiven Technologieinvestitionen der USA und Chinas mithalten zu können.
Die vielschichtige Natur digitaler Souveränität
Digitale Souveränität ist kein einheitliches Konzept, sondern umfasst verschiedene Dimensionen. Laut einer Analyse des WIK (Wissenschaftliches Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste) gibt es drei gemeinsame Dimensionen digitaler Souveränität: Privatsphäre, Cybersicherheit und Strategie. Während es bei der ersten Dimension vor allem um die Fähigkeit des Einzelnen geht, sein digitales Leben und seine Daten zu kontrollieren, beziehen sich die zweite und dritte Dimension auf die kollektive Ebene der Staaten sowie der EU, die versuchen, im digitalen Zeitalter Kontrolle und Führung zu erlangen.
Die Abhängigkeit von außereuropäischen Tech-Unternehmen wird von der EU als ein Risiko wahrgenommen, das sich über kritische Bereiche wie Cloud-Infrastrukturen, Halbleiterproduktion, Cybersicherheitsanwendungen und Komponenten für 5G-Netze erstreckt. Die EU erkennt zunehmend, dass solche Abhängigkeiten als potenzielle geopolitische Druckmittel eingesetzt werden können.
Erfolgsfaktoren für europäische Technologieführerschaft
Geschwindigkeit und Kapitalausstattung als Schlüsselelemente
Eine Lehre aus den bisherigen EU-Technologieinitiativen ist, dass zwei Faktoren entscheidend für den Erfolg sind: die Geschwindigkeit der Umsetzung und eine extrem hohe Kapitalausstattung. In beiden Bereichen hatte Europa in der Vergangenheit Schwierigkeiten. Die europäische Entscheidungsfindung ist oft langsam und fragmentiert, während die verfügbaren Investitionen hinter denen der USA und Chinas zurückbleiben.
Der aktuelle KI-Plan versucht, diese Lektionen zu berücksichtigen, indem er auf schnelle Umsetzung und erhebliche Investitionen setzt. Mit dem Ziel, 20 Milliarden Euro an privaten Investitionen zu mobilisieren, ist der finanzielle Einsatz deutlich höher als bei früheren Projekten. Dennoch bleibt die Frage, ob dies ausreichen wird, um mit den Investitionen globaler Technologieführer wie den USA und China mitzuhalten.
Stärkung der europäischen KI-Talente und -Kompetenzen
Ein weiterer kritischer Faktor für Europas Technologieführerschaft ist die Verfügbarkeit von Fachkräften. Der EU-Aktionsplan für KI umfasst daher auch Maßnahmen zur Stärkung der KI-Kompetenzen und zur Anwerbung von Talenten. Die Kommission will die internationale Einstellung hochqualifizierter KI-Experten durch Initiativen wie den Talentpool, die Marie-Skłodowska-Curie-Aktion “MSCA Choose Europe” und KI-Stipendienprogramme der geplanten AI Skills Academy erleichtern.
Diese Maßnahmen sollen dazu beitragen, legale Migrationswege für hochqualifizierte Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Ländern im KI-Sektor zu schaffen und die besten europäischen KI-Forscher und -Experten zurück nach Europa zu locken. Damit erkennt die EU an, dass Technologieführerschaft nicht nur eine Frage der Infrastruktur ist, sondern auch des Humankapitals.
Europas potenzielle Stärken im globalen Technologiewettbewerb
Regulatorische Macht und ethische Standards
Trotz aller Schwierigkeiten hat Europa durchaus Chancen, seine digitale Souveränität zu stärken. Der Kontinent verfügt über erhebliche Stärken und Potenziale, die bislang nicht ausreichend genutzt werden. Die regulatorische Macht der EU – oft als “Brussels Effect” bezeichnet – kann ein wichtiger Hebel sein, um europäische Werte und Interessen im digitalen Raum zu fördern.
Mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) hat Europa bereits globale Standards für den Datenschutz gesetzt. Auch der EU AI Act, der als weltweit erste umfassende Regulierung für Künstliche Intelligenz gilt, könnte eine ähnliche Wirkung entfalten. Der Aktionsplan für den KI-Kontinent sieht vor, einen “Service Desk für KI-Gesetze” einzurichten, um Unternehmen bei der Einhaltung des KI-Gesetzes zu unterstützen.
Industrielle Stärken und wissenschaftliche Exzellenz
Europa ist führend in Bereichen wie Industrieautomatisierung, Embedded Systems und Industrial IoT. Unternehmen wie Siemens, Bosch oder ABB sind Weltmarktführer in ihren Segmenten. Diese Stärke in der “Industrie 4.0” könnte als Basis für eine breitere digitale Souveränität dienen.
Zudem verfügt Europa über exzellente Forschungseinrichtungen und Universitäten, die in Bereichen wie Kryptographie, Quantencomputing oder KI-Ethik weltweit führend sind. Diese wissenschaftliche Exzellenz könnte stärker in wirtschaftliche Innovationen übersetzt werden, wenn die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Zwischen Hoffnung und Realismus
Die europäische Initiative für fünf KI-Gigafabriken zeigt den Willen der EU, im globalen Technologiewettbewerb eine führende Rolle zu spielen. Sie ist Ausdruck eines wachsenden Bewusstseins für die Bedeutung technologischer Souveränität in einer zunehmend digitalisierten Welt. Gleichzeitig mahnen die Erfahrungen mit früheren Technologieinitiativen wie 5G und Gaia-X zur Vorsicht.
Der Erfolg des europäischen KI-Plans wird davon abhängen, ob es gelingt, die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen: schnelle Umsetzung, ausreichende Finanzierung, klare Fokussierung auf strategische Stärken und eine effektive Koordination zwischen EU-Ebene und Mitgliedsstaaten. Digitale Souveränität ist kein Selbstzweck, sondern die Voraussetzung dafür, dass Europa im digitalen Zeitalter seine Werte bewahren, seine wirtschaftliche Stärke erhalten und seine politische Handlungsfähigkeit sichern kann.
Die nächsten Jahre werden zeigen, ob die EU mit ihren KI-Gigafabriken tatsächlich den Durchbruch schafft oder ob sie das Schicksal früherer Technologieinitiativen teilen. Der Weg zur digitalen Souveränität und technologischen Führerschaft ist lang und herausfordernd, aber er beginnt mit konkreten Schritten – und die KI-Initiative könnte ein solcher Schritt sein.
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